9punkt - Die Debattenrundschau

Weniger Mensch

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
01.12.2018. Die Diskriminierung in hundert Jahren kann man sich ja jetzt schon vorstellen - die der genetisch Modifizierten, "Überlegenen", gegenüber den "Normalen", annonciert T. C. Boyle nach der Genmanipulation zweier chinesischer Babys durch Crispr in der taz.  Im Gespräch mit emma.de kritisiert Ertan Toprak von der Initiative Säkularer Islam auch die Kirchen, denen es in erster Linie um den Erhalt der eigenen Privilegien gehe. Die New York Times stellt den mörderischen Handschlag von MBS und Wladimir Putin in eine historische Reihe.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 01.12.2018 finden Sie hier

Wissenschaft

Manchmal braucht man eben doch einen Schriftsteller, um die Zukunft auszumalen. T.C. Boyle hat sich in einer (noch nicht übersetzten) Erzählung ausgedacht, dass in China erste Menschen mit der Genschere Crispr manipuliert wurden, schon präsentiert ein Forscher in China Zwillingsmädchen, die er angeblich durch Entnahme eines Gens resistent gegen Aids gemacht hat. Im taz-Interview mit Annabelle Seubert sagt Boyle: "Die Diskriminierung in hundert Jahren kann man sich ja jetzt schon vorstellen - die der genetisch Modifizierten, 'Überlegenen', gegenüber den 'Normalen'. Man wird die normalen Menschen als animalischer und verzichtbarer betrachten. Denken Sie dran, wie wir unsere Tiere behandeln, die Schimpansen - weil sie nicht menschlich sind. Es wird der Punkt kommen, an dem Menschen als weniger wert gelten. Als weniger Mensch. Wegwerfbar. Lesen Sie Aldous Huxleys 'Schöne neue Welt'! Es ist prophezeit."

In der SZ erklärt Andrian Kreye, wie Crispr funktioniert: "Mit Crispr kann man es ähnlich mühelos gestalten wie einen Text. Copy. Paste. Enter. Schon ist die Sequenz der DNA und damit das Erbgut verändert. Bei den amerikanischen Workshops kann man damit lustige Dinge anstellen, zum Beispiel Hefe zum Leuchten bringen."

Bei Aquariumsfischen, die Boyle im Interview ebenfalls erwähnt, ist man noch weniger zögerlich und macht sie mit Quallengenen fluoreszent. Kaufen Sie GloFish®!



Die deutsche Politik hat zwar ein Problem damit, unheilbar Kranken, die selbstbestimmt sterben wollen, Sterbehilfe zu gestatten, aber nicht damit, "Hirntoten" die Organe zu entnehmen. Aber ist ein Hirntoter tot? Die Kulturwissenschaftlerin Anna Bergmann zweifelt in der taz: "Die Hirntoddefinition .. fixiert den Tod eines Menschen auf ein einziges Organ und einen einzigen Zeitpunkt. Damit wird der prozesshafte Charakter des Sterbens im biologischen Sinne, aber auch als soziales Ereignis verleugnet. Das Herz von Hirntoten schlägt, ihre Lungen atmen mit technischer Hilfe, sie verdauen, scheiden aus, wehren Infektionen ab. Bis zum Herztod werden sie medizinisch betreut, genährt und gepflegt. Da Hirntote als Wesen mit einem lebendigen Körper definiert sind und das dubiose Erscheinungsbild einer 'lebenden Leiche' abgeben, wird das Tötungstabu berührt, wenn die Wahrnehmung eines Organspenders als Leiche nicht gelingt, wie Anästhesisten, Pflegepersonal und Angehörige häufiger berichten."
Archiv: Wissenschaft

Europa

Vor dem drohenden Brexit wussten die Briten nicht, was eine Krise ist (aber gilt das wirklich nur für die Briten?), schreibt David Bennun im Guardian. Mit dem Begriff der "Krise" habe man allenfalls eine vage Vorstellung von politischer Krise verbunden: Aber "was immer da oben passiert, das Leben geht weiter. Es gibt Nahrung in den Geschäften, medizinische Versorgung in den Krankenhäusern, Wasser aus der Leitung und Ordnung auf den Straßen (jedenfalls so viel wie üblich). Wer warnt, ist ein Schwarzseher, eine Dramaqueen, eine Kassandra. Das ist, was sieben Jahrzehnte allgemeinen Friedens und Wohstands aus uns gemacht haben. Man denkt es sei normal, und nicht hart errungen und zerbrechlich."

Empört berichtet Tobias Piller, der FAZ-Korrespiondent in italien, wie die italienischen Medien - auch Staatsmedien wie die RAI - Stimmung gegen Deutschland machen: "Zum aktuellen Zerrbild gehört, dass nur Deutschland vom Euro profitiert habe - wobei der Euro den Italienern jährlich dreißig bis fünfzig Milliarden Euro an Zinskosten erspart hat. Oder dass Italien sozusagen mit vorgehaltener Pistole in die Währungsunion gezwungen wurde, um dann von den Deutschen ausgebeutet zu werden - wer die europäische Szene 1997 und 1998 erlebte, der weiß, wie damals wichtige Italiener die Partner geradezu anflehten, um in die Währungsunion zu kommen und dem Absturz zu entgehen."
Archiv: Europa

Gesellschaft

Im Gespräch mit Alice Schwarzer auf emma.de über die neueste Ausgqabe der Islamkonferenz, bei der nach längerer Zeit auch mal wieder säkulare Muslime zugelassen sind, kritisiert Ertan Toprak von der Initiative Säkularer Islam auch die Kirchen: "Die Kirchen fürchten um ihre eigenen Privilegien und wollen die eher auch 'dem Islam' gewähren - den es in der Form nicht gibt -, als selber infrage gestellt zu werden. Vor allem die EKD hat da ja über Jahre eine fatale Rolle gespielt. Wenn es um Rechtsextremismus geht, sind die ganz weit vorne. Aber wenn es um den radikalen Islam geht, sind sie ganz zurückhaltend."
Archiv: Gesellschaft

Medien

Ende Nächster Woche könnte Friedrich Merz CDU-Vorsitzender werden. Und nach wie vor, schreiben Anne Fromm und Martin Kaul in einem Hintergrundstürkck für die taz, sind die CDU-Politiker auf zwei Zeitungen fixiert. Sehr stark auf die Bild und ein bisschen auf die FAZ: "Niemand, so scheint es in diesen Tagen, sucht so sehr die Nähe zu Friedrich Merz wie die Bild-Zeitung. Und andersherum: Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn, die im Kampf um den CDU-Vorsitz gegen Merz antreten, nutzen für ihre ersten exklusiven Wortmeldungen die FAZ. Merz geht zur Bild. Sein erstes TV-Interview gibt er im Livestream von Bild-TV. Als er auf öffentlichen Druck hin schließlich offenlegen muss, wie viel Geld er verdient, tut er es in der Bild am Sonntag, dem Schwesterblatt der Bild, das ein bisschen weiblicher ist, krampkarrenbauerischer." Die Bild verfällt übrigens noch schneller als die Volksparteien: von einst 5 Millionen Auflage, auf jetzt 1,4 Millionen.

China steckt Milliarden Dollar in Auslandsmedien, berichtet Matthias Müller in der NZZ: "Durch die 'Going-out-Strategie' will man in die Köpfe der Ausländer dringen und das negativ behaftete China-Bild verändern. Statt über Umweltverschmutzung, Lebensmittelskandale oder Korruption zu berichten, soll das Bild eines friedlichen Landes gezeichnet werden, dessen rasanter wirtschaftlicher Aufstieg zum Wohle aller ist."
Archiv: Medien

Politik

Man wundert sich, dass kein Blut spritzte! Die New York Times findet keine Worte mehr und produziert über den Handschlag von Putin und MBS beim G20-Gipfel in Argentinien ein satirisches Video:

Archiv: Politik

Kulturpolitik

Gerade hatten Bénédicte Savoy und Felwine Sarr in ihrem Bericht über Raubkunst zu Protokoll gegeben, das bedeute alles nicht die Leerung europäischer Museen, da melden sich Politiker aus dem Senegal und der Elfenbeinküste, die selbstverständlich alles zurückhaben wollen, meldet Hyperallergic: "'We are ready to find solutions with France, but if 10,000 pieces are identified in the collections, we are asking for all 10,000,' remarked Senegal's culture minister, Abdou Latif Coulibaly, on Tuesday, November 27, at a press conference in Dakar to announce the opening of the Musée des civilisations noires in early December."
Archiv: Kulturpolitik