9punkt - Die Debattenrundschau

Kulturelle Konfliktachse

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.10.2017. Aktualisiert: Im Tagesspiegel fordert Neil MacGregor mehr enzyklopädische Museen weltweit. Bei der Buchmesse kam es zu Tumulten, als linke Gegendemonstranten eine Veranstaltung des Antaios-Verlags stören wollten. Aber es wäre falsch gewesen, diesen Verlagen keinen Stand zu geben, meinen SZ und Welt. Wie es wirklich zugeht, wenn man von Rechtsextremisten bedroht wird, erzählt die Autorin Manja Präkels im Interview mit der FR. Was heute "links" und "rechts" ist, ist heute längst nicht mehr so leicht zu sagen wie in den gloriosen Zeiten der großen Volksparteien, schreibt der Politologe Arnim Schäfer in der FAZ.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.10.2017 finden Sie hier

Gesellschaft

In der taz berichtet Jonas Fedders ausführlich von den Tumulten, zu der es auf der Buchmesse gekommen ist, als der rechte Antaios-Verlag seine Lesungen veranstalten wollte. "Auf dem Programm standen etwa Akif Pirinçci, der erst kürzlich wegen Volksverhetzung verurteilt worden war, sowie Aktivisten der rechtsextremen Identitären Bewegung. Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, nahm an einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Präsentation des Buchs 'Mit Linken leben' von Caroline Sommerfeld (mehr hier) und Martin Lichtmesz teil." Wie verwirrend das dann folgende Handgemenge war, wird in einem Bericht bei Buzzfeed.de deutlich.

Sehr plastisch erzählt auch Alex Rühle in seinem SZ-Resümee von den Tumulten und bestätigt die These des viel diskutierten Buchs "Mit Rechten reden", "dass die neuen Rechten mit uns allen ein lang geübtes Sprachspiel spielen, indem sie jedesmal so lange provozieren, bis man verbal zurückschlägt. In dem Moment können sie sich hinstellen und sagen: Seht ihr, wir werden die ganze Zeit diffamiert."

Es gibt dennoch keinen Grund, diesen Verlagen den Zugang zur Buchmesse zu verwehren, meint Lothar Müller in der SZ: "Die im Vorfeld der Messe erhobene Forderung, Verlagen, die der politischen Rechten nahestehen, gar nicht erst den Zugang zur Messe zu gewähren, ist durch den Eklat nicht im Nachhinein bestätigt worden. Wäre der Börsenverein ihr nachgekommen, hätte er den Opfermythos der Ausgeschlossenen, die Rede von der Mainstream-Öffentlichkeit, die unter sich bleiben will, mit neuem Brennstoff versorgt." So sieht es auch Marc Reichwein in der Welt.

Die antirassistische Amadeo Antonio Stiftung stellt sich in einem Facebook-Statement gegen diese Ansicht: "Es hat sich gezeigt, was passiert, wenn man der Neuen Rechten einen Raum bietet - sie versuchen ihn mit allen Mitteln zu besetzen. Mehrfach drängten sich Vertreter_innen in laufende Interviews, um das Wort zu ergreifen. Sie inszenierten sich permanent als Opfer einer vermeintlichen Einschränkung der Meinungsfreiheit."

Manja Präkels, deren Debütroman "Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß" vom Kampf einiger Jugendlicher gegen Nazis in einer brandenburger Kleinstadt erzählt, kann im Interview mit der FR auch aus ihrem Leben von rechten Überfällen erzählen. So war sie als 16-Jährige in der Disco bei Zehdenick, die 1992 von Neonazis überfallen worden war. Dabei war der 18-jährige Ingo Ludwig so schwer verletzt worden, dass er starb: "Es gibt eine Zuspitzung im Buch. Andererseits habe ich das so erlebt. Nur die zeitlichen Abstände zwischen den Vorfällen waren länger. Als Lokalredakteurin habe ich die Polizeiberichte vervollständigt. Die Leute kamen zu mir, wenn Nazis ihnen auflauerten und sie zusammenschlugen. Ich habe dann versucht, es öffentlich zu machen. Denn im Polizeibericht kamen solche Überfälle öfter mal nicht vor. Relativ schnell kam raus, dass einer der Polizisten dort seinen Sohn deckte. Es ging so weit, dass ich von einem Nazikonzert erfuhr, das der Polizei erzählte und die wiederum die Nazis warnten, die das Konzert dann verlegten."
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Ideen

Einfach war es mit "links" und "rechts" noch, als es nur um Fragen wie mehr oder weniger Staat ging, schreibt der Politikwissenschaftler Armin Schäfer in einem Essay für die Gegenwartsseite der FAZ - und damals waren die Volksparteien noch stark. "Nicht nur sich selbst, sondern auch die Parteien konnten die meisten Menschen auf dieser Links-rechts-Achse zuverlässig einordnen. Doch seit den siebziger Jahren hat sich eine neue, kulturelle Konfliktachse herausgebildet. Auf ihr werden nicht zuvorderst ökonomische oder soziale Themen, sondern 'postmaterielle' Werte verhandelt. In der Sprache der Politikwissenschaft: Universellen oder kosmopolitischen Einstellungen stehen partikularistische oder kommunitaristische Einstellungen gegenüber."

Außerdem:In der NZZ antwortet der christliche Philosoph Jan-Heiner Tück auf einen Artikel Slavoj Zizek, in dem dieser die Philosophen in die "Korrumpierer" und die "Normalisierer" einteilt - und erstere provokanterweise bevorzugt. Habermas sei ein Normalisierer, weil er gegen den Korrumpierer Sloterdijk etwa in der Bioethik nur den Status quo verteidige. Tück macht ein wenig überraschendes Angebot: "Das Christentum offeriert hier Sinnangebote, welche die großen Fragen der Schöpfung, Rettung und Vollendung betreffen."
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Kulturpolitik

(aktualisiert 10.58 Uhr) Sollen Museen Artefakte zurückgeben, die im Rahmen kolonialistischer oder allgemein kriegerischer Handlungen erbeutet wurden?  Im Tagesspiegel weicht Neil MacGregor dieser Frage langatmig und sehr geschickt aus: "Die Sammlungen können einen wertvollen und nützlichen Beitrag leisten, die Welt zu verstehen, aber auch die unterschiedlichen Weltansichten deutlich zu machen, letztendlich wie Gulliver anders über uns selbst zu denken. In diesem Sinne braucht es mehr von diesen enzyklopädischen Museen weltweit. Die Museen müssen zu Leihbibliotheken werden." Dann wäre es ja eigentlich auch egal, wem ein Ausstellungsstück "gehört".
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Religion

Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi hat vierzig Thesen für einen Reformislam an der Tür der salafistischen Dar-as-Salam-Moschee in Berlin angeschlagen und wurde dafür vom Pastor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Martin Germer, kritisiert. Necla Kelek solidarisiert sich in der Allgemeinen Zeitung mit Ourghi, der nur fordere, dass "hiesige Moscheen unabhängig von der Finanzierung und dem Einfluss aus dem Ausland agieren müssen. Diese Forderungen sind nicht neu, der ägyptisch-deutsche Publizist Hamed Abdel-Samad oder ich fordern dies seit Jahren. Neu ist nur, dass sie jetzt von einem praktizierenden Muslim ausgehen. Ourghi nährt damit die Hoffnung, dass die notwendige Diskussion um die Stellung und Reform des Islam nicht mehr nur eine Angelegenheit von Dissidenten in Europa bleibt, sondern einen innerislamischen Diskurs auslöst."

In der taz behauptet Daniel Bax im Gespräch mit Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, "Scharfmacher" wollten die "Kooperation mit den Islam-Verbänden beenden, weil diese 'aus dem Ausland gesteuert' würden. Was sagen Sie dazu?" Darauf antwortet Mayzek: "Wir als Zentralrat waren noch nie vom Ausland gesteuert und propagieren einen Islam in Deutschland. Aber es gibt andere Religionsgemeinschaften, ob nun spanische Katholiken oder die griechisch-orthodoxe Kirche, die ihren Bezug zum Ausland beibehalten wollen. Und dagegen ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nichts einzuwenden. Ob das integrationsfördernd ist, ist eine ganz andere Frage."
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Medien

In der SZ berichtet Klaus Ott über den neuesten Stand bei der Affäre um das Institut für Rundfunktechnik der öffentlich-rechtlichen Sender, dem beinahe 100 bis 200 Millionen Euro veruntreut worden wären (unser Resümee). Der jetzt laufende Prozess könnte weitere Pannen enthüllen, so Ott. "Das IRT wird von den Anstalten kräftig subventioniert, was wohl gar nicht nötig wäre, hätte sich das Institut nicht im Millionenschlaf befunden."
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