9punkt - Die Debattenrundschau

Nervös geworden und zugeschlagen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
27.02.2018. Entsetzen herrscht in der Slowakei und in europäischen Medien über die Ermordung des Journalisten Jan Kuciak und seiner Freundin. Laut Bund macht der bekannte slowakische Autor Michal Hvorecky den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico, der gegen Journalisten hetzte,  mitverantwortlich. Die New York Times berichtet, wie schwer es Google und Facebook fällt, Verschwörungstheorien gegen Opfer des Massakers von Parkland zu unterbinden. Und im Freitag attackiert Guillaume Paoli die überhebliche taz.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 27.02.2018 finden Sie hier

Europa

Der slowakische Journalist Jan Kuciak (27) und seine Freundin sind in Bratislava offenbar von einem Auftragskiller regelrecht hingerichtet worden. Kuciak arbeitete für das dem Springer- und dem Ringier-Verlag gehörende Blog aktuality.sk, berichtet Hans-Jörg Schmidt in der Welt: "Kuciak hatte mehrere komplizierte Fälle von Steuerbetrug aufgedeckt. Seine Recherchen fanden eine große Öffentlichkeit. 'Aktualne.sk verzeichnet im Monat rund zwei Millionen Leser', sagte Martin M. Simecka von der Zeitung Dennik N dem tschechischen Hörfunksender Ceska rozhlas - Plus. 'Das ist eine für unser kleines Land sehr große Zahl. Mit Sicherheit sind da einige Leute, über die Kuciak verdeckt recherchierte, nervös geworden und haben zugeschlagen.'" In der SZ kommentiert Bastian Obermayr, der auch auf Kuciaks Mitarbeit an den Recherchen zu den "Panama Papers" hinweist. Hier der Bericht der SZ.

Bernhard Odenthal zitiert in seinem Artikel für den Schweizer Bund den bekannten slowakischen Autor Michal Hvorecky, der den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico mit verantwortlich macht. "Fico habe Journalisten zu vom Ausland bezahlten Feinden des Staates erklärt. Bekannt und auch filmisch dokumentiert ist die Antwort Ficos auf die Frage eines Journalisten nach der Korruption im Land: 'Einige von euch sind dreckige, antislowakische Prostituierte'."

Deniz Yücel wurde durch politischen Druck aus Deutschand feigelassen. Das gleiche kann Muratcan Sabuncu in der FAZ nicht von seinem Vater  Murat Sabuncu, dem ehemaligen Chefredakteur von Cumhuriyet sagen, der seit 480 Tagen im Gefängnis sitzt. Nun fürchtet Sabuncu, dass die "Türkei für europäische Politiker nicht mehr interessant sind, sobald einer ihrer Staatsbürger freigelassen wurde. Sie und alle anderen Europäer werden hoffentlich nie vergessen, dass die Türkei - als Mitglied des Europarats, als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention, ja selbst als EU-Beitrittskandidat - die Menschenrechte schützen muss. Nach dem Völkerrecht ist die Türkei dazu verpflichtet."

Auf Zeit online schildert Azadê Peşmen das Schicksal der Journalistin und Transfrau Diren Coşkun, die ebenfalls verhaftet wurde: "Ihr 'Vergehen': Sie ist Mitglied eines LGBT-Vereins mit dem Namen keskesor (Regenbogen)."

Gestern hat Jeremy Corbyn seine Grundsatzrede über den Brexit gehalten und eine Zollunion mit Einschränkungen gefordert. Rafael Behr sieht ihn im Guardian als milden Euroskeptiker, womit er eine Menge mit Theresa May gemein habe: "May hegt im Stillen ein nationalistisches Unbehagen an allem, was kulturelle und politische Gleichheit zwischen UK und dem Kontinent behauptet. Corbyn empfindet sozialistisches Misstrauen in Institutionen, die den freien Markt hochhalten... Das Schlüsselwort, das Corbyn nutzt, um die Beziehung zur EU zu beschreiben ist 'maßgeschneidert', ein Wort aus Mays kleinem Handbuch des Brexit-Bluffs. Sämtliche europäischen Politiker haben klargemacht, dass die Vorteile des Gemeinsamen Marktes nur als ein Ganzes zu haben sind, mit der Verpflichtung, Regeln einzuhalten. Rosinenpickerei... ist keine Option. Dies ist ein legaler Fakt, keine Verhandlungsposition."

Und um Europa nicht auf einer ganz sauren Note enden zu lassen: Hier erklärt John Oliver den Amerikanern die italienischen Wahlen


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Gesellschaft

Auch in China wird unter den wachsamen Augen der Kontrolleure über #MeToo diskutiert, berichtet taz-Korrespondent Felix Lee: "Getragen wird die Bewegung vor allem von jungen Frauen um die 20. Sie posten in den sozialen Netzwerken zu Millionen #WoYeShi und haben das Internet-Schlagwort an ihren Profilfotos angehängt. Sie sind es auch, die in den Einträgen eifrig über sexuelle Belästigung im Alltag diskutieren."

Gewalt gegen Juden in Deutschland "geht ausschließlich von Muslimen aus", behauptet der Historiker Michael Wolffsohn im Interview mit der NZZ: "Der gewalttätige Antisemitismus kommt heute nicht von rechts, auch wenn die irreführenden Statistiken etwas anderes sagen ... Viele Vorfälle landen unter dem Stichwort 'Israel-Palästina-Konflikt' in einer anderen Statistik, der für politisch motivierte Kriminalität. Freundlich formuliert, könnte man von Verschleierung sprechen."
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Politik

Nicola Glass geißelt in der taz die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft m Hinblick auf die Hunderttausenden Rohingya-Flüchtlinge in Myanmar. "Wiederholt scheiterte eine Resolution des UN-Sicherheitsrats am Veto beziehungsweise am Widerstand Chinas, das schon Myanmars treuester Verbündeter war, als das Land noch unter Militärherrschaft gestanden hatte, sowie Russlands. Dies zeigt einmal mehr die Handlungsunfähigkeit der Vereinten Nationen, die einzig auf mangelndem politischen Willen beruht."
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Internet

Die Chefs von Google, Facebook und Co. müssen heute bei der EU-Kommissarin Vera Jourova vorsprechen, berichtet Tanja Tricarico für die taz: "Nicht nur beim Umgang mit illegalen Inhalten, auch beim Verbraucherschutz droht den IT-Konzernen eine härtere Gangart. Für Jourova sind Facebook, Twitter oder Google+ Werbe- und Verkaufsplattformen. Also müssen sie auch die Verbraucherschutzregeln einhalten, findet Jourova. Und fordert eigentlich Selbstverständliches: 'Wir wollen klarstellen, dass die Geschäftsbedingungen der Internetfirmen dem EU-Recht unterliegen.' Dem ist derzeit nicht so: Immer wieder müssen Kommission oder nationale Behörden die meist aus den USA stammenden Firmen auffordern, EU-Verbraucherschutzregeln einzuhalten."

Ihre Grenzen bekommen die Internetgiganten derzeit auch von ihren Usern aufgezeigt. Der Schüler David Hogg, eins der überlebenden Opfer des Massakers an einer Schule in Florida, wird mit einer massiven Troll-Kampagne auf Youtube und Facebook als Schauspieler dargestellt, der nie bedroht worden sei. Google und Facebook haben zwar versprochen, diese Hasspostings zu entfernen, sie kommen aber nicht hinterher, schreiben Jack Nicas und Sheera Frenkel in der New York Times: "The resilience of misinformation, despite efforts by the tech behemoths to eliminate it, has become a real-time case study of how the companies are constantly a step behind in stamping out the content. At every turn, trolls, conspiracy theorists and others have proved to be more adept at taking advantage of exactly what the sites were created to do - encourage people to post almost anything they want - than the companies are at catching them."
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Medien

Warum überlassen linke Medien wie die taz heute so bereitwillig den Rechten die Verteidigung der "kleinen Leute", fragt sich Guillaume Paoli im Freitag. Im Blick hat er dabei einen Werbespot der taz, der einen "überheblichen Blick auf unterprivilegierte Schichten, die als physisch hässlich und mental gehässig karikiert werden" wirft. Und auch die Verteufelung des Internets stößt ihm sauer auf: "Es entbehrt nicht der Ironie, dass die taz gerade das 40. Jubiläum des 'Tunix-Kongresses' feierte, auf dem ihre Gründung auf den Weg gebracht wurde. Damals ging es ja darum, gegen die Verblendung durch Mainstreammedien ('Bild lügt!') eine 'Gegenöffentlichkeit' zu kreieren, Machtlosen eine Stimme zu geben. Wie sich die Zeiten ändern: Im Spot geriert sich jetzt die taz als 'Gegenstimme' zum Internet, sprich gegen die moderne Gegenöffentlichkeit, die pauschal als Brutstätte für Ressentiment und Unwahrheiten dargestellt wird. Ähnlich wirbt übrigens Bild derzeit mit dem Clip: "Bescheid wissen statt nachplappern" ... Noch mögen sich Rudi-Dutschke- und Axel-Springer-Straße voneinander differenzieren. Man bedient ja verschiedene Marktsegmente. Aber wenn es darum geht, das Bollwerk der Profession gegen ihren Hoheitsverlust zu verteidigen, sind sie sich einig."


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