9punkt - Die Debattenrundschau

Jenes Fremdheitsgefühl

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.11.2018. Der Guardian fragt: Warum eigentlich verzichten so viele dezidierte Brexit-Anhänger darauf, den Brexit mitzugestalten und verlassen die Regierung? Soll das Gendersternchen in die amtliche Rechtschreibung eingeführt werden, oder ist das Gewalt an der Grammatik, fragt der Dlf. Aufruhr bei Facebook nach der Enthüllung der New York Times, dass der Konzern zur Not nicht mal davor zurückschreckt, George Soros anzuschwärzen. Und die FR erklärt, warum die öffentlich-rechtlichen Sender immer noch Gebühren für Zweitwohnungen wollen.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.11.2018 finden Sie hier

Politik

Wenn man mit Donald Trump nicht inzwischen einiges erlebt hätte, würde man diese Meldung von NBC kaum für glaubhaft halten: Man erwägt den Religionsführer Fethullah Gülen an die Türkei auszuliefern, falls Tayyip Erdogan bereit ist, wegen der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi keinen Druck auf Saudi Arabien mehr zu machen: "Hohe Beamte der Trump Regierung fragten letzten Monat bei Strafverfolgungsbehörden an, ob es legale Wege gebe, den exilierten türkischen Priester Fethullah Gülen auszuliefern..."
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Internet

Aufruhr bei Facebook nach dem gestrigen Artikel der New York Times, der der Führung von Facebook schwere Vorwürfe macht (unser Resümee). Es geht unter anderem um die  PR-Firma Definers Public Affairs, die angeheuert wird, wenn politische Parteien oder Firmen schlechte Nachrichten über Konkurrenten oder Gegner streuen wollen. Die firma schwärzte laut Times unter anderem für Facebook George Soros als angebliche Quelle einer "Bewegung gegen Facebook" an. Zuckerberg hat sich gestern in einer Telefonkonferenz geäußert, berichtet Taylor Hatmaker bei Techcrunch: Obwohl er nicht ausführlicher zu der Times-Geschichte habe Stellung nehmen wollen, "machte er in einem Punkt ein starkes Statement und leugnete jede Kenntnis oder Verwicklung im Engagement der Firma Definers Public Affairs... 'Ich las davon zum ersten Mal in der New York Times', sagte Zuckerberg, 'gleich danach rief ich unser Team an, um zu sagen, dass wir nicht mehr mt dieser Firma arbeiten.'" turi2 verlinkt auf mehrere Artikel in amerikanischen Blogs, die die Geschichte aufgreifen. Mashable etwa untersucht die Reaktion auf den Vorwurf, Facebook habe früher als bekannt von russischer Einflussnahme gewusst und die Meldung unterdrückt.

Facebook hat allerdings auch selbst auf angeblich antisemitische Taktiken seiner Gegner hingewiesen, ergänzt Alexander Fanta bei Netzpolitik: "Soros' Stiftung unterstützt zwei Gruppen, die sich an 'Freedom from Facebook' beteiligen, einer Kampagne gegen das soziale Netzwerk. Bei einer Protestaktion von Freedom from Facebook im Juli hielten Aktivisten ein Plakat hoch, das Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und Top-Managerin Sheryl Sandberg, beide jüdischer Herkunft, als Teil einer weltumfassenden Krake zeigt. Das erinnert an antisemitische Motive der Nazis. Facebook meldete das der Anti-Defamation League. Die jüdische Bürgerrechtsgruppe verurteilte daraufhin die Verwendung des Symbols." Mehr dazu auch bei golem.de.
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Ideen

Heute tagt der Rechtschreibrat über die Frage, ob der Genderstern in die amtliche Rechtschreibung aufgenommen werden soll. Für den Dlf hat Monika Dittrich verschiedene Stimmen zum Thema zusammengetragen. Politische Sprachvorschriften seien das Kennzeichen autoritärer Regime, meint etwa der Linguist Peter Eisenberg: "Was im Augenblick passiert, ist eine politische Bewegung einer Pressure-Group, die der deutschen Sprache gefährlich werden kann (…) Niemand hat das Recht, in die deutsche Sprache reinzugreifen, ihre Grammatik zu manipulieren, den Leuten den freien Sprachgebrauch zu verbieten und dafür zu sorgen, dass sie Ideologeme von sich geben." Und auch von feministischer Seite kommt Kritik, da Frauen hinter dem Stern wieder deklassiert würden, wie die Linguistin Luise Pusch erklärt: "Die Feministinnen, die für das große I gekämpft haben, 20 Jahre lang, die fühlten sich doch schon sehr düpiert, dass dann der alte Zustand wiederhergestellt werden soll."

Erstaunlicher Weise ruft der offene Brief Uwe Tellkamps in der Zeitschrift Sezession, einer Publikation der Neuen Rechten (unser Resümee), nicht allzu viel Aufhebens hervor. In der SZ kann sich Alex Rühle nur wundern: "Auf der einen Seite ein korruptes Kartell, auf der anderen einzelne freidenkerische Helden, wacker im Meinungssturm ausharrend. Wer die Welt so sieht, für den ist es vielleicht konsequent, diesen Text auf sezession.de zu veröffentlichen. Er darf sich dann nur nicht wundern, wenn er mit toxisch rechtem, autoritärem Gedankengut in Verbindung gebracht wird, das macht er durch diesen publizistischen Schulterschluss schließlich ganz allein: Die meisten Autoren auf Sezession verachten die demokratische, pluralistische Debatte und huldigen einem 'autoritären Kult um Tat und Entscheidung', wie der Historiker Volker Weiß schreibt."

Im FR-Interview sprechen die Kulturwissenschaftlerin Nathalie Weidenfeld und ihr Mann, der Philosoph Julian Nida-Rümelin, die jüngst ein Buch zum Thema "Digitaler Humanismus" veröffentlicht haben, über Künstliche Intelligenz und Maschinenmenschen. Von apokalyptischen Visionen halten sie nicht viel: "Maschinen haben keine Absichten, weder gute noch böse. Wir müssen uns also keine Gedanken machen über Akteure, die sich gegen uns wenden, sondern darüber, wie wir diese technischen Möglichkeiten sinnvoll einsetzen können." Auf Zeit Online hat sich Lisa Hegemann das Papier der Bundesregierung zur "Strategie Künstliche Intelligenz" genauer angesehen.
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Europa

Bekommt Theresa May ihren Brexit-Vertrag durchs Parlament? Wer will ihn denn kritisieren, höhnt Rafael Behr, nachdem die beiden letzten Brexiteers - Dominic Raab, Minister für den Austritt aus der Europäischen Union, und Esther McVey, Staatssekretärin für Arbeit und Renten - Mays Kabinett verlassen haben: "Raab ist zu dem gleichen Schluss gekommen wie David Davis und Boris Johnson Anfang des Jahres: Es ist einfacher, in dem Team zu sein, das den Premierminister beschuldigt, keine majestätischen Einhornherden zu liefern, als in dem, das eigene Expertise in der Einhornzucht erfordert. ... Remainer werden den Vertrag als weiteren Beweis dafür sehen, dass der Brexit insgesamt ein Fehler ist: Die Arbeit wird schlecht gemacht, weil es von Anfang an eine schlechte Idee war. Es gab kein verfügbares Modell, es gut zu machen. Die Leaver werden Bestätigung dafür finden, dass der Geist ihrer Ambitionen von einer Premierministerin verraten wurde, die die Vision nie wirklich verinnerlicht hat. Wie, so mögen sie vernünftigerweise fragen, kann der Brexit von Menschen umgesetzt werden, die tief im Inneren nie daran glaubten? Die proeuropäische Antwort darauf ist eine andere Frage: Warum sind so viele, die den Brexit für eine gute Idee hielten, aus der Verantwortung geflohen für seine praktische Umsetzung?"
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Gesellschaft

Wir müssen beginnen, die Verluste und Enttäuschungen der Ostdeutschen nach der Wende anzuerkennen, schreibt der Soziologe Hagen Findeis auf Tagesspiegel Causa und erklärt: "Die Eliten in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Kultur, kamen und kommen fast dreißig Jahre nach dem Umbruch immer noch ganz überwiegend aus dem Westen. (…) Selbst in den hundert größten ostdeutschen Unternehmen sitzt nur eine Minderheit Ostdeutscher in den Chefetagen. Nicht eine der in Ostdeutschland ansässigen Universitäten wird von einem ostdeutschen Rektor oder Präsidenten geleitet und die Meinungsmacher in den überregionalen Medien stammen auch heute noch überwiegend aus dem Westen. Wen wundert es also, wenn sich in den Flüchtlingen jenes Fremdheitsgefühl der Ostdeutschen spiegelt, das sie bereits nach dem politischen Umbruch mit den Westdeutschen gemacht haben. Auch wenn beide Erfahrungen kulturell weitgehend unterschiedlich gelagert sind, in beiden Fällen ist man durch soziale Entbehrung und Konkurrenz miteinander verbunden."

Der Abtreibungsgegner Yannic Hendricks hat Buzzfeed News abgemahnt, weil das Medium seinen Namen nannte. Buzzfeed bleibt bei der Namensnennung, betont Juliane Loeffler. Hendricks, der mehrere Ärztinnen wegen angeblichen Verstoßes gegen Paragraf 219a verklagte, hatte zwar Interviews gegeben, aber immer nur unter dem Schutz der Anonymität. Der Anwalt von Buzzfeed, Jan Hegemann, argumentiert: "Das ändert aber nichts an der Berechtigung anderer Medien, einen solcherart mit Interviews und Strafanzeigen in die Öffentlichkeit tretenden Aktivisten auch namhaft zu machen."

Auch die taz berichtete vor zwei Tagen über den Mann, der sich im Schutze des Anonyms gern ungezwungen gibt und seine Klagewelle gegen Ärztinnen mit den Worten begründet: "Das ist halt so mein Hobby." Außerdem hat Dinah Riese in Erfahrung gebracht: "Hendricks ist einer von zwei Männern, die hauptsächlich für die Anzeigenwelle gegen Ärzt*innen verantwortlich sind. Der andere, Klaus Günter Annen, tritt offen unter seinem Namen auf - etwa auf seiner Webseite 'Babycaust.de', auf der er Abtreibungen mit dem Holocaust gleichsetzt."
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Medien

Fox News hat sich im Streit um die entzogene Akkreditierung des CNN-Journalisten Jim Acosta auf die Seite von Trumps Erzfeind geschlagen, meldet Christian Zaschke auf der Medienseite der SZ: "Senderchef Jay Wallace erläuterte, dass man zwar den zunehmend feindseligen Ton zwischen der Presse und dem Präsidenten nicht billige, aber selbstverständlich für die Pressefreiheit einstehe. Die Vergabe von Akkreditierungen dürfe niemals als Waffe eingesetzt werden, sagte er." Und in der NZZ erklärt Marc Neumann, wie das Video manipuliert wurde.

Das Bundesverfassungsgericht hat vor vier Monaten entschieden, dass für Zweitwohnungen kein Rundfunkbeitrag fällig ist. Die Nachfolgeorganisation der GEZ verschickt dennoch bis heute an insgesamt 3,5 Millionen Menschen "Klärungsschreiben" mit dem Hinweis, auch Zweit- und Nebenwohnungen seien beitragspflichtig, meldet Joachim F. Thornau in der FR. Pressesprecher Christian Greuel winkt auf Nachfrage ab: "Das sei sehr aufwendig, da werde viel vorproduziert - und nach dem Karlsruher Urteil sei es halt nicht die erste Maßnahme gewesen, das Schreiben zu korrigieren. Schließlich finde man auf der Internetseite ja alle Informationen. Aber was ist, wenn sich jemand nur auf den Brief verlassen hat und deshalb jetzt zahlt, was er gar nicht zahlen müsste? Ist er oder sie dann gekniffen? Ja, muss Greuel zugeben, 'dann ist das so'."
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