9punkt - Die Debattenrundschau

So eine Schwarze Null

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.10.2017. Der Showdown in Katalonien geht weiter: Der katalanische Ministerpräsident ruft händeringend nach "Vermittlung", weil er sonst die Unabhängigkeit erklären muss. Die taz streitet über das Pro und Contra: Eine der Fragen wäre wohl, ob die Wahlbeteiligung von 42 Prozent wirklich ausreicht, um die Unabhängigkeit auszurufen. In Deutschland wird weiter über die AfD diskutiert: Die Ossis sind durchanalysiert, aber warum reüssiert die AfD in Bayern und Baden-Württemberg, fragen Zeit und SZ. Und Golem.de notiert: Die Bundesregierung verzichtet lieber auf die geplante Evaluierung des Leistungsschutzrechts.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.10.2017 finden Sie hier

Europa

Die Ereignisse in Katalonien spitzen sich weiter zu. Gestern Abend hat hat der katalanische Ministerpäsident Carles Puigdemont scharf auf die Rede des Königs geantwortet. Mehrfach verlangt er Vermittlung, annonciert aber nicht genau, wann er die Unabhängigkeit erklären will - gegenüber der BBC hatte er dies am Dienstag für das Wochenende oder danach in Aussicht gestellt. Nun sagt er laut dem englischsprachigen Dienst von elnacional.cat: "Ich bin sicher, wir werden der Welt unser bestes Gesicht zeigen, wenn die katalanischen Institutionen das Ergebnis des Referendums umzusetzen haben." Die BBC erläutert: "Während katalanische Offizielle die Zustimmung für die Unabhängigkeit beim Referendum mit 90 Prozent angeben, sind die Endergebnisse noch nicht mitgeteilt worden. Die Wahlbeteiligung wird auf 42 Prozent geschätzt."

Die 42 Prozent Wahlbeteiligung sind für Raul Zelik in einem pro und contra der taz kein unüberwindliches Hindernis: "Trotz des uneindeutigen Mandats ist die Gründung einer katalanischen Republik jetzt der einzig mögliche Schritt, um eine demokratische Lösung des Konflikts zu erzwingen. Denn Madrid verweigert sich seit 15 Jahren jedem Kompromiss." Dagegen plädiert Jost Maurin, dem die katalanische Unabhängigkeitsbewegung nicht links genug ist. Und taz-Korrespondent Rainer Wandler wirft einen kritischen Blick auf den spanischen König Felipe.

Außerhalb der Ex-DDR hatte die AfD ihren größten Wahlerfolg in der bayerischen Provinz. Das hat vor allem mit der immer größeren Spaltung von Stadt- und Landbevölkerung zu tun, erklären in der SZ Sebastian Beck und Hans Kratzer: "Der Ausbau der Kinderbetreuung, Ehe für alle, berufliche Gleichstellung von Mann und Frau - all das hat nach anfänglichem Widerstand ausgerechnet die CSU mitgetragen und vorangetrieben. Einerseits beugte sich die Partei damit dem Wandel der Gesellschaft, andererseits verprellte sie einen Teil ihrer konservativen Wähler, die sich wunderten, warum die CSU droben in München beim Christopher Street Day mitmarschiert, während daheim die Flurprozession vor Pfingsten zur Exotenveranstaltung verkommt. Die Landbevölkerung kam sich in der öffentlichen Debatte, gerade wenn es um die Rolle der Familie ging, als gebrandmarkt vor."

Gut geht's auch den Heilbronnern, was nicht zuletzt Audi zu verdanken ist. Trotzdem wählten 16,4 Prozent die AfD. Das Zeit-Dossier versucht herauszufinden, warum: "Die Arbeitslosenzahlen sind immer noch niedrig in Heilbronn. Die Löhne noch immer hoch. Noch ist kaum etwas passiert. Aber in Heilbronn fühlt es sich für einige so an, als ob. Wie ein Vorgriff auf die Zukunft. Und plötzlich ist da eine Partei, die sagt, die ganze Diskussion um den Klimawandel sei Unsinn. Eine Partei, für die ein Verbrennungsmotor nicht wie ein Symbol der Vergangenheit wirkt."

Wenn diese Wählerschichten etwas verbindet, dann ist es vor allem die Wut auf die neue kosmopolitische Mittelschicht, die weniger auf Geld setzt als auf Qualität und der alten Mittelschicht wie der Unterschicht das Gefühl vermittelt, kulturell abgehängt zu sein, meint der Soziologe Andreas Reckwitz im Interview mit der Zeit. Zumal diese neue Mittelschicht dabei ganz schön ausbeuterisch verfährt: "Das ist Teil des neuen Mittelklassekosmopolitismus: Man bedient sich ungeniert im gesamten kulturellen Ressourcenhaushalt, inklusive der Vergangenheit. Man wohnt in Altbauwohnungen, hat ein Tattoo und macht Tai-Chi - historische Tradition, geografische Fremdheit und fremde Klasse werden sich angeeignet, alles drei übrigens ein sehr guter Fundus für das Singularisierungsspiel."
Archiv: Europa

Kulturpolitik

Bei einer Podiumsdiskussion in Wien hat sich Documenta-Kurator Adam Szymczyk nochmal zum Millionen-Defizit der Großausstellung geäußert, berichtet Michael Huber im Wiener Kurier - demnach ist ein Defizit gar nichts Schlechtes: "Eigentlich ist so eine Schwarze Null ein ziemlich trauriges Bild. Ein großes kulturelles Unternehmen sollte andere Farben in die Diskussion einbringen."

Außerdem: In der FAZ rammt Andreas Rossmann in einem Aufwasch die neue unterirdische Straßenbahn in Karlsruhe und die geplanten Keramikreliefs von Markus Lüpertz an den Haltestellen in den Boden. In der Zeit annonciert Benedict Erenz die Eröffnung des neuen Hauses des Historischen Museums in Frankfurt: "Immer, immer geht es in diesem Haus, frech und oft provokant, auch um die Stadt von heute. Einst, aber jetzt ist das Motto."
Archiv: Kulturpolitik

Medien

Einen kleinen Skandal am Rande notiert Friedhelm Greis bei golem.de: Entgegen der Koalitionsvereinbarung wird das Leistungsschutzrecht in Deutschland am Ende der Legislaturperiode nicht evaluiert: "Das bestätigte ein Sprecher von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) auf Anfrage von Golem.de. Für eine Auswertung sei das derzeit anhängige Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zum Leistungsschutzrecht von Bedeutung." Das Gesetz - das sich in der Praxis als Flop erwies - wurde gegen die Stimmen der SPD von der bis 2013 regierenden CDU-FDP-Koalition beschlossen - die SPD hatte für die jetzt zu Ende gehende Wahlperiode die Evaluierung verlangt.

In der Debatte zwischen den Zeitungen und den Öffentlich-Rechtlichen um das Internet tröstet Daniel Bouhs in der taz die Zeitungen mit der Unfähigkeit der Sender: "Sind öffentlich-rechtliche Angebote wirklich das Problem? ARD-Funktionäre weisen auf die Abrufstatistiken hin, die tatsächlich zeigen: Bei den News-Portalen dominieren private Seiten. Öffentlich-Rechtliche haben - auch regional - nie eine entscheidende Rolle gespielt, sondern sind für Verlage ein Problem unter vielen."
Archiv: Medien

Gesellschaft

Der Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain will gegen sexistische Werbung kämpfen und hat dafür einen 28-seitigen Leitfaden veröffentlicht (unser Resümee). Im taz-Interview mit Heide Oestreich kämpft die Gleichstellungsbeauftragte Petra Koch-Knöbel mit den Abgrenzungsproblemen: "Mit Bikini-Werbung an sich habe ich ja auch gar kein Problem. Ich bin ja nicht prüde. Man muss da schon genauer hingucken: Wie ist die Frau präsentiert, wie guckt sie?" Auf den Plakatflächen des Bezirks soll aber auf keinen Fall für Diäten, Damenrasierer und Faltencremes geworben werden, da bleibt Koch-Knöbel fest.

O.J. Simpson ist nach neun Jahren Gefängnis auf Bewährung entlassen worden. Andrea Köhler schildert in der NZZ noch einmal, welche symbolische Rolle der Prozess um Simpson, der des Mordes an seiner Ex-Frau und ihrem Geliebten angeklagt war, in der Geschichte der Beziehungen von Schwarz und Weiß in Amerika , aber auch in der Mediengeschichte spielte. Der live übertragene Mordprozess, der zu Simpsons Freispruch führte (ins Gefängnis kam er wegen eines anderen Vergehens), habe Amerika zur Reality-TV-Show gemacht: "In ihrem Verlauf wurden die Vorstellungen über die Rassenbeziehungen für die weitere Zukunft geprägt - eine Entwicklung, die mit einem gegen Minoritäten wetternden Reality-Star im Weißen Haus, notorischer Polizeigewalt gegen Schwarze und der 'Black Lives Matter'-Bewegung heute an einem Siedepunkt angelangt ist."
Archiv: Gesellschaft