9punkt - Die Debattenrundschau

Die Idee des bösen Genies

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
31.07.2018. Während die britische Regierung katastrophale Umfragewerte hat, über die Sky News berichten, ist Labour mit den Antisemiten in eigenen Reihen beschäftigt, von denen sich Jeremy Corbyn laut Financial Times partout nicht distanzieren will. AFP berichtet, dass die syrischen Behörden Ordnung machen: Erste Syrer erfahren offiziell, dass ihre Angehörigen tot sind - aber 80.000 Syrer, die vom Regime verschleppt und gefoltert wurden, sind noch vermisst. Die taz fordert das "Deutschland der Weißen" auf, sich mit Rassismus auseinander zu setzen.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 31.07.2018 finden Sie hier

Europa

Sky News veröffentlicht eine Umfrage mit katastrophalen Werten für die britische Regierung: "Die Umfrage zeigt: Die Regierung verliert rapide das Vertrauen in den Brexit-Verhandlungen. Zwei Drittel der Befragten - inklusive einer Mehrheit der Leave-Befürworter - denken, dass das Ergebnis der Brexit-Verhandlungen schlecht sein wird für Britannien. Ein weit größerer Anteil der Befragten als bisher denkt, dass der Brexit ihnen selbst , der Wirtschaft und dem Land schaden wird. Die meisten Leute befürworten ein Referendum, um zwischen der von der Regierung vorgeschlagenen Lösung, No Deal und einem Verbleib in der EU abzustimmen." 

Die Berichterstattung über Antisemitismus in der Labour-Partei reißt nicht ab - Jeremy Corbyn hat sich dabei entschlossen, eher zu den Antisemiten in der Partei zu halten, als zu jenen, die sie kritisieren, schreibt Robert Shrimpsley in der Financial Times. Beweis ist, dass Labour die weithin akzeptierte Definition von Antisemitismus durch die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) nicht anerkennen will (unser Resümee). Dabei "verhindert nichts in den IHRA-Formulierungen eine Kampagne für die palästinensische Sache, außer in aufrührerischer Sprache, die Antisemitismus erzeugt. Aber genau diese von der IHRA bekämpften Extreme sind das, was Labour am entschiedensten retten will. Statt Antisemitismus auszuschließen, hat Labour sich entschlossen, ihn neu zu definieren und die Ankläger zu bestrafen." In der taz berichtet Dominic Johnson über den Labour-Stadtverordneten Damien Enticott, der neulich auf seiner Facebook-Seite ein Video mit dem Titel "Jüdische Rituale - Sie trinken Blut und saugen Babypenis" postete. Der Jewish Chronicle präsentiert die Tonaufzeichnungen des engen Corbyn-Mitarbeites Peter Willsman, der die ganze Diskussion um Labour und den Antisemitismus als eine Kampagne "jüdischer Trump-Fans" bezeichnet.

Cas Mudde, Autor des Buchs "Populism - A Very Short Introduction and The Far Right in America", warnt im Guardian vor einem europäischen Steve-Bannon-Hype, der Bannon aus purer Überschätzung so hoch schreibe, dass er am Ende wirklich wichtig werde: Die Idee des bösen Genies, besonders weit rechts,  sei zwar verführerisch. "Sie hilft, das Böse zu externalisieren. Statt zu akzeptieren, dass nationalistische und populistische Ideen Teil des Mainstreams in den Gesellschaften sind, wird ihr Erfolg als Ergebnis eines infamen Plans präsentiert, der von einem politischen Mastermind ersonnen wurde und in dem eine leichtgläubige Bevölkerung von einem charismatischen Führer verführt wird."

Auf der Seite 3 der SZ beschreibt Christiane Wernicke den Kölner Parteienklüngel, in den sogar die parteilose Bürgermeisterin Henriette Reker hineingezogen zu werden droht. Dazu kommt, dass in der Kölner Stadtverwaltung (Berlin lässt grüßen!) unwillige und inkompetente Mitarbeiter offenbar nicht entlassen werden können: Auch Ex-Oberbürgermeister Fritz Schramma von der CDU "bezweifelt, dass ein OB als Chef von 18.500 Mitarbeitern je Herr im Rathaus sein könne: Ein sehr schwieriges Amt, sagt Schramma, der bis zum Einsturz des Stadtarchivs 2009 neun Jahre lang die Stadt repräsentiert hat. Außerdem gebe es Schwächen im System. Das kölsche Problem, dass 'keine klare Abgrenzung' zwischen Rat und Verwaltung existiere: 'Diese Allgemeinverantwortlichkeit führt zu Nullverantwortung. Man geht lieber im Kollektiv unter.' Einen Amtsleiter wegen Unfähigkeit zu entlassen sei in Köln unvorstellbar." Ausbaden, versteht sich, muss es der Bürger, der im Schnitt zehn Jahre auf den Bau einer neuen Schule warten muss.
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Politik

(Via mena-watch.com) In Syrien kehrt langsam Ordnung zurück. Und das sieht nach einem AFP-Bericht, hier auf al-monitor.com, so aus: "Es wird geschätzt, dass Zehntausende von Menschen in Syrien festgehalten werden. Verwandte und Anwälte berichten, dass sie oft gefoltert werden, dass ihnen ein fairer Prozess verweigert wird und dass sie keinen Kontakt zu Familien haben. Die Angehörigen werden in der Schwebe gelassen und verbringen Jahre, unter Aufwendung ihrer Ersparnisse, um zu erfahren, wo ihre Angehörigen festgehalten werden oder ob sie überhaupt noch am Leben sind.  Aber jetzt erzählen Aktivisten und Familien der inhaftierten Syrer, dass Behörden stillschweigend die zivilen Register aktualisiert haben und Häftlinge als 'Verstorbene' kennzeichnen. Todesfälle werden auf das Jahr 2013 zurückdatiert." 400 Angehörige haben durch das Standesamt vom Tod der lang Vermissten erfahren, so der Ticker. 80.000 Syrer sollen vom Regime zum Verschwinden gebracht worden sein.
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Stichwörter: Syrien, Syrienkrieg

Gesellschaft

Die taz macht nochmal ein paar Seiten über die #MeTwo-Kampagne. Lin Hierse verlangt im Kommentar, dass die Deutschen die Kritik auch zulassen: "Die Privilegierten sind gewohnt, einen geschützten Platz für Stimme und Person vorzufinden. Wer privilegiert ist, muss nicht zwingend lernen, ernsthaft zuzuhören. Die Erfahrungen der von Rassismus und Diskriminierung betroffenen Menschen sind kein Angriff auf eine angeblich intakte deutsche Gesellschaft. Sie zeigen, dass es längst eine krasse Diskrepanz gibt zwischen dem Deutschland der Weißen und dem Deutschland der als migrantisch, also in irgendeiner Form als fremd markierten Menschen in diesem Land." Auf einer Seite schildern vier Autorinnen und Autoren ihre Erfahrungen - von Beschimpfungen bis zu Reiseverboten.

Ist Erdogans AKP nicht eigentlich das türkische Gegenstück zur hiesigen AfD? In der FAZ findet Michael Hanfeld jedenfalls den Rassismus-Vorwurf an die Deutschen in der Özil-Debatte reichlich überzogen. Die Kritik an Özil habe nichts mit dessen Herkunft zu tun, sondern mit seinem Eintreten für einen spalterischen türkischen Präsidenten: "Darauf macht Özil zum Beispiel der kurdischstämmige Fußballspieler Deniz Naki aufmerksam, der in Deutschland und der Türkei Fußball spielte, hier wie dort rassistisch angegriffen und in der Türkei wegen vermeintlicher 'Terrorpropaganda' (für die kurdische PKK) verurteilt und als Spieler gesperrt wurde. ... Deniz Naki bittet den Kollegen Özil darum, daran zu denken: 'Diejenigen die dich bei der nächsten Reise in die Türkei mit offenen Armen empfangen, werden genau dieselben sein, die mich rassistisch angreifen. Zwischen Faschisten unterscheidet man nicht, diese sind überall, in jedem Land gleich.'"
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