9punkt - Die Debattenrundschau

Der reine Krieg ist einer, der nicht mehr endet

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.09.2018. In der Welt erklärt Sineb El Masrar die Nöte des muslimischen Mannes. Der Richter Malte Engeler erklärt in Netzpolitik, warum man von Facebook nicht die Einhaltung von Grundrechten verlangen kann und dann irgendwie doch. In der taz diskutieren vier SchriftstellerInnen über Chance und Verheißung eines linken Populismus - aber Tanja Dückers beißt nicht an.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.09.2018 finden Sie hier

Gesellschaft

Sineb El Masrar, Autorin des Buchs "Muslim Girl" hat nun ein Buch über "Muslim Men" gemacht, über das sie mit Welt-Redakteurin Andrea Seibel spricht: "Alle, so schwierig ihre Biografien sind, hatten ein großes Bedürfnis zu sprechen. Da ist viel Druck im Kessel. Schmerz. Aber auch Wut und Hass. Der eine betäubt sich mit Drogen, der andere schlägt vor Sprachlosigkeit um sich oder weicht in den Islamismus aus. Kurzum: Sie kommen nicht aus dem Dilemma heraus, ihr Leben zu bewältigen. Diese Unsicherheit wird oft ausgenutzt von findigen Seelenfängern. Alles wird für 'halal' erklärt und kommerzialisiert: Muskelaufbauprodukte, Bankgeschäfte bis hin zur Prostitution."

Jetzt online: Wie nah die Abgrenzungsmechanismen von Minderheiten den rechten ähneln, lernt Felix Stephan (SZ) bei der Lektüre von Max Czolleks Buch "Desintegriert euch!": "Das ist vielleicht das Erstaunlichste an diesem Buch: Wie umstandslos Czollek sich auf der Landkarte einordnet, die die Identitären gezeichnet haben, wie gelassen er ihre Prämissen übernimmt, in denen die Aushandlungsprozesse liberaler Gesellschaften gar nicht mehr vorkommen. Den Deutschen stellt er die Juden gegenüber, einer radikalen Homogenität eine 'radikale Vielfalt'. Während sich die Rechten gegen einen 'linken Mainstream' auflehnen, kämpft Max Czollek gegen eine 'deutsche Normalität', die von Leitkultur und völkischem Heimatkitsch geprägt ist. Um dieses Bild aufrechtzuerhalten, muss Czollek sehr viel auslassen ...".

Es wird zu Unrecht auf Tauben immer nur geschimpft:
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Überwachung

Auf Spon erinnert Leonie Krzistetzko an die Massenproteste gegen die Volkszählung in den achtziger Jahren. Damals stoppte der Jurastudent Gunther von Mirbach die Zählung mit einer Verfassungsbeschwerde: "Das Bundesverfassungsgericht fällte ein historisches Urteil: Teile des Volkszählungsgesetzes seien verfassungswidrig, befanden die Richter am 15. Dezember 1983. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung definierten sie als Grundrecht, abgeleitet aus der Menschenwürde und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit - ein Meilenstein des Datenschutzes. Seitdem gilt: Der Einzelne darf grundsätzlich über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten bestimmen."
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Internet

Sehr instruktiv liest sich ein Artikel des Richters Malte Engeler in Netzpolitik, der klarstellt, warum Facebook nicht einfach so "Grundrechte" respektieren muss: "Was nach einer juristischen Spitzfindigkeit klingt, ist tatsächlich eine ganz elementare Unterscheidung. Grundrechte sind seit jeher Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe und sollen als Ausgleich dafür wirken, dass dem Staat im Rahmen demokratischer Wahlen immense Macht anvertraut wird: Das absolute Gewaltmonopol. Das Grundgesetz verpflichtet die so gewählte Staatsgewalt im Gegenzug dazu, sich stets dafür zu rechtfertigen, wenn sie die ihr verliehene Macht zulasten der Menschen ausübt." Das heißt nicht, dass Facebook nicht zur Einhaltung von Meinungsfreiheit gerichtlich gezwungen werden kann - denn diese garantiert Facebook in seinen AGB.
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Ideen

Vier Schriftstellerinnen diskutieren morgen in Berlin über die Möglichkeit eines linken Populismus (mehr hier). Ihre Positionen, die in der taz vorabgedruckt sind, klingen eher skeptisch. Tanja Dückers schreibt: "Linker Populismus funktioniert tatsächlich nur von oben nach unten - und zwar innerhalb der eigenen Bewegung. Kaum eine linkspopulistische Strömung, die sich nicht irgendwann in einen autoritären Apparat verwandelt hätte (Venezuela mit Chávez, Perón in Argentinien). Ausgerechnet die populistischen Postmarxisten, die für sich doch gerne in Anspruch nehmen, zu neuen Ufern aufbrechen zu wollen, orientieren sich am traditionellen linken Dogmatismus."

Paul Virilio, der im Alter von 86 Jahren gestorben ist, war einer der ersten, die über den Kontext von Medien und Krieg nachdachten, auch wenn er seine Theorie der Beschleunigung später kaum an der Digitalisierung überprüfte. Harry Nutt schreibt den Nachruf in der Berliner Zeitung: "Der 'reine Krieg' ist einer, der nicht mehr endet und der letztlich in den beschleunigten Informationsmedien, die immer auch Kriegsmedien sind, fortgeführt wird.  So ging der Virilio-Sound in jener Zeit, und er löste eine neue Lust an der Theorie aus, die nicht auf Begriff und Definition versessen war, sondern auf Assoziationsreichtum und intellektuelle Sprunghaftigkeit setzte." Im FAZ.Net gibt's kurze Anmerkungen von Helmut Mayer, und im Tagesspiegel schreibt Gregor Dotzauer den Nachruf auf den "Propheten des Untergangs".
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Europa

Eine Reihe Historiker und Gedenkstättenleiter fordern Innenminister Horst Seehofer  auf, die kommende Parteistiftung der AfD wegen geschichtsrevisionistischer Äußerungen in der Partei auf ihre Rechtsstaatlichkeit zu prüfen und möglicherweise nicht zulassen, berichtet  Jonas Weyrosta in der taz: "Zöge die AfD in der nächsten Legislaturperiode erneut in den Bundestag ein, was nach jetzigem Stand wohl niemand bezweifeln dürfte, erhielte die rechtspopulistische Partei einen Anspruch auf jährlich rund 70 Millionen Euro für die Stiftungsförderung. Das geht aus dem 'Gleichheitssatz' eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 1986 hervor."
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Medien

Die taz wird ja vierzig. Isabell Hülsen und Alexander Kühn vom Spiegel haben darum neulich die taz besucht und eine dieser launigen Reportagen für den Medienteil geschrieben. Die taz hat was zu mäkeln: "Vier Menschen haben die Ehre, im Text mit Namen vorgestellt und direkt zitiert zu werden. Darunter: vier Männer, null Frauen", schreibt Dinah Riese in der taz. Dabei sei Hülsen sogar Mitbegründerin der Initiative "Diverse Media": "taz-Chefredakteur Georg Löwisch habe den 'Makel des falschen Geschlechts' wettgemacht, indem er zwei Frauen als Stellvertreterinnen in die Chefredaktion geholt habe, schreiben sie. Wie sie heißen - Barbara Junge und Katrin Gottschalk - war nicht der Erwähnung wert."
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Stichwörter: TAZ, Der Spiegel