9punkt - Die Debattenrundschau

So homogen wie Hamburger

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.07.2018. Die FR ist empört über Mark Zuckerberg, der auf Facebook alles Mögliche verbietet, aber die Holocaust-Leugnung erlaubt. Liegt's am Sommerloch? Immer noch wird über das "Pro und Contra" der Zeit zur Seenotrettung diskutiert. In der Welt fordert Gunnar Heinsohn eine nach IQ auslesende Einwanderungspolitik. In der SZ fordert Gert Heidenreich eine wehrhafte Demokratie gegen rechts. Emma.de spricht mit Studenten der Humboldt-Uni, die sich gegen ein von erzkonservativen Verbänden dominiertes Islam-Institut wehren.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.07.2018 finden Sie hier

Medien

Noch ist die Debatte um das "Pro und contra" der Zeit zu privaten Seenotrettern und Mariam Laus "Contra" (unsere Resümees) nicht ganz abgeschlossen. Gestern brachte die Chefredaktion der Zeit eine (jetzt online stehende und stark kommentierte) Erklärung dazu, die Welt-Autor Thomas Schmid als ziemlich heuchlerisch empfindet: "Sie hat sich nicht hinter ihre Kollegin gestellt, deren demokratische und liberale Gesinnung unbestreitbar ist. Sie hat sich vielmehr in einem bigotten Text von ihr distanziert. Natürlich nicht auf die plumpe Art, sondern sehr gewunden... In Wahrheit wurde die Redakteurin an den Pranger gestellt, innerredaktionell ausgegrenzt."

Anja Maier in der taz kann die Kritik an der Erklärung nicht verstehen: "Die Autorin des Contra-Beitrags werde an den Pranger gestellt, aus der Gesamtredaktion ausgegrenzt. Was für ein Trigger-Bullshit." Vielleicht sollte man vor dem Weiterdiskutieren einfach mal Mariam Laus Reportage (kostenlos, aber man muss sich anmelden) von 2017 über die Flüchtlingshelfer auf See lesen. Und auch dieser Kommentar Laus zeigt, dass "ertrinken lassen" für sie sicher keine Option ist.

Ganz melodramatisch wird Thomas Knüwer in seinem Blog Indiskretion Ehrensache, der der Zeit vorwirft, "rechtsextremen Gedanken den Weg ins Bildungsbürgertum" zu öffnen und das sogenannte "Overton-Fenster", also den Rahmen des politisch gerade noch Sagbaren, ohne dass den Hanseaten die Goldknöpfe vom Blazer platzen, zu verschieben. Auch Knüwer insistiert, wie schon einige in der Debatte, dass man bestimmte Sachen einfach nicht sagen dürfe: "Rechte Kreise versuchen auch hier das Overton-Fenster zu verschieben. Sie bezeichnen es als 'Zensur' oder 'Denkverbot', wenn hetzerische Texte nicht veröffentlicht werden und bereiten damit der Idee einen Boden, dass auch extreme Meinungen Raum bekommen dürfen. Motto: 'Das wird man doch mal andenken dürfen.' Nein, darf man nicht, soll man nicht. Solche Meinungen dürfen gern im Hallraum der rechten Filterblase, von Tichys Einblick bis Kopp-Verlag versanden. Wer ihnen Raum gibt, der macht sie gesellschaftsfähig und unterstützt sie dadurch. So wie Die Zeit. Und dabei ist Laus Text keine Ausnahme."

Ziemlich deprimierend lesen sich die jüngsten, bei Meedia analysierten IVW-Zahlen der Verlage - also die Zahlen der für Werbetreibende ermittelten tatsächlichen Auflagen der Medien. Zu den Zeitschriften schreibt Jens Schröder: "Dramatische Verluste von 14,6 Prozent verbucht unterdessen der Stern. Nur noch 315.934 Exemplare setzt das G+J-Magazin per Abo und Einzelhandel ab - eine dramatische Entwicklung. Der Spiegel liegt inzwischen bei 530.657, verlor diesmal ebenfalls deutliche 7,5 Prozent." Beide Magazine hatten einmal Auflagen um eine Million Exemplare. Bei den Zeitungen sieht es laut Schröder nicht so viel anders aus: Die Bild-Zeitung ist um 10 Prozent gefallen, die Auflage der FAZ liegt inzwischen bei unter 200.000, die der Welt bei 83.000.
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Politik

In der SZ meint Alexandra Föderl-Schmid über die Verabschiedung des israelischen Nationalstaatsgesetzes, das die Rechte der jüdischen Bürger stärken soll und das Hebräische zur alleinigen Amtssprache erklärt: "Das Gesetz ist ein Affront gegenüber einem Fünftel der Bevölkerung. Die arabischen Israelis fühlen sich zu Recht ausgestoßen durch diese zum Gesetz gewordene Zurückweisung. Diskriminierung ist nun erlaubt, Minderheitenrechte müssen nicht mehr respektiert werden. Dieses Gesetz ist auch ein Verrat an der vor 70 Jahren zur Staatsgründung beschlossenen Unabhängigkeitserklärung."

Noch in seiner abgeschwächten Form führt das Gesetz zu einer "Rassengesellschaft", meint Christian Weisflog in der NZZ: "Die Erklärung dafür ist die Angst vor der demografischen Entwicklung. Jeder fünfte Israeli ist heute arabischer Abstammung. Nimmt man die palästinensische Bevölkerung im besetzten Westjordanland hinzu, würde der Anteil 40 Prozent betragen. Mit dem Gazastreifen bestünde eine demografische Parität."

Der russische Spionage-Angriff auf die amerikanische Demokratie hat längst die Dimensionen von Watergate erreicht, schreibt Georg Mascolo in der SZ und zeichnet die Ereignisse minuziös auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse nach. Er meint: "Sollte es so gewesen sein, dass Trumps Leute wissentlich mit den Russen kollaboriert haben, wird es für den Präsidenten eng. Sollte er die Justiz behindert haben - oder es noch tun - muss er zurücktreten. So wie Nixon. Beweise für diese Vorwürfe gibt es nicht."
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Internet

Kennt man ja, wieder versehentlich den Holocaust geleugnet, schreibt Paul Schlereth in der FR und erklärt, was es bedeutet, wenn  Facebook Holocaust-Leugnung als Meinung und somit als schützenswertes Gut einstuft: "Man darf den Holocaust leugnen, wenn man a) nicht absichtlich völlig durchgeknallt ist und b) nicht zur Gewalt aufruft. Mit der Prämisse a wird so ziemlich jeder denkbare menschenfeindliche und verschwörungstheoretische Gedankengang vertretbar, wenn sich der Absender auf seine geistige Verwirrtheit beruft oder man ihm diese zumindest theoretisch unterstellen kann. Die Prämisse b legt nahe, ein Beitrag müsse ganz konkret zur Vergasung von Minderheiten aufrufen, um gelöscht zu werden. Wenn jemand lediglich leugnet, dass solch eine systematische Vergasung jemals stattgefunden hat, scheint das für Facebook weniger bedenklich als ein nackter Nippel zu sein."
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Europa

Laut dem "Religionsmonitor" der Bertelsmann-Stiftung fordern etwa die Hälfte der Westdeutschen, sechzig Prozent der Ostdeutschen und 39 Prozent der Muslime die kulturelle Anpassung von Migranten, schreibt Alan Posener in der Welt, kritisiert jedoch die Ungenauigkeit der Fragen: "Was meinen jene 55 Prozent der 16- bis 24-Jährigen und 52 Prozent der 25- bis 39-Jährigen, die ein 'Zusammenwachsen' der Kulturen befürworten? Meinen sie das, was der amerikanische Politologe Benjamin Barber 'McWorld' nannte? Eine Weltkultur, so homogen wie Hamburger? Eine in der Bewunderung von Ed Sheeran und der Abhängigkeit von Touchscreens vereinte popkulturelle 'Imagine'-Utopie, in der die Hautfarbe lediglich ein Accessoire und die Religion vielleicht lästig, vielleicht cool, in jedem Fall aber ungefährlich ist? (...) Benjamin Barber warnte lange vor 9/11, dass die Antwort auf McWorld der Dschihad sein würde."
 
Sehr gute Englischkenntnisse, ein Alter unter 44 Jahren, hohe Qualifikation und guter Verdienst im bisherigen Berufsleben garantieren Migranten den Einstieg nach Australien, schreibt der Soziologe Gunnar Heinsohn in der Welt - und fordert eiskalt auch für Europa eine strikte Auslese: "So wird Australien zum ersten westlich geprägten Land, bei dessen Zuwanderern ein höherer IQ (100) gemessen wird als bei dort Geborenen (99). Es gibt mit Singapur überhaupt nur eine weitere Nation, der dieses Kunststück gelingt (105 zu 106). In der westlichen Welt schafft das oft genannte Einwanderungsvorbild Kanada immerhin noch 102 zu 100, während Deutschland mit 100 zu 92 eine typisch westeuropäische Relation aufweist. Australiens bestens qualifizierte Neubürger schaffen sehr schnell so hohe Einkommen, dass sie jährlich rund 21 Milliarden australische Dollar an ihre Familien überweisen können. Die staatliche Entwicklungshilfe dagegen erreicht nur knappe vier Milliarden."
 
Trotz des Anti-EU-Populismus, auch in Tschechien, warnt Pavel Kohout, den Marko Martin für die Welt kurz vor dessen heutigem neunzigsten Geburtstag in Prag besucht hat, vor Kulturpessimismus: "Lassen wir uns mal nicht zu sehr von den heroischen Bildern aus dem August 68 täuschen! So viele Tschechen damals auch protestiert hatten und so mutig sie auf die Panzer gestiegen waren, mit aufgerissenen Hemden gegen die russischen Besatzer und mit der Parole 'Dubcek, Dubcek', so schnell mussten sie sich dann den Realitäten der sogenannten Normalisierung beugen. Wenn ein Land in einem Jahrhundert gleich zweimal besetzt wird - wie könnte das keine Anpassungsspuren in der Psyche seiner Bewohner hinterlassen?"
 
Haben Seehofer, Salvini, Kurz und Co gar nichts aus der Vergangenheit gelernt, fragt der Schriftsteller Gert Heidenreich fassungslos in der SZ und ruft auch Verbände und Kirchen zu Widerstand gegen die "Finsternis des Geistes" auf: "Offensichtlich trauen die verbliebenen demokratischen Parteien in Europa den eigenen Grundsätzen so wenig zu, dass sie wie das Kaninchen auf die Schlange starren, statt entschlossen gegen die antidemokratischen Ideologen vorzugehen. Wie war das noch mit der 'wehrhaften Demokratie', als die Bundesrepublik sich durch die Terroristen der RAF so bedroht fühlte, dass die Parlamentarier bis hart an die Grenzen der Verfassung gingen? Die Bedrohung, der sich Europa heute ausgesetzt sieht, ist unvergleichlich höher. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass regierungsamtliche Volksverhetzung und Terror von rechts sich die Hand reichen werden."
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Religion

Alexandra Eul spricht für emma.de mit Martin Omnitz und Bafta Sarbo vom Studierendenrat der Humboldt-Uni, die erklären, warum sie sich vehement gegen das von der Uni geplante Islam-Institut wenden, wo künftig Religionslehrer ausgebildet werden sollen. Streitpunkt ist die Besetzung des Beirats des Instituts mit ausschließlich erzkonservativen Islamverbänden. Omnitz sagt: "Das Thema Gleichstellung zwischen Frauen und Männern ist uns wichtig. Und als ich die 'Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands' das erste Mal gegoogelt habe, bin ich auch sofort auf deren Erklärung zur Homo-Ehe gestoßen. Da wurden Schwule und Lesben auf eine Art angegriffen, wie ich es sonst nur von rechten Trollen im Netz kenne. Sie haben die Homo-Ehe als 'organisierte gesellschaftliche Verirrung sowie die Verwässerung jeglicher Moral, Ethik und Religiosität' bezeichnet. Und diese Menschen sollen Imame und Religionslehrer ausbilden, die dann am Ende einen Stempel von der HU Berlin bekommen? Das ist schon unglaublich!"

Weiteres: Die deutsche Politik träumt von einem "deutschen Islam", den sie dann ebenso mit Steuergeldern und Religionslehrerposten ruhig stellen kann, wie sie das mit dem Kirchen erfolgreich hinbekommen hat. Darum soll auf Initivative des Staatsministers im Bundesinnenministerium Markus Kerber die Islamkonfernez wieder zusammentreten. Canan Topcu sieht bei Zeit online allerdings noch ein paar Probleme.
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