08.08.2017. Wir können nicht nur keinen Flughafen, wir können auch keine Gesundheitskarte, konstatiert Zeit online. Französische Medien berichteten über "republikanische Badeaktionen" von Algerierinnen, die gegen den Druck zur Verhüllung protestieren - leider ist das reine Fantasie, antworten Medien in Algerien und Marokko. Modebloggerin Anja Aronowsky Cronberg kritisiert im Deutschlandfunk Korruption im Modejournalismus. Der Guardian stellt die Organisation "Women Now for Development" vor, die Frauen in Syrien nach dem Krieg bessere Partizipation ermöglichen soll.
Gesellschaft, 08.08.2017
Wir können nicht nur keinen Flughafen, wir können auch keine
elektronische Gesundheitskarte. Mehr als elf Jahre nach dem offiziellen Start, und nachdem sie schon circa 1,7 Milliarden Euro gekostet hat, steht sie jetzt politisch vor dem Aus,
erklärt Peter Steinlechner in
Zeit online. "Die Unternehmen sehen das anders. Der Sprecher der Telekom-Tochter T-Systems, Rainer Knirsch, weist darauf hin, dass die technischen Anforderungen etwa
150 Mal verändert worden seien. Jetzt aber sei die Industrie 'auf der Zielgeraden', heißt es von T-Systems. ... Bei den Krankenkassen stoßen solche Worte auf Skepsis. Etliche Kassen setzen darauf,
eigene Angebote für einen digitalen Datenaustausch zu entwickeln." Dann wäre das Kuddelmuddel ja perfekt.
Zu schön um wahr zu sein? Die
französische Presse ist auf einen Hoax reingefallen, der einiges über die Beziehung zwischen
Frankreich und Algerien aussagt: Es werde eine große "baignade républicaine" im Badeort Tichy geben,
meldete Marianne gestern - Algerierinnen wollten damit gegen den Druck protestieren, sich sogar
am Strand verhüllen zu sollen. Aber das alles war nur eine Erfindung eines marokkanischen Bloggers,
stellt Khaled Bel bei
Observ'Algerie fest - er hatte damit auf eine ähnliche Aktion reagiert, über die vor kurzem berichtet worden war. Auch das Blog
Taibaweb bei
Le Monde konstatiert, dass es sich um einen
puren Hype handelt und verweist auf den Journalisten Mohammed Mehdi bei der marokkanischen
Huffpost, der
schreibt: "Diese 'Revolte im Bikini' hatte wie der
Clou des Sommers 2017 ausgesehen. Aber dummerweise war schon die 'Operation Badeanzug, die zweimal in der Woche am Strand von Seraidi' abgehalten wird', nur von einer
einzigen algerischen Journalistin beobachtet worden, der sich dann gleich ein Dutzend Kolleginnen und Kollegen der französischen Presse anschlossen." Schade - die Idee ist doch gut!
Wir müssen unser Konzept für
Transport und Mobilität komplett umstellen, meint der Braunschweiger Soziologe und Mobilitätsforscher
Stephan Rammler angesichts des Dieselskandals im Interview mit der
SZ. Technisch seien wir dazu schon längst in der Lage, aber
der Verbraucher muss auch mitspielen und der müsste sich mal entscheiden, was er will: Es ist "nicht allein die böse Autoindustrie ist, die das hier alles verbrochen hat. Vielleicht sind es sogar noch mehr die Verbraucher, die alle gerne für geringe Preise mit 150 PS unterwegs sein wollen. Mittlerweile ist
jede dritte Neuzulassung ein SUV! ... Laut einer Umfrage des Bundesumweltministeriums wünschen sich 80 Prozent der Deutschen
sauberere Luft und leisere Städte, die Mehrheit hat Angst vor dem Klimawandel. Da muss man sich fragen: Leute, habt ihr überrissen, was das bedeutet? Wer sagt, er wünscht sich das, kann sich nicht alle fünf Jahre ein neues Auto kaufen."
Medien, 08.08.2017
Anja Aronowsky Cronberg vom kritischen
Modeblog Vestoj beklagt im Interview mit Anna Pfister vom
Deutschlandfunk, dass der
Modejournalismus zu einer reinen Jubelveranstaltung geworden ist: "Worüber Journalisten weniger reden, sind die
üppigen Geschenke, die viele von uns Modejournalisten nach einem besonders positiven Artikel über eine bestimmte Marke geschenkt kriegen.
Eine Handtasche zurückschicken wäre unhöflich, aber sie zu behalten, ist wie ein implizites Einverständnis, dass
noch mehr positive Artikel folgen werden."
Außerdem: Die Diskussion um die
Arte-Doku "Gaza - Ist das ein Leben?", gegen die unter anderem der Zentralrat der Juden in Deutschland protestiert hatte (unsere
Resümees), geht weiter. Unter anderem kritisierte der Zentralrat, dass die Autorin
Anne Paq der antizionistischen Organisation
Electronic Intifada nahe steht. Stefan Frank
erläutert dazu auf
mena-watch.com: "Electronic Intifada steht ideologisch den säkularen antiisraelischen Terrororganisationen wie der Volksfront zur Befeiung Palästinas (PFLP) nahe. Die
Palästinensische Autonomiebehörde hingegen wird als nicht militant genug abgelehnt. Anne Paq selbst schreibt dazu: 'Die Palästinensische Autonomiebehörde handelt mehr und mehr wie ein Handlanger der Israelis … Die Palästinensische Autonomiebehörde muss weg.'"
Internet, 08.08.2017
Für einiges Aufsehen sorgt gerade das
Manifest eines Google-Mitarbeiters, der - anonym - behauptet hat,
Frauen seien
nicht so erfolgreich im Programmieren, weil sie darin, biologisch bedingt, nun mal nicht so gut sind. Was für eine Art von Wissenschaft ist das denn,
fragt im
Guardian Angela Saini, Autorin eines Buchs zum Thema ("Inferior: How Science Got Women Wrong"): "The science cited in the Google engineer's memo
is flawed. But since it was published at the weekend, there has been a groundswell of support for it on social media. ... What they fail to understand is that there are published scientific papers out there to support every possible opinion, even that
black people are intellectually inferior to white people. Getting published doesn't make an idea true, it only means that someone has managed to get it into print. In evolutionary psychology, theories are sometimes little more than speculation strung together with scant evidence."
Das Google-Papier entspricht weniger der Wissenschaft als einer
sexistischen Kultur im Unternehmen, wo der Frauenanteil bei 20 Prozent (statt in den USA durchschnittlich 26 Prozent) liegt,
schreibt Belinda Grasnick in der
taz: "Offenbar stimmen auch bei Google einige Mitarbeiter den Inhalten des Dokuments zu. Das ist kaum verwunderlich. Schon im April erklärte das US-amerikanische Arbeitsministerium, dass es bei Google
systematische Probleme mit gleichberechtigter Bezahlung gibt. Das Ministerium bezeichnete die Diskriminierung bei Google sogar als '
ziemlich extrem'."
Europa, 08.08.2017
FDP-Chef
Christian Lindner, der sich im Wahlkampf bislang eher als Anzugträger inszeniert hatte, fiel neulich durch eine russophile Interviewäußerung auf: "Um ein Tabu auszusprechen: Ich befürchte, dass man
die Krim zunächst als dauerhaftes Provisorium ansehen muss." Wenn man Tobias Schulzes
Hintergrundinformationen über russophile FDP-Politiker in der
taz liest, wird diese Äußerung eher noch unheimlicher: "Der FDP-Europapolitiker
Alexander Lambsdorff sagte Mitte Juli der
Deutschen Welle: 'Ich vermute, dass wir eine Situation wie mit den
baltischen Staaten im Kalten Krieg haben werden. Deren Annexion durch die Sowjetunion war auch nicht anerkannt.' Diesen Vergleich griff Lindner jetzt in seinem Interview auf. Die Bundesrepublik habe die Annexionen im Baltikum nie anerkannt, sie aber akzeptiert, um an anderer Stelle eine
erfolgreiche Annäherungspolitik fahren zu können." Im
Interview mit der
Bild schwächt Lindner inzwischen seine Aussagen kaum ab.
Politik, 08.08.2017
Im
Guardian stellt Samira Shackle die von der Schriftstellerin
Samar Yazbek gegründete Organisation
Women Now for Development vor, die dafür sorgen will, dass die Frauen nach dem Ende des Kriegs im neuen Syrien endlich
gleichberechtigt mitreden können. "Women Now runs seven centres - two in Lebanon and five within Syria. Starting as a small support group for a few families in rebel-held territory in Syria, it has expanded to become a
major women'
s network. In addition to providing psychosocial support, skills training (in English and IT among others), and economic empowerment, it has a clear political goal: getting women's voices heard - from the family setting to international peace talks. 'We try to educate women about their rights, and spread awareness,' says Ola El-Jindi, a programme manager at the NGO. 'This is
the chance the war gave us - to empower women. If we didn't use it well, it would be another disaster of war. We must use this opportunity to do better things.'"
Geschichte, 08.08.2017
Der Historiker Mark Jones wendet sich in der FAZ gegen einen Artikel seines Kollegen Gerd Krumeich vom 10. Juli, in dem Krumeich befand, dass "der Dolchstoß nicht nur eine Legende" war. Ohne die Revolutionäre von 1918, so Krumeich, hätten die Deutschen einen besseren Frieden herausholen können. Jones schreibt dazu: "An keiner Stelle findet sich der Hinweis, dass die Ereigniskette, die zu den Waffenstillstandsverhandlungen führte, von der Obersten Heeresleitung (OHL) in Gang gesetzt wurde. Es waren Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, die Ende September 1918 erklärten, Deutschland brauche sofort einen Waffenstillstand, und die massiven Druck auf den neu ernannten Reichskanzler Prinz Max von Baden ausübten, unverzüglich einen solchen herbeizuführen."