9punkt - Die Debattenrundschau

Neuer deutscher Kulturkampf

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.09.2018. Das Blog der New York Review of Books erinnert daran, wie Baschar al Assad und Wladimir Putin in Syrien die Wahrheit besiegten. In der taz fragt Wenzel Michalski, dessen Sohn in einer Berliner Schule attackiert wurde, weil er Jude ist, warum der Antirassismus den Antisemitismus offenbar nicht so recht bekämpfen will. Golem.de staunt über die Arroganz der Google-Hierarchen, die zu einer Anhörung des amerikanischen Senats schlicht nicht anreisten. Und mehrere Medien prüfen für Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen die Fakten.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 08.09.2018 finden Sie hier

Gesellschaft

Antirassismus schließt Bekämpfung von Antisemitismus offenbar nicht ein, schließt in der taz Wenzel Michalski von Human Right Watch, dessen Sohn in einer Schule in Berlin-Friedenau auch körperlich attackiert wurde, weil er Jude ist. Die Lehrer baten daraufhin um Verständnis, weil arabische Schüler damit auf den Nahostkonflikt reagiert hätten: "Wenn schwarze Kinder an der Schule wegen ihrer Hautfarbe von Mitschülern gequält werden, wirft man den Verantwortlichen zu Recht Rassismus vor. Beschimpfen und beleidigen Gruppen von Jungs ihre Mitschülerinnen, so ist der Vorwurf der Frauenfeindlichkeit berechtigt. Aber ähnliche Taten werden erfahrungsgemäß anders bewertet, wenn die Mobbingopfer Juden sind. Da es sich ja um 'Israelkritik' handelt, kann selbst gewalttätiger Antisemitismus verharmlost und relativiert werden. Die Berichte darüber häufen sich in letzter Zeit. An der Friedenauer Gemeinschaftsschule hängt immer noch das Schild 'Schule ohne Rassismus'. Bei Antisemitismus gilt dieser hehre Vorsatz offensichtlich nicht."

Die taz druckt auch ein Kapitel aus Samuel Salzborns Buch "Globaler Antisemitismus - Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne", das im Anschlag vom 11. September den Beginn einer "neuen Offensive des Antisemitismus" sieht.

Nach den Debatten um Chemnitz werden nun auch die Fakten geprüft: Nach der Behauptung des Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen, ein Chemnitzer Video, das einen Angriff auf einen Ausländer zeigt, sei möglicherweise gefälscht, legt Kai Biermann in Zeit online einen "Faktencheck" vor - ohne geringsten Hinweis auf eine Fälschung. Auch tagesschau.de prüfte. In Chemnitz soll bei den Ausschreitungen von Neonazis außerdem ein jüdisches Restaurant angegriffen worden sein, berichtet Claus-Christian Malzahn in der Welt.

In der FAZ unterhält sich Sabine Kray mit der Schriftstellerin Siri Hustvedt über #MeToo und die Folgen. Hustvedt greift noch mal das französische "Papier der Catherines" (unsere Resümees) an: "Wenn diese hundert Frauen aus Frankreich sich solche Sorgen um unsere sexuelle Freiheit machen, warum kämpfen sie nicht für das Recht der Frauen, ohne die Zustimmung der Männer zu grapschen? Weil es ihnen gefällt, bloß ein passives Objekt zu sein, was wiederum nachvollziehbar ist, wenn man sich vor Augen führt, dass einige von ihnen ein Leben lang regelrecht angebetet wurden. Catherine Deneuve ist das beste Beispiel."
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Politik

Muhammad Idrees Ahmad erinnert im Blog der New York Review of Books daran, dass Baschar al Assad, gestützt von seinem russischen Alliierten, im Syrien-Krieg in Städten, die von Rebellen gehalten wurden, Hunderte von Krankenhäusern angreifen ließ. Und dass er systematisch westliche Journalisten angriff, die über den Krieg berichteten - auf diese Weise sind zum Beispiel die Sunday-Times-Reproterin Marie Colvin und der Fotograf Rémi Ochlik ums Leben gekommen. Nach dem Mord an Colvin wurde Berichterstattung quasi unmöglich, und seitdem, so Ahmad, hieß es: "das Wort des Regimes gegen das der Opposition, und dem Publikum blieb nur noch, je nach politischer Vorliebe zu nicken oder den Kopf zu schütteln. Das Regime (und später Russland) nutzte dann Worthülsen aus dem Klischeevorrat des 'Kriegs gegen den Terror', die beim westlichen Publikum - vor allem bei Politikberatern und Think-Tankern - immer gut ankommen. Und alle Opponenten Assads waren daraufhin 'Terroristen'." Ahmad verweist auf den Film "Under the Wire", den man etwa bei Itunes sehen kann und der den Mord an Colvin dokumentiert.
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Ideen

Johannes Simon untersucht für Zeit online noch einmal die Texte von Sahra Wagenknecht und Bernd Stegemann (hier, inzwischen online) und Wolfgang Streeck (hier) und stellt fest, dass sie am Ende ähnlich argumentieren wie die Rechtspopulisten: "Die Texte von Wagenknecht, Stegemann und Streeck kritisieren nicht, sondern affirmieren vielmehr die gängigsten rechtspopulistischen Argumentationsmuster. Das kulminiert darin, dass Streeck sich sogar in einer der wichtigsten Fragen des neuen deutschen Kulturkampfes auf die falsche Seite stellt, indem er nämlich behauptet, 2015 habe sich die Bundesregierung für eine 'Grenzöffnung' entschieden."
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Medien

Friedhelm Greis sieht sich in einer ziemlich aufwändigen Recherche für golem.de mal die Klickverhältnisse der Medien an, die in der VG Media gemeldet sind und eigentlich gerne Leistungsschutzrecht-Zahlungen on Google und Co. hätten. Dabei stellt sich heraus, dass Medien des Springer Verlags bei weitem überrepräsentiert wären, während zum Beispiel Lokalzeitungen so gut wie nichts bekämen: "Nennenswerte Beträge würden für die großen Verlagsgruppen erst dann herausspringen, wenn Google beispielsweise 100 Millionen Euro im Jahr zahlen würde. Selbst dann müsste ein Verlag wie Madsack die eingenommenen 2,5 Millionen Euro auf 15 Tageszeitungstitel verteilen. Das ergibt eine zusätzliche Einnahme von 166.000 Euro pro Titel. Axel Springer könnte hingegen für seine vier gemeldeten Produkte zusätzliche 62 Millionen Euro verbuchen. Kein Wunder, dass Verlagschef Mathias Döpfner selbst mit ausgemachten Unwahrheiten für das Leistungsschutzrecht trommelt."

In der NZZ betont Franziska Scheven, dass der laxe Umgang mit anynomen Quellen, der in deutschen Medien gepflegt wird, in den USA undenkbar wäre: "In den New-York-Times-Richtlinien, wie auch in den Journalistenschulen des Landes, wird am Prinzip festgehalten, dass in der Redaktion immer mindestens der Autor und ein Redaktor die Identität der Person kennen und deren Glaubhaftigkeit bestätigen müssen. Je nach Wichtigkeit der Geschichte wird die Identität auch einem hochrangigen Mitglied der Redaktion mitgeteilt, bis hin zum Chefredaktor."
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Kulturmarkt

Claus-Jürgen Göpfert trifft für die FR den Verleger KD Wolff, dessen Stroemfeld-Verlag, bekannt für kritische Dichterausgaben, Insolvenz anmelden muss - "Wolff brummt: 'Die Bibliotheken sind weggebrochen.' Die öffentlichen Bibliotheken in Deutschland, früher feste Abnehmer der Bücher, seien immer weniger interessiert. Die Auflagen schrumpften parallel immer mehr. 'Von dem letzten Band Kafka haben wir noch 1.200 Stück gedruckt', sagt der Verleger."
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Stichwörter: Wolff, Kd, Stroemfeld Verlag

Internet

Google hat sich einen Akt unglaublicher Arroganz geleistet und trotz Aufforderung des amerikanischen Senats keinen hochrangigen Vertreter zur vierten Anhörung bezüglich der von Russland ausgehenden Einflusskampagne auf die US-Wahl 2016 geschickt, berichtet  Lisa Hegemann in golem.de. Von Twitter war Jack Dorsey, von Facebook Sheryl Sandberg gekommen. Google wollte nur einen Justiziar schicken - aber die Senatoren wollten einen höherrangigen Repräsentanten: "Gegen Google .. konnten die Senatorinnen und Senatoren nur ein bisschen sticheln. Sie konnten etwa den neuerlichen Versuch der Firma verteufeln, in China Fuß zu fassen: Das kritisierten der Demokrat Joe Manchin und der Republikaner Tom Cotton. Fragen stellen konnten sie nicht: Wie zum Beispiel der Google-Algorithmus mit Fake-News umgeht, ob Google Geld von Firmen für Anzeigen erhalten hat, die unwahre Behauptungen verbreiteten, ob es gezielte E-Mail-Kampagnen über Gmail-Konten gab."

Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschewski kreisen in der NZZ um die Frage, warum die Leute Facebook nicht verlassen: Ist es das Stockholm-Syndrom oder sind die Kosten für den Einzelnen bereits zu hoch? Interessant ist jedoch ihre Erklärung für das neue Tool, mit dem Facebook angeblich gegen Fake News vorgehen will und das die Reputation seiner Nutzer auf einer Skala von 0 bis 1 bemisst: "Um den individuellen Score zu erstellen, analysiert das Unternehmen, welche Nachrichten der jeweilige Nutzer als falsch oder wahr klassifiziert hat, vergleicht diese Antworten mit einem unabhängigen Fact-Check und bestimmt so das Level der individuellen Wahrheitsliebe. Noch ist unklar, wer oder was hier wen bewertet und ob sich der Schwindel des Schwarms auf diese Art überhaupt drosseln lässt. Doch schon jetzt wird deutlich, dass sich hier eine begrenzte Form des Sozialen verdichtet, die immer mehr Bereiche des zwischenmenschlichen Austauschs ins Numerische übersetzt. Während man also über den staatlichen Social Credit Score in China, zu dessen Zielen es unter anderen gehört, die Glaubwürdigkeit eines jeden Bürgers zu vermessen, die Stirn in Falten legt und ein 'das kann bei uns nicht passieren' murmelt, ist Facebook - im Auftrag der Demokratie - schon einen großen Schritt weiter."
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