Wie konnte die
AfD in Sachsen stärkste Partei werden,
fragen sich Lilith Volkert und Baran Datli auf
sueddeutsche.de. Immerhin ist Sachsen das Land mit dem
größten Wachstum neben Berlin, der geringsten Verschuldung und der
höchsten Investitionsquote. Doch in den ländlichen Regionen ist der neue Reichtum oft nicht angekommen. Dazu kommt, dass sich die CDU-Regierung
nie klar gegen die Rechten positioniert hat und auch an Demokratievermittlung wenig interessiert war: "Die Wiedervereinigung lief für viele Menschen in der DDR zu schnell ab, glaubt Grit Hanneforth vom Kulturbüro Sachsen. ... Insbesondere die sächsische CDU, die das Land seit der Wende regiert, habe einen 'Wir-kümmern-uns-schon-Politikstil' verfolgt. Entscheidungen traf die Regierung, Bürger wurden
kaum einbezogen. Man hätte den Bürgern besser erklären müssen, wie eine Demokratie funktioniert. Dass man nicht nur zur Wahl gehen dürfe, sondern sich auch engagieren müsse, sagt Hanneforth. Stattdessen wurde
zivilgesellschaftliches Engagement als etwas 'Linkes' abgelehnt."
Franziska Holzfurtner
sieht bei den
Salonkolumnisten die Prägung durch die
DDR-Politik als Ursache des Defätismus in den neuen Ländern: "Die Vorwürfe und die Paranoia der AfD projizieren oft
reale Verhältnisse der DDR auf die heutige Regierung. Autokratische Eliten, Denunziantentum, Einfluss ausländischer Mächte bis in die Wirtschaft hinein, Wahlbetrug, lügende Politiker: Ehemaligen Bürgern der DDR fällt es so leicht, in die AfD-Denke einzustimmen, weil sie das Bild von Politik widerspiegelt, mit dem sie
aufgewachsen sind. Sie sind immer noch im Widerstand, so wie ein Veteran mit PTSD mental den Krieg nicht loswird. Es wäre abenteuerlich zu glauben, dass das in einer Generation überwunden werden könnte."
Auch Stefan Kleie, Literaturwissenschaftler an der Technischen Universität Dresden, nimmt die
Ossis in der
FAZ in Schutz: "Es ist zumindest denkbar, dass der vermeintliche 'Rassismus der Mitte' besonders bürgerlicher Ostdeutscher, denen plumper Sozialneid nicht einfach unterstellt werden kann, gar nicht dem einzelnen Flüchtling, sondern
dem Flüchtling als Ikone eines gesellschaftlichen Konsenses gilt."
Nicht die Flüchtlingsfrage hat die Wähler zur AfD getrieben, sondern das Gefühl,
abgehängt worden zu sein,
glaubt Robert Misik in der
taz: "Wie alle
psychopolitisch mächtigen Gefühle sind diese Emotionen wahr - im Sinne von berechtigt - und unwahr zugleich. Die Quellen des Verdrusses sind bestimmt nicht völlig unverständlich, aber ihr Umschlagen in blinde Wut und aggressiven Hass ist bei vielen an der Grenze zum Pathologischen. Parteien wie die AfD gewinnen nicht, weil ihre Wähler gern weniger Ausländer im Land hätten (oder gar keine). Sie gewinnen, weil Menschen so frustriert sind, dass sie das System
auf den Knien sehen wollen."
Und Isolde Charim
warnt ebenfalls in der
taz mit Blick auf die Hassgefühle der AfD-Wähler: "
Repräsentiert bekommen Ressentiments einen ganz anderen Stellenwert als nicht repräsentiert. Kurzum - Repräsentation verändert das Repräsentierte: Sie verwandelt spontane Vorurteile in
politisch akzeptierte."
Vielleicht hat der Wahlsieg der AfD in Sachsen aber auch
was Gutes,
versucht der in Leipzig geborene Politologe
Michael Lühmann auf
Zeit online die Sache positiv zu sehen. Die CDU kann jetzt nicht länger mehr so tun, als hätte Sachsen
kein rechtes Problem: Gewonnen haben "der Richter
Jens Maier, der die NPD gegen Rechtsextremismusforscher in Schutz nahm, von 'Mischvölkern' und 'Schuldkult' schwadroniert, aber eben auch und gerade die Bundesparteivorsitzende
Frauke Petry, die im Gründungsprozess der AfD der vom Verfassungsschutz beobachteten, extrem islamfeindlichen Partei Die Freiheit die heimischen und zugleich parteilichen Pforten öffnete und Björn Höckes Parteirausschmiss in früheren AfD-Zeiten
bewusst hintertrieb - sie sind die neuen politischen Leitfiguren in Sachsen."
Inzwischen hat die AfD mit dem Zerbrechen der AfD-Landesfraktion in Mecklenburg-Vorpommern (
mehr dazu hier) und dem
Auszug von Frauke Petry aus der Bundesfraktion ihre ersten Spaltungen nach Einzug in den Bundestag erlebt. Ob Petry genug Abgeordnete für eine neue Fraktion mitnehmen kann, ist noch unklar,
erklärt Maria Fiedler im
Tagesspiegel, aber ein Blick auf die Truppe, die sich da nach der Wahl präsentiert hat, legt für sie nahe, dass es
nicht die einzige Spaltung bleiben wird: "Die Männer sitzen vor einer Spiegelwand in einem Leipziger Hotel, sie tragen Anzüge: In ihrer Mitte sitzt der umstrittene Richter Jens Maier, der sich als 'kleiner Höcke' geriert und auf Landeslistenplatz zwei in den Bundestag eingezogen ist. Die Männer
lästern über Petry. Auf das Direktmandat angesprochen, das die Parteichefin in ihrem Wahlkreis geholt hat, sagt Maier: In dem Wahlkreis hätte man auch einen '
blauen Besen in die Ecke stellen können'... Der Auftritt macht außerdem deutlich: Es wird schwer sein, die potenziell 93 Abgeordnete fassende Fraktion
zusammenzuhalten."
Außerdem
sammelt der
Tagesspiegel Reaktionen von Kulturschaffenden auf den Wahlerfolg der AfD.
Es gibt auch einen Beitrag der nach vorne blickt: Ingo Dachwitz
hofft bei
netzpolitik.org auf die Jamaika-Koalition. "Gerade zwischen den beiden kleinen Parteien finden sich gar nicht mal so wenige Schnittmengen. Gemeinsam könnten sie die Union, die viele
netzpolitische Fragen in ihrem Programm nur mit wenigen Sätzen oder überhaupt nicht behandelt hat, zu einer
progressiveren Netzpolitik treiben."
An der
Berkley Universität in Kalifornien wurde eine groß angekündigte
"Free-Speech-Week" abgesagt, bei der Alt-Right Aktivisten wie
Milo Yiannopoulos oder der ehemalige Trump-Berater
Steve Bannon sprechen sollten. Yiannopolous sieht darin eine
Zensur und Verstoß gegen die
Meinungsfreiheit. Marc Neumann hat sich in der
NZZ mit dem Trend zur Opferstilisierung rechter Bewegungen
auseinandergesetzt: "Unschwer erkennt man die Parallele zu Donald Trump, der ganze Bevölkerungsgruppen unflätig beschimpft, gleichzeitig die Presse als Fake-News-Produzentin geißelt und ihr mit der Verschärfung des Straftatbestands der Verleumdung droht, derweil er sich als ihr Opfer darstellt. Diese
Doppelrolle von Ankläger und Opfer hat in den USA Tradition, wie Jelani Cobb, Historiker und Journalismus-Professor an der Columbia-Universität, am Beispiel von D. W. Griffith, Kopf hinter der Wiedergeburt des Ku-Klux-Klans im Stummfilm 'Birth of a Nation' (1915), jüngst in Erinnerung rief."