02.02.2018. Polen befindet sich auf dem Weg in einen Kulturkampf, konstatieren Zeit online und FR nach den neuesten Volten der polnischen Geschichtspolitik. Der Guardian schreibt Theresa May die Rede, die sie halten sollte - und die auf die "Norwegen-Option" hinausliefe. Die SZ schildert die terminatorische Zensur- und Überwachungspolitik Chinas. Das Europäische Leistungsschutzrecht und Upload-Filter sind in der EU auf einem traurigen Weg zur Verwirklichung, fürchtet Netzpolitik.
Europa, 02.02.2018
Der Senat in
Polen hat ein Gesetz verabschiedet, das all jene bestraft, die von "polnischen Todeslagern" sprechen und Polen der
Mitschuld an der Verfolgung von Juden bezichtigen. Natürlich gab es keine von Polen geleiteten Vernichtungslager während der NS-Zeit,
betont Thomas Kurianowicz in der
Zeit, aber das Gesetz sei nur ein weiteres
Propagandamittel, um zu verbergen, dass die polnische Regierung die Rede- und Meinungsfreiheit immer weiter einschränken will: "Das Gesetz ist ein Schritt in einem
Kulturkampf, an dessen Ende ein neues Polen stehen soll: ein patriotisches, nationalistisches Land, das
nur eine Art von Geschichtsschreibung kennt, nur eine Perspektive und Wahrheit. Ein Bewusstsein für historische Schuld ist in diesem Selbstbild nicht vorgesehen, sondern allein die Opferrolle." Zugleich schaut die Regierung weg, wenn Neonazis in Polen aufmarschieren, so Kurianowicz.
Staatspräsident
Duda steckt schon jetzt in einem Dilemma,
glaubt Jan Opielka in der
FR. Stimmt er zu, gefährdet er die außenpolitischen Beziehungen zu den USA und Israel, bei einem Veto stößt die PiS ihre rechten Wähler vor den Kopf: "Um diese nicht an radikalere Gruppierungen zu verlieren, müsste sie die Schuld an dem Streit Israel in die Schuhe schieben - das tun PiS-Politiker sowie genehme und kontrollierte Medien bereits. Die
antiisraelische Stimmung dieser Berichterstattung ist besorgniserregend - von Kommentaren, Tweets und geplanten Aufmärschen radikaler Gruppen gegen Israel nicht zu sprechen."
Theresa May hat einen Termin für eine Grundsatzrede über den
Brexit in der nächsten Woche abgesagt. Der
Guardian-Kolumnist Simon Jenkins
schreibt ihr den Text der Rede, die sie hätte halten sollen: "Meine Berater und alle, die wir konsultiert haben, sind fast einstimmig der Meinung, dass wir einen zollfreien Zugang zur EU aufrechterhalten sollten. Dies ist am leichtesten zu erreichen, wenn wir dem Europäischen Wirtschaftsraum beitreten, also durch die
sogenannte Norwegen-Option. Mir ist bewusst, dass ich diese Idee in der Vergangenheit ablehnte. Aber ich schlage vor, dass wir sie jetzt als Vorlage für eine langfristige Verhandlung nutzen sollten... Ich weiß um ihre Nachteile: Wir würden
eine Stimme, wenn auch nicht Einfluss in der EU-Handelspolitik verlieren."
Putins
Russland ist zwar ohne strategische Vision, aber auf dem besten Wege zur
Weltmacht,
stellt in der
NZZ der Leiter des Robert-Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa,
Stefan Meister besorgt fest. Die Macht des Stärkeren gilt Russland mehr als vereinbarte Regeln und internationales Recht: "Aus russischer Perspektive kommt es in dieser neuen, Hobbesschen Welt weniger auf die besten Technologien (kann man hacken) oder nachhaltige Wirtschaftspolitik (schafft nur Bequemlichkeit) an. Vielmehr geht es um
schnelle Entscheidungen, um die
Kaltschnäuzigkeit, auch unter Anwendung militärischer Gewalt zu agieren, sowie um die geschickte Kombination von militärischer Macht und
Beherrschung des Informationsraumes."
Gesellschaft, 02.02.2018
Jörg Sundermeier
stellt in der
taz den Neuköllner Buchhändler
Heinz Ostermann vor, der einem Netzwerk gegen Rechtsradikalismus angehört und darum von Rechtsradikalen drangsalisert wird: "Sein Buchladen ist eine normale Kiezbuchhandlung, er selbst kein Linksradikaler, seine Veranstaltungen finden nicht vorm Schwarzen Block statt. Er ist ein
Bürger mit einer Meinung. Und als solcher wird er bedroht. Sein Wagen wird abgebrannt, nicht auf einem Geschäftsparkplatz, sondern vor seiner Wohnung, in einem benachbarten Berliner Stadtteil. Hier zielt die Attacke nicht nur auf den Laden, sondern ganz konkret
auf die Person."
Ohne Allianzen von Frauen kann
#MeToo in einer patriarchalisch geprägten Arbeitswelt nichts bewirken,
konstatiert die Redakteurin der
Funke Mediengruppe, Caroline Rosales, im "10 nach 8"-Blog der
Zeit. Was die Solidarität miteinander angeht, müssten viele Frauen noch an sich arbeiten: "Gemeint ist die ewige Missgunst, die
verlogene Freundlichkeit, die besonders
fiese bitchiness unter Frauen. Die Eigenschaft, einander im Sprachduktus auf einer ständig passiv-aggressiven Ebene zu begegnen und sich nicht einen Meter Land, das bisschen mehr Erfolg, den emanzipierteren Mann oder das klügere Kind zu gönnen. Frauen schmieden selten Netzwerke, sie züchten keine Nachfolgerinnen, formieren sich nicht zu Geheimorden. Nein, sie hoffen aus einem kämpferischen Gedanken heraus, den sie mit Emanzipation verwechseln, es
als
Einzelgängerin gegen die ganze Welt schaffen zu können."
Überwachung, 02.02.2018
Der Traum aller autoritären Herrscher, totale Überwachung und Kontrolle des Volkes, nimmt für Chinas KP dank Big Data und künstlicher Intelligenz immer konkretere und absurdere Formen an, wie Kai Strittmatter auf Seite Drei der SZ berichtet. Nach Vorgabe der Partei soll Chinas KI-Industrie im Jahr 2030 150 Milliarden Dollar wert sein, per Gesichtserkennung kontrollieren "Automaten im Pekinger Himmelstempelpark die sparsame Entnahme von Klopapier (60 Zentimeter gibt der Automat pro Gesicht frei). Die Verkehrspolizei in Shanghai schnappt mit Überwachungskameras Fahrer, die ohne Führerschein unterwegs sind; die Polizei in Jinan stellt damit Fußgänger an den Pranger, die bei Rot über die Straße gehen: Ihre Gesichter erscheinen auf einem Videobildschirm am Straßenrand - zusammen mit dem Namen und der Adresse. Ihr landesweites Kameranetz hat Chinas Polizei vor Jahren schon auf den Namen 'Himmelsnetz' getauft, wahrscheinlich ganz ohne Ironie und ohne Anspielung auf die Terminator-Filme aus Hollywood, wo das Himmelsnetz ('Skynet') ein außer Kontrolle geratener Künstliche-Intelligenz-Organismus ist, dessen Ziel es ist, die Menschheit zu vernichten."
Internet, 02.02.2018
Leonhard Dobusch
resümiert in
Netzpolitik den Stand der europäischen Diskussionen zu den Themen
europäisches Leistungsschutzrecht und
Upload-Filter - das eine gedacht als "
Linksteuer" zu Päppelung der Zeitungsindustrie, das andere als
Vorzensur beim Upload von Inhalten, etwa auf Youtube, damit die Rechte der Verwerter gewahrt bleiben. Die Lage ist eher deprimierend: "Anstatt zu überlegen, wie
technologische Potenziale für kreative Gestaltung und Verbreitung von Inhalten im Netz legal ausgeschöpft werden könnten, wird mit Upload-Filtern wie schon in den 1990er Jahren vor allem über neue Maßnahmen zur
Rechtsdurchsetzung diskutiert." Dobusch verweist auf einen
Blogeintrag der EU-Abgeordneten
Julia Reda, die die Positionen der einzelen EU-Länder zu den Fragen in einer Grafik darstellt.
Medien, 02.02.2018
Auch beim zweiten Anlauf, den "Telemedienauftrag" zu beschließen, gab es nun am Donnerstag keine Einigung,
meldet Christian Meier in der
Welt. Eine Einigung der Länder über die strittigen Fragen kann so erst im Juni zustandekommen. Besonders gestritten wird über die "
Presseähnlichkeit": "Während es einigen Vertretern öffentlich-rechtlicher Sender am liebsten gewesen wäre, man hätte den Begriff
gleichsam entsorgt, weil er ihrer Meinung nach zu schwammig und im digitalen Zeitalter nicht adäquat sei, gibt es unter den Medienpolitikern dennoch Verständnis für die
Argumente der Verlage, die sich vor einer digitalen Expansion beitragsfinanzierter Medien geschützt sehen wollen."
Ideen, 02.02.2018
Die
NZZ widmet ihr Feuilleton heute
John Brockmans Cybersalon
edge.org, einer Community, in der der Literarturagent und Hauptvertreter der dritten Kultur, die die
Grenzen zwischen Wissenschaft und Philosophie untersucht, Wissenschafter, Ingenieure und Unternehmer aufforderte, eine
letzten Frage zu stellen. Der Psychologe David Pizzaro fragte etwa: "Sind wir klug genug um zu erkennen, wann wir die Grenzen unserer Fähigkeit, das Universum zu verstehen, erreicht haben?" Martin Rees, Professor für Kosmologie und Astrophysik: "Werden posthumane Existenzformen organisch oder elektronisch sein?"