9punkt - Die Debattenrundschau

Durch eine Geheimtür ins Freie

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.10.2018. Streit um die Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen. Nach seinem Stellvertreter ist auch Hubertus Knabe entlassen worden. Von Knabe sei "etwas Diabolisches" ausgegangen, so laut Tagesspiegel einer der Vorwürfe. Jan Fleischhauer vermutet in Spiegel online eine Intrige der Linkspartei. Die Welt bringt Walter Laqueurs "mildem Pessimismus" noch eine Hommage dar.  Warum propagieren westliche Organisationen wie die Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung so massiv die Beschneidung von Jungen in Afrika, fragt der Humanistische Pressedienst.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.10.2018 finden Sie hier

Gesellschaft

Hubertus Knabe, der Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, wird entlassen, obwohl nicht ihm, sondern seinem Stellvertreter von Mitarbeiterinnen Vorhaltungen gemacht wurden, und obwohl - so scheint es - sich Knabe als Vorgesetzter korrekt verhalten hat und seinen Stellvertreter verwarnte. Jan Fleischhauer stellt das alles in Spiegel online als eine Intrige dar, in der die Linkspartei die treibende Kraft war. Bei ihr ist Knabe verhasst, weil er sie an ihre SED-Vergangenheit erinnert: Mag sein, dass "aus dem Schutz der Anonymität" weitere Vorwürfe gegen Knabe kommen werden, gegen die er sich nur mit Dementi wehren kann, so Fleischhauer: "Es ist eine böse Pointe, dass der Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen nach 17 Jahren an der Spitze mit Methoden zu Fall gebracht wird, die man aus der Zeit kennt, die seine Stiftungsarbeit dokumentieren soll."

Und tatsächlich: "Der ehemalige Leiter der Stasiopfer-Gedenkstätte musste wegen Sexismusvorwürfen gehen, die seinen Vize betrafen. Jetzt gerät er selbst unter Verdacht", berichten Sabine Beikler und Alexander Fröhlich im Tagesspiegel. Bundeskulturministerin Monika Grütters, Mitglied im Stiftungsrat, rechtfertigt die Kündigung dort: "Aus Sicht des Stiftungsrates hat Knabe ein Klima der Angst an der Gedenkstätte zu verantworten, sodass sich betroffene Frauen an den Stiftungsrat gewandt hatten - und eben nicht an die Leitung oder an den Personalrat." Genau substantiiert werden die Vorwürfe gegen Knabe nicht: "Es habe bei Knabe 'etwas Diabolisches' mitgeschwungen", wird aber zitiert.

Ein Jahr nach #MeToo gibt es in Deutschland durchaus Veränderungen für Frauen, meldet Frida Thurm auf Zeit Online. Beratungsstellen werden öfter aufgesucht, inwiefern das aber auch mit der Reform des Sexualstrafrechts zu tun habe, sei unklar. Im Gespräch kritisiert die Sozialwissenschaftlerin Monika Schröttle indes, dass sexuelle Übergriffe immer noch als persönliches Problem dargestellt würden: "Da waren wir schon mal weiter. In den Siebzigerjahren wurde das Problem als eine Begleiterscheinung patriarchaler Strukturen erkannt, heute wird es psychologisiert und individualisiert."

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung ist die Stimmung in der Mitte der Gesellschaft rechter geworden. Im Dlf-Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker hat der Rechtsextremismusexperte Andreas Speit keine Zweifel an dem Ergebnis der Studie, noch immer denke man bei Terror an die RAF, nicht aber an Rechtsextremismus, über rechte Einstellungen zu reden gelte als Tabu, meint er. Im Tagesspiegel meldet Ariane Bemmer allerdings Kritik an der Fragestellung an: "Die in der Studie abgefragten populistischen Einstellungen beziehen sich nicht auf politische Inhalte und Sachfragen, sondern auf das Verhältnis von Regierung und Bevölkerung, vielmehr das behauptete Nicht-Verhältnis."

Als  Neostalinistin möchte Gerald Wagner in der FAZ Chantal Mouffe nicht bezeichnen - auch wenn er während ihrer Diskussion im Kreuzberger SO36 mit Katja Kipping über einen "linken Populismus" viel über "Volk", "Führer" und "Front" gehört hat: "Aber die eigentliche Frage ist doch, was Chantal Mouffe und ihren Populismus denn so mäßigt, dass sie ihr Plädoyer für diesen bei Suhrkamp veröffentlichen kann und nicht etwa bei dem rechten Verlag Antaios? Dass sie in ihrem Text immer Anführungszeichen benutzt, wenn sie den Rechten deren politisches Reizvokabular entwinden will?"
 
Victor Schiering berichtet auf hpd.de kaum Glaubliches aus Afrika: Viele westliche Hilfsorganisationen wie die Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung, aber auch offizielle Organisationen propagieren massiv die Beschneidung von Jungen in Afrika. "In Radiosendungen und auf Plakaten wird für diese Maßnahme geworben. Dort heißt es: 'Stand proud. Get circumcised!' Taxifahrer verteilen Flyer und erhalten Prämien bei erfolgreicher Vermittlung... Was steckt hinter diesen unfassbaren Vorgängen, einer völlig entfesselt scheinenden Dynamik? 2007 erklärte die WHO nach dem Erscheinen mehrerer Studien, Männer ohne Vorhaut infizierten sich seltener mit HIV. Seitdem geistert ein angeblicher 'sechzigprozentiger Schutz durch Beschneidung' durch die Öffentlichkeit." In der Zeitschrift Geo berichtete Michael Obert bereits im Jahr 2015 über das Thema, der Autor stellt seinen Artikel auf seiner Website online.

Weiteres: Die Soros-Stiftung ist in Berlin angekommen und hat dort erstmal provisorische Büros bezogen. Am Ende sollen 150 Mitarbeiter hier arbeiten, meldet dpa, hier bei stern.de.
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Politik

Der saudische Journalist und Dissident Jamal Khashoggi ist seit Dienstag, als er im saudischen Konsulat in Istanbul seine Heiratspapiere abholen wollte, spurlos verschwunden, meldet Martin Gehlen in der FR: "Angehörige befürchten nun, Khashoggi werde in dem Istanbuler Konsulat verhört und misshandelt oder sei bereits nach Saudi-Arabien verschleppt worden. Von türkischer Seite hieß es am Mittwoch, der Gesuchte sei noch in dem Gebäude. Gleichzeitig meldete die saudische Nachrichtenagentur, ein Staatsbürger sei mit Interpol-Haftbefehl festgenommen und zurück in das Königreich deportiert worden, weil er ungedeckte Schecks ausgestellt habe. Sollte sich diese Meldung auf Khashoggi beziehen, wäre das der erste Fall, bei dem Saudi-Arabien einen Kritiker mit Gewalt auf sein Staatsgebiet zurückholt."
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Ideen

Der Historiker Walter Laqueur ist vergangene Woche im Alter von 97 Jahren gestorben. In der Welt erinnert Jacques Schuster in einem sehr persönlichen Nachruf an einen bis zuletzt hellwachen Denker, der schon früh vor dem Terrorismus als "globalem Problem" warnte und an einen "Wanderer zwischen den Welten", "der in Washington zu Hause war, aber nie aufgegeben hatte, nach Deutschland zu schauen; einen, der seine früheren Landsleute kannte, der sie - trotz allem - schätzte und gleichzeitig mit mildem Pessimismus betrachtete. Die Deutschen neigen bis zur Fahrlässigkeit dazu, sich am Klang des eigenen Echos zu erfreuen. Menschen wie George Mosse, Fritz Stern, Peter Gay oder Walter Laqueur erinnerten sie zuweilen daran, wie gefährlich es ist, sich nur mit sich selbst zu beschäftigen. Leider fehlen diese Menschen heute."
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Stichwörter: Laqueur, Walter

Europa

in politico.eu begründet Marc Roche, warum er als Belgier die britische Staatsbürgerschaft beantragt und warum er so fest an den Brexit glaubt, der dem Land allenfalls zu Beginn Nachteile bringen werde. Langfristig aber werde es siegen: "Die Akzeptanz sozialer und klassenbedingter Ungleichheiten, die totale Deregulierung des Arbeitsmarktes, der Pool des Landes an billigen Arbeitskräften, die Schwächung der Gewerkschaften und der eingeschränkte Umfang des Sozialstaates sind für die meisten Europäer ein Gräuel. Aber sie  alle werden einen Vorteil für eine Nation bieten, die schon immer darwinistisch war und an das Überleben der Stärksten glaubte."
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Medien

Die Freischreiber starten eine Internetseite über Journalisten-Einkommen, meldet Andreas Maisch bei turi2. "Journalisten können anonym ihre Honorare oder Gehälter eintragen, die Seite veröffentlicht nur Mittelwerte." In der taz geht Ralf Leonhard Vorwürfen gegen rechtsextreme Sympathien im Sender Servus TV des Dosenmilliardärs Dietrich Mateschitz nach. In einem leider etwas kursorisch resümierten Gespräch des Dlf fordert der Journalist und Medienprofessor Lutz Hachmeister eine "Bundesanstalt für Medien". Sonst könnten Google und Co. mit der bisher auf Länderebene regulierten Medienlandschaft machen, was sie wollten. Hachmeister hat in der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte ein Thesenpapier dazu vorgelegt.
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Internet

Christiane Woopen, Kovorsitzende der Datenethikkommission der Bundesregierung, kritisiert im Interview mit Tanja Tricarico von der taz die Datenpolitik der Plattformkonzerne und fordert: "Der Markt muss dringend neugestaltet werden, und zwar nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Es darf beispielsweise nicht sein, dass einige wenige durch die Programmierung der Suchmaschine und unter dem Diktat werbegesteuerter Geschäftsmodelle darüber entscheiden, welche Informationen wir unmittelbar bekommen, und welche nicht oder allenfalls mühsam."

Weiteres: Sehr aufsehenerregend, aber für die morgendliche Rundschau nicht zu resümieren, ein langer Artikel in Bloomberg über chinesische Spionagechips in Geräten von Amazon und anderen Herstellern.
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