9punkt - Die Debattenrundschau

Ideen für Schuluniformen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.10.2017. An tunesischen Schulen herrscht Unruhe, berichtet das Blog Nawaat.org: Schülerinnen wollen die für sie vorgeschriebene unkleidsame Schürze nicht mehr tragen. Die Debatten um #MeToo gehen weiter. In amerikanischen Medien zirkuliert ein Papier über "Shitty Media Men". Erstes Opfer ist Leon Wieseltier, der eine Zeitschrift gründen wollte und nun kein Geld mehr bekommt. In der NZZ spricht György Dalos über seinen marxistischen Phantomschmerz. Und in China ist die große Ära des "Xi-Jinping-Denkens" angebrochen. FAZ und SZ suchen eine Erklärung.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.10.2017 finden Sie hier

Gesellschaft

Die #MeToo-Kampagne darf sich nicht allein auf den weißen Mann fixieren, findet Ahmad Mansour in der taz: "58.000 Frauen hier mitten unter uns sind von Genitalverstümmelung betroffen, wie die gerade erst kürzlich veröffentlichte - und wie ich finde schockierende - Studie der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes belegt. Weitere 13.000 Frauen sollen zudem aktuell gefährdet sein. Haben Sie dazu einen Aufschrei gehört? Ich nicht. Abgesehen von der Empörung einiger Frauenrechtsorganisationen - Stille."

So sieht das auch die Bloggerin und Feministin Marlen Hobrack in der Welt. Es seit fatal, den Sexismus "weißer alter Männer" anzuprangern, über den Sexismus von Flüchtlingen aber zu schweigen, gerade mit Blick auf rechte Gewalttäter: Tatsächlich zeige sich in den Gewaltstatistiken, "dass besonders junge Männer, die aus Krisen- und Kriegsgebieten stammen, in denen das Recht des Stärkeren herrscht, die erlernten Verhaltensweisen nicht einfach ablegen. Die Konsequenz kann nicht lauten, dass Flüchtlinge deswegen abgeschoben werden müssen. Problematische soziale Prägungen verschwinden jedoch auch nicht einfach, wenn man nicht über sie spricht. Schlimmer noch: Schweigt man, aus Angst, Fremdenfeinden Munition zu liefern, tun man genau das, was Pegida und Co. schon lange behaupten: Man erlegt sich Sprechverbote auf."

Unruhe herrscht an tunesischen Schulen, weil immer weniger Mädchen, die für sie obligatorischen Schürzen (hier einige Bilder) tragen wollen- ein "sittsames Kleidungsstück", allerdings ohne Kopftuch, berichtet Yasmine Akrimi im tunesischen Blog Newaat.org. Angefangen hatte es an einer Schule in Tunis: "Die Gymnasiastinnen haben beschlossen zu reagieren. Am 30. September organisierten sie mit Unterstützung von gut hundert männlichen Schulkameraden einen Tag in einer schwarz-weißen Uniform. Siwar, eine Schülerin der gleichen Schule erklärt: 'Man hat uns aus der Klasse gewiesen und gesagt, dass man uns ohne Schürze nicht akzeptieren würde. Alles was wir wollen, ist, als gleiche behandelt zu werden. Wir bereiten übrigens Ideen für Schuluniformen vor...' Und sie fügt hinzu: 'Wir wollen nicht verurteilt werden, nur weil wir als Mädchen geboren wurden. Schon im jüngsten Alter behauptet man uns gegenüber, dass wir alle gleich seien. Also sollen alle die Schürze tragen oder keiner."
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Medien

Jennifer Schuessler berichtet in der New York Times, dass Leon Wieseltier, ehemals New Republic, sein neues Zeitschriftenprojekt zurückzieht, nachdem Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen ihn laut wurden und die Stiftung, die sein Projekt finanzieren sollte, abgesagt hat. Gefördert wurde das Projekt vom Emerson Collective  der Steve-Jobs-Witwe Laurene Powell Jobs. Mehr dazu im Atlantic, wo Adrienne Lafrance über ein in amerikanischen Medienkreisen zirkulierendes Papier über "shitty media men" berichtet - ein Excel-Dokument, in dem Vorwürfe gegen Mediengranden zusammengefasst wurden ("der Atlantic ist im Besitz einer Kopie, veröffentlicht sie aber nicht, weil die Anschuldigungen anonym und nicht belegt sind").

Und der Telegraph meldet, dass Condé Nast wegen ähnlicher Vorwürfe nicht mehr mit dem Fotografen Terry Richardson zusammenarbeitet.

Rainer Wandler erkundet in der taz, was die Gleichschaltung Kataloniens durch die spanische Zentralregierung bedeutet, etwa für die Staatssender: "Die Redaktionsräte der staatlichen spanischen TVE und Radio Nacional haben sich hinter ihre katalanischen Kollegen gestellt. Im Gegensatz zum spanischen Staatsfernsehen TVE wurde der katalanische TV3 nie international wegen fehlender Ausgewogenheit gerügt. Und während sich TV3 zweistelliger Zuschauerzahlen erfreut, haben die Regionalsender dort, wo die PP regiert, fast alle Zuschauer verloren. 'Es gibt keine Partei, die die öffentlichen Medien so gängelt wie Rajoys PP', sagt Ramon Espuny (Kulturredakteur bei TV3)."
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Ideen

Es hat lange gedauert, bis György Dalos mit dem Marxismus abschloss, erzählt er in der NZZ, immer noch ein bisschen traurig über den Verlust: "Am längsten hielt mich die historische Perspektive gefangen, die Aussicht, dass der Kosmos, in dem ich mich nicht mehr zu Hause fühlte und der voller existenzieller Bedrohungen für die Menschheit war, mit der Zeit dennoch humaner, genießbarer sein könnte, also dass der von Marx prophezeite Sprung aus dem Reich der Notwendigkeit in dasjenige der Freiheit noch zu meinen Lebzeiten und ohne Einmischung eines Staates erfolgen kann. Selbst als ich mich gegen Mitte der siebziger Jahre nicht mehr als Kommunist definieren konnte - hierzu trug auch nichtmarxistische Lektüre bei -, hing ich immer noch an einer Zukunft, als wäre ich durch deren Verlust aus einem Himmelreich ausgestoßen."

Separatismus in Spanien, "Säuberungen" in Polen, Moskau-Anhänglichkeit in Serbien, Antisemitismus in Ungarn, Erinnerungsverbote in Ruanda und Kambodscha - all diese Länder haben eines gemeinsam: Sie verweigern die Auseinandersetzung mit ihrer blutigen Vergangenheit, meint Marko Martin in der Welt. "Wer jedenfalls - wie es AfD-Politiker tun - der Bundesrepublik vorwirft, sie 'wühle' in ihrem öffentlichen Diskurs und in der schulischen Geschichtsvermittlung 'geradezu in der eigenen Schande', schaue einmal dorthin, wo es keine permanente Selbstverständigung über die nationale Vergangenheit gibt. Denn solches Verschweigen macht nicht etwa souverän-gelassen, sondern mürrisch und aggressiv, permanent auf Revanche sinnend."
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Politik

Auf dem Parteitag der KP in China ist glatt eine neue Ära des "Xi-Jinping-Denkens" ausgerufen worden, und der aktuelle Parteichef wurde auf eine Stufe mit Mao Tsetung gehoben. Mark Siemons versucht in der FAZ, die hierzulande bizarr klingende Meldung einzuordnen: "Noch existiert keine zusammenhängende Gesamtdarstellung dessen, was als 'Xi-Jinping-Denken' gelten soll. Doch aus der gestern verabschiedeten Resolution und aus früheren Reden Xis wird deutlich, dass mit 'Denken' kein freihändiger intellektueller Höhenflug eines Einzelnen gemeint ist, sondern die Einfügung in einen Corpus amtlicher Texte, der damit zugleich bestätigt und erweitert wird."

In der SZ wird Kai Strittmatter sehr viel deutlicher: "Xi macht Schluss mit Prämissen der Reform- und Öffnungspolitik Deng Xiaopings. Sein China ist nicht länger ein Staat, der dem wirtschaftlichen Erfolg alles unterordnet. Im Zentrum steht nun die politische Kontrolle. Seine Partei ist keine mehr, die Aufgaben abgibt, an den Staat, an Unternehmen, an NGOs. Jedes Fleckchen China soll ihr wieder gehorchen. Xi hat die wachsende Meinungsvielfalt wieder erstickt und großen Teilen der Zivilgesellschaft den Garaus gemacht." Für den Westen bedeutet das laut Strittmatter einen neuen "Wettbewerb der Systeme": "Europa muss sich ihm stellen. Die liberalen Demokratien müssen eine Stimme finden dem neuen China gegenüber. Natürlich kann und soll man mit China weiter kooperieren, egal ob beim Nordkoreaproblem, Klimawandel oder globalen Finanzsystem. Aber die Europäer müssen das tun in Kenntnis um die innere Verfasstheit Chinas und seiner möglichen Absichten. Es ist Zeit, dass Europa seine Ignoranz und Naivität ablegt."

Elias Perabo, Gründer der deutsch-syrischen Organisation "Adopt a Revolution", die sich für die Zivilgesellschaft in dem geschundenen Land einsetzt, kritisiert im Gespräch mit Lucia Heisterkamp von der taz, die Gleichgültigkeit der deutschen Linken - Die Organisation Attac hat sich gar mit einem offenen Brief gegen die Kritik der Organisation an Russland verwahrt: "Im letzten Winter führte Russland nicht nur einen erbarmungslosen Kampf gegen die Aufständischen in Aleppo, sondern verfolgte die Strategie, jedes zivile Leben unmöglich zu machen. Gemeinsam mit dem syrischen Regime zerstörte die russische Luftwaffe systematisch Schulen und Krankenhäuser, was nicht nur zahlreiche internationale Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder Amnesty International kritisieren, sondern auch die UNO als dramatisches Kriegsverbrechen bezeichnet. Die Autoren von Attac verbitten sich jedoch jegliche Kritik an Russland und relativieren diese Gewalt: Nicht die syrische Diktatur sei am Syrienkonflikt schuld, sondern allein die USA. Das Schutzbedürfnis der bombardierten Menschen wird mit keinem Wort erwähnt."
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Europa

In der NZZ schreibt Felix Ackermann über die in Bedrängnis geratenen Europäischen Hochschulen in Budapest, Vilnius und St. Petersburg. Während in Ungarn und Russland der Druck von staatlicher Seite ausgeht, hat in Vilnius einer der Gründungsväter der Europäischen Humanistischen Universität (EHU), der Minsker Philosoph Anatoli Michailow, das Projekt in eine Gegenrichtung verdreht: Er "wollte sein akademisches Kind auch nach über zwei Jahrzehnten als Rektor nicht ins Erwachsenenleben entlassen. ... Diejenigen weißrussischen Wissenschafter, die 2014 offen protestierten, verloren im folgenden Jahr ihre Lehraufträge sowie ihre akademische Anbindung in Litauen. Der offenkundige Mangel an Transparenz, Selbstverwaltung und einer Repräsentation der belarussischen Zivilgesellschaft an der Exilhochschule hält verdiente Europäer nicht davon ab, Anatoli Michailow weiter symbolisch zu unterstützen."

Und dann noch diese Meldung aus dem Guardian: "Michael Bloomberg, Milliardär, Medienmogul und ehemaliger Bürgermeister von New York, sagte, dass 'der Brexit für sich genommen das Dümmste ist, was ein Land je unternommen hat', wenn man von der Wahl Trumps als US-Präsident absieht."
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