9punkt - Die Debattenrundschau

Am Ende einer Spirale

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
22.09.2017. In der SZ begründet Monika Grütters, warum sie nur einen Intendanten für das Humboldt-Forum will.  Ebenfalls in der SZ machen sich einige Intellektuelle Gedanken über ihr politische Rolle vor den Wahlen. Netzpolitik fragt, ob die großen Gerichte inzwischen eine spezielle Rechtsprechung für Google machen. Die Salonkolumnisten amüsieren sich über Sigmar Gabriel, der für Nordkorea Vorschläge macht, die schon in der Ukraine scheiterten.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.09.2017 finden Sie hier

Internet

Facebook hat vor den Bundestagswahlen in Deutschland keine ähnlichen Einmischungsversuche auf seiner Seite registriert wie in den Vereinigten Staaten, sagte Mark Zuckerberg laut Roland Lindner in der FAZ per Video. Allerdings seien verdächtige Konten von vornherein gelöscht worden: "Zuckerberg kündigte jetzt eine Reihe von Schritten an, um 'die Integrität von Wahlen' zu gewährleisten, unter anderem in Deutschland. Facebook habe hier Tausende gefälschter Nutzerkonten entfernt, mit Behörden wie dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zusammengearbeitet und Sicherheitsmaßnahmen mit den hiesigen Kandidaten und Parteien ausgetauscht." Hier der Wortlaut von Zuckerbergs Einlassung.



Das Smithsonian Design Museum hat 200.000 Objekte digitalisiert und stellt sie online zur Verfügung, berichtet openculture.com. Das Bild zeigt ein von Lance Wyman designtes Plakat für die Olympischen Spiele in Mexiko Stadt im Jahr 1968.
Archiv: Internet

Europa

Warum haben die Parteien die Bürger im Wahlkampf nicht mit dem Thema Europa behelligt? Bestimmt nicht, weil dieses Thema heute noch als langweilig gilt, sondern aus Angst, meint Welt-Autor Thomas Schmid: "Man hält die europäische Einigung für ein Reizthema, ein toxisches Thema, von dem man lieber die Finger lässt. Das aber zeugt nicht von Umsicht, sondern von Feigheit vor dem nationalistischen Feind."

Patrick Bahners porträtiert in der FAZ den Grünen-Politiker Boris Palmer, der kritische Einwände gegen die Flüchtlingspolitik hat und sie geduldig erläutert, auch im Gespräch mit AfD-Anhängern: "Er nennt es 'eine der großen Errungenschaften' seiner Facebook-Seite, dass unter ihren Abonnenten nicht nur Anhänger der Grünen sind, sondern mindestens ebenso viele Sympathisanten der AfD. Große Errungenschaft: Palmer spricht über seine Facebook-Seite wirklich so, als wäre sie ein Zeitalter oder eine Kunstgattung. Darin kommt das Engagement zum Ausdruck, mit dem er die Seite betreibt, der Energieeinsatz, den sie kostet."

Die spanische Regierung bestärkt durch ihre rigide Politik die katalanischen Sezessionisten, die nun in Großdemos den "Volkswillen" ausdrücken können, meint Paul Ingendaay in der FAZ: "Das 'Volk' ist ihr Kampfbegriff, ihr Schutzschild, ihr Pfand. Dass wahrscheinlich ein größerer Teil des katalanischen Volkes auf diese Weise seiner Rechte beraubt wird, fällt unter den Tisch."

Noch immer existiert in den Köpfen der Westeuropäer der "Eiserne Vorhang", stellt Tomas Kurianowicz auf Zeitonline fest. Statt Solidarität und Unterstützung für die osteuropäischen Verteidiger der Demokratie herrscht Desinteresse, Autokraten wie Kaczyński und Orbán machen es dem Westen durch ihren Politik der forcierten Eskalation zwar schwer, sie als gleichberechtigte Partner ernst zu nehmen, meint er: "Doch sie stehen am Ende einer Spirale, sind das personifizierte Ergebnis von Enttäuschungen, Frustrationen und verletzten Gefühlen. Sie verkörpern einen Minderwertigkeitskomplex, der nicht nur, aber eben auch auf der Missachtung durch den Westen beruht."
Archiv: Europa

Gesellschaft

Mit Begriffen wie "Staatsdoktrin" oder "Umerziehung" verunglimpfen rechte Aktivisten heute den Feminismus wie einst den Kommunismus, stellt Kathleen Hildebrandt auf süddeutsche.de fest. So werde ein bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähiges Feindbild erzeugt: "Indem sie die klassischen Vorwürfe gegen linke Politik mit Feminismus und Geschlechterpolitik rhetorisch verknüpfen, können sie wirkmächtige Ressentiments für sich nutzen. Und sie können verhindern, dass die Menschen nach konkreten Themen wie gerechter Bezahlung und gleichen Zugängen zu allen Bereichen der Gesellschaft fragen. Denn das gilt vor dem Hintergrund dieser Rhetorik schnell als weibisches Gequengel."
Archiv: Gesellschaft
Stichwörter: Feminismus, Linke Politik

Ideen

Der Politologe Wolfgang Merkel sieht im Gespräch mit Martin Reeh von der taz den Hauptkonflikt in den westlichen Gesellschaften heute nicht mehr im Gegensatz von Kapital und Arbeit, sondern im Gegensatz von "Kosmopoliten" und "Kommunitaristen". Die "Kosmopoliten" sind natürlich wir: "Die Kosmopoliten haben in den letzten Jahren zu Recht immer mehr liberale Minderheitenrechte thematisiert und damit unsere Demokratie weiter demokratisiert. Wir haben für alle möglichen sexuellen Präferenzen zu Recht Gleichberechtigung gefordert, bis hin zu Transgender. Ich komme gerade aus Harvard, dort gibt es eine so intensive Debatte darüber, als ginge es um die Beendigung des Syrienkrieges. Die kosmopolitische Linke ist heute hochsensibel bezüglich der Unterdrückungsmechanismen gegenüber Minderheiten und der Dritten Welt, will aber von der Verteilungsfrage im eigenen Land nichts mehr wissen - davon, dass bei uns auch rund ein Viertel der Gesellschaft abgehängt worden ist."

Die SZ hat deutsche DenkerInnen zur gegenwärtigen Rolle von Intellektuellen in der politischen Diskussion befragt.
Dieter Thomä stellt mit Bedauern fest, dass der "Experte" heute dem Intellektuellen den Rang abgelaufen habe: "Sie sind Musterschüler: Sie reden nur, wenn sie gefragt werden, und halten ansonsten den Mund. In der Wissensgesellschaft sind sie Lieferanten für besondere Aufgaben: gesicherte Erkenntnisse."

Statt überparteilicher Expertenräte sollten neue Köpfe mit verschieden Perspektiven zusammengeführt werden, meint Ulrike Ackermann, wie in Kanada oder Frankreich: "Der unkonventionelle Präsident Justin Trudeau, von Haus aus Literaturwissenschaftler, hat Rückhalt in der Bevölkerung, bringt Reformen auf den Weg, gewinnt das Interesse der Jugend zurück. Ähnlich reüssiert Emmanuel Macron in Frankreich: Gewappnet mit Machiavelli, Hegel und Paul Ricœur aus seinem Studium, war er im Beirat der Zeitschrift Esprit auf demokratietheoretischen Pfaden unterwegs. (...) Ein Experiment mit offenem Ausgang, aber ein kluger Schritt gegen Politikverdrossenheit."

Und Armin Nassehi beklagt eine zunehmende Unübersichtlichkeit intellektueller Diskurse: "Der heutigen Szene fehlt womöglich ein klarer Adressat, was auch dazu geführt hat, dass ein Großteil der Debatte wie ein Kulturkampf zwischen Milieus aussieht: Identitätsangebote auf allen Kanälen, von völkischen Zumutungen über konservative Verteidigungen des Bewährten bis zu urbanen Milieus der Vielfalt und neuen kulturlinken Identitätsansprüchen immer kleinerer partikularer Gruppen mit Sagbarkeitsanspruch. Der Intellektuelle wird dann zum Anwalt seiner Bezugsgruppe und zum unbedingten moralischen Sprecher."

Archiv: Ideen

Medien

Mathias Döpfners Bockwurst ist eine Fake News. Sie kam in seiner Rede vor dem Zeitungsverlegerverband (unser Resümee) vor,  und illustrierte die These, dass westliche Gesellschaften Forderungen von extremistischen Muslimen nachgeben, etwa indem man im Stadtbad von Neuss keine Bockwurst mehr serviert. Das ist leider falsch, schreibt Stefan Niggemeier in den Uebermedien: "Journalisten von der Funke-Mediengruppe haben die Behauptungen nachrecherchiert - vorbildlich, wie Döpfner das fordert, sollte man denken. Sie stellten fest, dass niemand irgendetwas durchsetzte oder sich unterwarf. Es habe einfach nicht mehr genug Abnehmer für die Würstchen gegeben, sagte die Betreiberin, weil insgesamt kaum noch Leute ins Freibad kämen, und jeder vierte von denen, die noch kämen, Moslem sei." Und wir dachten immer: Fake News gibt es nur in sozialen Medien, und wir brauchen die Zeitungen, um sie zu korrigeren!
Archiv: Medien

Urheberrecht

Nach einem Urteils des Europäischen Gerichtshofs ist es Google jetzt gesetzlich erlaubt, auf urheberrechtlich geschützte Inhalte zu verlinken, deren Verlinkung anderen gewerblichen Internetanbietern verboten ist. Leonhard Dobusch fragt sich daher auf Netzpolitik.org, ob nun "Googlerecht für Google" und "Urheberrecht für den Rest" gelte: "Letztlich belegt auch das jüngste BGH-Urteil einmal mehr, dass Google mit dem geltenden und unzeitgemäßen Urheberrecht am besten leben, ja sogar noch damit Geschäfte machen kann. Die meisten anderen aber, die nicht über Googles Ressourcen und Marktstellung verfügen, leiden unter Entscheidungen wie jener des EuGH zur Linkfreiheit."
Archiv: Urheberrecht

Politik

Sigmar Gabriel fordert, dass Nordkorea eine Sicherheitsgarantie nach dem Modell der KSZE gegeben wird, um ihm den Verzicht auf Atomwaffen zu erleichtern. Aber dummerweise gab es sowas schon mal, merkt Tobias Blanken bei den Salonkolumisten an, nämlich gegenüber der Ukraine, die in der Folge tatsächlich auf ihrem Territoriums stationierten Atomwaffen verzichtete: "Die in Europa entscheidenden Mächte Amerika, Russland und das Vereinigte Königreich haben sich mit der Ukraine an einen Tisch gesetzt, um das Land mit Sicherheitsversprechen zur Übergabe der Kernwaffen zu bewegen. Entsprechend steht bereits in den ersten beiden Artikeln des Memorandums, dass sich die drei Mächte gegenüber der Ukraine dazu verpflichten, die Souveränität und die bestehenden Grenzen des Landes zu achten. Außerdem bekennen sich die drei Mächte zu ihrer Verpflichtung zum Gewaltverzicht." Kim Jong Un wird herzlich lachen.
Archiv: Politik

Kulturpolitik

Im SZ-Gespräch mit Jörg Häntzschel spricht Monika Grütters über eine mögliche Modernisierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Zukunft des Berliner Humboldt-Forums, fehlende konkrete Ideen und einen noch immer fehlenden Intendanten: "Ziel ist ein Haus aus einem Guss. Wer so ein Haus formt, braucht klare Weisungsbefugnisse. Klar, die Institutionen, auch die Stadt Berlin, werden zugunsten der Gesamtidee Befugnisse abgeben müssen. Mit der Anerkennung dieser Gesamtverantwortung eines Intendanten tut sich Berlin, das ja auch eine Fläche im Forum bespielt, im Moment noch sehr schwer. Dabei müsste das im Hinblick auf die Ausstrahlung und für das Gelingen des Hauses auch im Interesse der Stadt liegen."
 
Für den Tagesspiegel berichtet Birgit Rieger von einer Podiumsdiskussion in Dahlem zur Provenienzforschung im Humboldt-Forum. Neben Hermann Parzinger sprach unter anderem Lili Reyels, Kuratorin am Humboldt Lab Tanzania, über die Zusammenarbeit mit afrikanischen Kollegen mit Blick auf die Kriegsbeute aus dem Maji-Maji-Aufstand, die heute im Ethnologischen Museum lagert.
Archiv: Kulturpolitik