9punkt - Die Debattenrundschau

Die Verantwortung des Unternehmenstyps Verlag

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
06.07.2018. Das EU-Parlament hat den umstrittenen Entwurf für eine Reform des Urheberrechts vorerst gekippt. Die meisten Medien sind zufrieden. Nur politico.eu, das dem in der Sache recht aktiven Springer-Verlag gehört, spricht von einem Sieg des Lobbyismus. Die Buchpreisbindung abzuschaffen, wäre "kulturpolitische Eselei", schreibt in der SZ der ehemalige SPD-Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin. In der Welt attackiert der Schriftsteller Joachim Lottmann Jürgen Habermas, der geradezu an allem schuld sei.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 06.07.2018 finden Sie hier

Kulturpolitik

Die Buchpreisbindung abzuschaffen wäre "kulturpolitische Eselei", schreibt in der SZ der ehemalige SPD-Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin und erinnert an die "ethische Dimension von Markteingriffen". Er verweist darauf, dass etwa im Vergleich zu Großbritannien nicht nur eine höhere Anzahl von Buchhandlungen, sondern auch eine größere Vielfalt von Buchproduktionen gewährleistet werde: "Der Effekt der Buchpreisbindung zur Förderung der Vielfalt tritt aber nur ein, wenn implizit oder explizit eine Praxis der Quersubventionierung im jeweiligen Verlag erfolgt. Konkreter: einzelne Bücher, von denen man sich einen großen Verkaufserfolg erwartet, ermöglichen es dem einzelnen Verlag, Bücher - zum Beispiel auch Gedichtbände - zu produzieren, von denen von vornherein anzunehmen ist, dass sie keinen Gewinn einspielen werden. Die Verantwortung des Unternehmenstyps Verlag für die kulturelle Entwicklung, natürlich immer in den Grenzen, die das eigene ökonomische Überleben sichern, ist die Voraussetzung dafür, an der Buchpreisbindung festzuhalten."
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Ideen

Habermas habe er nie gemocht, bekennt in der Welt der Schriftsteller Joachim Lottmann und vernahm entsprechend am Mittwoch, als Habermas den Deutsch-Französischen Medienpreis erhielt (unser Resümee), auch nur "hohle Phrasen" und ein "Hochamt der Selbstgerechtigkeit": "Das hat alles mit dem 21. Jahrhundert nichts mehr zu tun. Keinerlei Antworten oder auch nur Gedanken zum politischen Islamismus. Kein Wort zu jener Situation in fünf oder zehn Jahren im blutig versinkenden Zwei-Milliarden-Afrika. Kein Wort zur Demografie bei uns und ihren Folgen in den nächsten zwei Generationen, wenn auf einen Teenager acht Greise kommen. Dafür soll für jede Dummheit und jedes haarsträubende Missmanagement in Drittweltstaaten der Westen verantwortlich sein, am besten gleich und sehr wortgewaltig denunziert als 'wir'. Eigentlich ist solch eine Arbeit am ewigen Weinberg des Selbsthasses und ein Verleiten ganzer Bevölkerungsteile in die falsche Richtung verantwortungslos. Und wenn Habermas einen Rechtsruck konstatiert, hat er zwar recht, und das ist natürlich schrecklich. Doch trägt er nicht sogar dafür eine Mitverantwortung?"

In der SZ hörte Cerstin Gammelin unterdessen einen Habermas, "der weiß, dass die eigene Kraft nicht mehr reichen wird, die Werte, für die er ein Leben lang gekämpft hat, zu verteidigen. Und der seine Erben wohl nicht für stark genug hält, dies zu tun."

Endlich regt sich Widerstand gegen die "linke Orthodoxie" an angelsächsischen Universitäten, schreibt Markus Schär in der NZZ mit Blick etwa auf den Psychologieprofessor Jordan Peterson, der sich dagegen wehrte, Transgender-Personen mit den von ihnen gewünschten Pronomen  ("ze", "xem") anzusprechen - (und nun mit maskulinistischen Programmen durch die USA und Kanada tourt, unser Resümee). Schär meint: "Die Ideen der 'alten weißen Männer' von Plato bis Kant führten zwar unbestreitbar zu Kolonialismus und Imperialismus, zu Wirtschaftskrisen und Umweltkatastrophen; aber sie schufen zugleich eine Zivilisation, die den Menschen gemäß allen denkbaren Maßstäben mehr Lebensqualität, Freiheit und Glück bietet - gerade auch Personen, die sich nicht als Männer oder Frauen fühlen."
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Medien

(Via turi2) im Gespräch mit Kai-Hinrich Renner im Hamburger Abendblatt fordert die RTL-Chefin Anke Schäferkordt, dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender wieder auf "Information, Kultur und Bildung" konzentrieren: "Wenn Sie sehen, dass derzeit Modelle diskutiert werden, die durch eine Indexierung den Anstalten Budgetsicherheit gibt und es ihnen weitgehend überlässt, was sie mit diesem Geld machen, haben wir ein Problem. In den letzten zwanzig Jahren ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer mehr in Gebiete vorgedrungen, in denen die Privaten zu Hause sind."

2017 kamen bei den Öffentlich-Rechtlichen Erträge von 7,97 Millionen Euro zusammen, meldet Christian Meier in der Welt - und doch gibt es eine signifikante Zahl von Bürgern, die keinen Beitrag zahlen, deshalb soll es noch in diesem Jahr einen Datenabgleich mit den Einwohnermeldeämtern geben: "Ohne den Abgleich, so das Argument, sehe der Gesetzgeber die Gefahr, dass die Zahl der Wohnungen (die Wohnung ist der Maßstab für einen Beitrag), deren Bewohner nicht für ARD, ZDF und Deutschlandradio zahlen, zu stark ansteigt. Was wiederum zulasten der Allgemeinheit ginge. 'Beitragsgerechtigkeit' ist das Stichwort, das hier gerne fällt."

Außerdem: Der Zeitungsforscher Horst Röper konstatiert im Interview mit Sophia Krause vom Tagesspiegel eine immer stärkere Konzentration auf dem Zeitungsmarkt.
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Internet

Das EU-Parlament hat die Reform des Urheberrechts in der jetzigen Fassung abgelehnt, informiert unter anderem Peter Weissenburger in der taz. Der  CDU-Abgeordnete Axel Voss, der die Reform betrieb, hatte zwar nochmal die Kampagne gegen Uploadfilter und Europäisches Leistungsschutzrecht als Google-gesteuert diffamiert, aber eine Gegenrede kam von Catherine Stihler von der schottischen Labor Party: "Stihler lobte die Vorarbeit des Rechtsausschusses, mahnte aber an, es gebe noch zu viele offene Fragen, um die Reform jetzt zu beschließen. 'Auswirkungen, die Artikel 13 auf die Meinungsfreiheit hat, sind noch nicht adressiert worden', sagte Stihler. Die Reform wird auf der nächsten Plenarsitzung am 10. September erneut diskutiert. Bis dahin können die Abgeordneten im Rechtsausschuss Änderungsvorschläge erarbeiten." Im September soll erneut abgestimmt werden.

Die Gefahr ist damit noch nicht vorüber, kommentiert Jannis Brühl bei sueddeutsche.de. Es gehe um viel mehr als um Internet-Memes, die womöglich eine Disney-Figur einsetzen: "Eine ungewöhnliche Allianz aus Urheberrechts-Lobby und Sicherheitspolitikern will Scan- und Blockier-Mechanismen über das Internet legen. Sind die erst einmal installiert, laden sie zum Missbrauch ein. Unternehmen und Polizeibehörden speisen in Datenbanken ein, was gesperrt werden soll - bisher ohne demokratische Kontrolle."

"Lobbyisten haben die Oberhand gewonnen", schreibt dagegen Joanna Plucinska bei politico.eu und meint damit Google und Co.: "Alle großen Fraktionen wurden gespalten, auch die Europäische Volkspartei, die den Vorschlag des Rechtsausschusses und den Berichterstatter Voss zunächst einhellig unterstützt hatte." Plucinska vergisst zu erwähnen, dass politico.eu dem Springer-Verlag gehört, also dem wichtigsten Lobbyisten auf der Verlagsseite.

Außerdem: Alexander Fanta feiert die Entscheidung bei Netzpolitik als Etappensieg. Bei irights.info kommentiert David Pachali.
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Gesellschaft

Sehr höflich wendet sich die Autorin Katharina Hacker in einem offenen Brief an den Bundestag, um die in der CSU zu Tage getretene Verwilderung der politischen Sitten zu geißeln: "Unsere menschliche, politische Würde als Teil einer demokratischen Gesellschaft hängt daran, dass die Weise, wie unterschiedliche Interessen ausgehandelt werden, jederzeit mit den Werten unserer Verfassung vereinbar ist.  Eine Verrohung im Inneren, leichtfertiger Umgang mit dem Leitsatz des Grundgesetzes zerstören unsere Lebens- und Glücksmöglichkeiten und die unserer Kinder."

Obwohl das Bundesverwaltungsgericht im letzten Jahr einem Antrag auf Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital stattgab, weigert sich Gesundheitsminister Jens Spahn, das Mittel, das zum Suizid dient, für sterbewillige Patienten freizugeben. Der Rechtsanwalt Robert Roßbruch vertritt einige Patienten und sagt im Interview mit Frank Nicolai von hpd.de: "Es kann nicht sein, dass in einer liberalen, pluralistischen und säkularen Gesellschaft ein aus sehr nachvollziehbaren Gründen zum Freitod bereiter Mensch einen sogenannten harten Suizid begehen muss, also sich vor einen Zug werfen, von einer Brücke stürzen, sich erhängen, ertränken oder erschießen muss, nur weil ihm der Bundesgesetzgeber, mithin die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag aus ideologisch respektive religiös motivierten Gründen die Möglichkeit eines humanen Freitods untersagt."
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Politik

In der Jüdischen Allgemeinen ärgert sich der Schriftsteller Vladimir Vertlib über rechte Politiker, die die Nähe zu Israel suchen, um den Vorwurf des Rassismus zu entkräften: "Dies sind Menschen, von denen sich manche noch vor wenigen Jahren mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen hervorgetan hatten, Menschen, die, wenn sie älter sind, einst Kurt Waldheim gewählt und vor der 'Macht des Weltjudentums' gewarnt hatten, heute aber ihre Sites und Profile in sozialen Netzwerken mit Israelfahnen schmücken, Netanjahu bewundern und behaupten, Jerusalem sei unteilbar und werde für immer und ewig Israels Hauptstadt bleiben. Grund dafür ist meist die simple Vorstellung 'Der Feind meines Feindes ist mein Freund'. Wer 'den Islam' als gefährliche Ideologie, 'den Muslim' als Feind und Flüchtlinge als Bedrohung ausmacht, ist oft gerne bereit, 'die Juden' als Verbündete zu sehen."
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