9punkt - Die Debattenrundschau

Potenziell problematische Wörter

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.01.2019. Die Gemeinsamkeit von Trump und Putin liegt vor allem darin, dass sie als Oligarchen agieren, sagt Timothy Snyder in der Berliner Zeitung. Die Relotius-Affäre wäre ohne den Antiamerikanismus in der Spiegel-Redaktion, den Relotius nur bediente, nicht möglich gewesen, schreibt James Kirchick in Atlantic. Die New York Times erzählt, wie Internetzensur in China organisiert wird. In der NZZ beklagt die Historikerin Ute Frevert die Effekte der sozialen Medien. Man könnte sie vergesellschaften, schlägt die taz vor.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.01.2019 finden Sie hier

Politik

Trumps und Putins Gemeinsamkeiten, die größer sind als die politischen Unterschieden zwischen  Amerika und Russland, erklären sich womöglich aus der Oligarchisierung der Weltgesellschaft, vermutet Timothy Snyder in einem Gespräch mit der Berliner Zeitung: "Trumps größere Nähe zu Putin als etwa zu Obama begründete sich möglicherweise in seinem Bestreben, in Putins Gunst zu stehen und Zugang zu größerem Reichtum zu erhalten. Amerikanische und russische Oligarchen haben sehr viel mehr Gemeinsamkeiten untereinander als mit dem Rest der Bevölkerung ihres Landes. Die Versuchungen sind ähnlich. Die amerikanischen Oligarchen würden sich kaum anders als die Russen benehmen, wenn sie in einer vergleichbaren Situation wären."
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Medien

Die Relotius-Affäre wäre ohne den Antiameriakanismus in der Spiegel-Redaktion, den Claas Relotius nur bediente, gar nicht möglich gewesen, schreibt James Kirchick in Atlantic: "In einer makabren Geschichte erzählt er von einer Frau, die durch die USA reist, um als Zeugin bei Hinrichtungen dabei zu sein. In einer anderen erzählt er das tragische Schicksal eines Manns aus Jemen, der unschuldig über 14 Jahre in der Guantanamo Bay gefangen war, wo er in Einzelhaft gehalten und gefoltert worden sei. (Der Song, mit dem er in voller Lautstärke beschallt wurde? Bruce Sptingsteens 'Born in den USA'). Beide Geschichten waren komplett fabriziert."

Der amerikanische Journalismusprofessor Jay Rosen, der vor kurzem noch ein sehr positives Bild vom Journalismus in Deutschland verbreitete (unser Resümee), sieht das Problem im Gespräch mit Alan Cassidy in der SZ eher in einem nach Unterhaltsamkeit strebenden Journalismus: "Es gibt viele Dinge, die im Journalismus wichtiger sind als eine gute Story: die Achtung vor der Wahrheit, die Herstellung einer Faktenbasis für die öffentliche Debatte, die Machtkontrolle. Die Genauigkeit. Wenn Storytelling zum zentralen Element wird, kann es dazu kommen, dass die Erfordernisse einer guten Geschichte wichtiger werden als die Pflicht zu sagen, was ist."
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Urheberrecht

Nach der New York Times (unser Resümee hier) berichtet in der SZ nun Jakob Maurer, dass in den USA nach Ablauf einer Copyright-Sperre von 95 Jahren eine ganze Reihe von Werken gemeinfrei werden: "Das Gesetz, das zu dieser zwanzig Jahre langen Gemeinfreiheitspause geführt hat, wurde posthum nach dem US-Sänger und Kongress-Politiker Sonny Bono benannt, der für eine Verlängerung des Urheberrechts gekämpft hatte. Es erhielt jedoch die Beinamen Micky-Maus-Schutzgesetz und Lex Micky, da Kritiker darin eine Strategie von Disney sahen, das Copyright an der weltweit kommerziell erfolgreichen Zeichentrick-Maus sicherzustellen." Mehr bei arstechnica.com.

Kein deutsches Medium hat sich, so weit das durch Recherchen bei Google News und Twitter ersichtlich ist, mit dem "Public Domain Day" in Deutschland und Europa befasst - Die Werke von 1948 gestorbenen Autoren, Musikern und Künstlern sind seit 1. Januar gemeinfrei. Zu den deutschen Autoren und Künstlern gehören laut der Seite gestorben.am Kurt Schwitters und Egon Erwin Kisch.
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Europa

Die nächsten Tage sind entscheidend im quälenden Brexit-Prozess, erläutert Charlie Cooper in politico.eu. Die Brexiteers bei den Tories sind nach wie vor gegen Theresa Mays mit der EU ausgehandelten Deal: "Falls kosmetische Änderungen an ihrem Deal sie nicht umstimmen, liegt Mays einzige Hoffnung darin, die Abgeordneten beider Seiten der Brexit-Spaltung zu überzeugen, ihren Deal zu aus Furcht vor den Alternativen unterstützen - 'kein Deal, kein Brexit', sagt sie. 'No Brexit' würde ein zweites Referendum bedeuten, das trotz wachsender Popularität der Idee von den Leitungen der beiden Parteien noch nciht befürwortet wird.  Die Furcht vor 'no deal' so kalkuliert May, ist jetzt ihre beste Karte."

Ein sehr hartes Bild zeichnet der Politologe Oliver Jens Schmitt in der NZZ von der rumänischen Politik: "Die postkommunistische Oligarchenpartei PSD, die sich offiziell sozialdemokratisch nennt, wird von Personen beherrscht, die entweder rechtskräftig verurteilt sind oder eine Haftstrafe befürchten müssen. Ihr Geschäftsmodell besteht im Wesentlichen aus dem Missbrauch von EU-Fördergeldern. Solange die EU sie gewähren ließ, verfolgten die Angehörigen dieser korrupten Kaste ihre Geschäfte im Stillen."
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Internet

Unternehmen wie Facebook stellen Strukturen bereit, die für das Funktionieren der heutigen Öffentlichkeit entscheidend sind, verwalten sie aber als Privatunternehmen, die ihren willkürlichen Launen folgen müssen und im Umgang mit Daten Transparenz vermissen lassen. Der Soziologe und Autor Thomas Wagner findet in der taz, dass diese Unternehmen gezügelt werden müssen:  "Till Wagner und Benjamin Böhm von der Arbeitsgemeinschaft Unternehmen in Verantwortungseigentum fordern die Einführung einer neuen Rechtsform für Unternehmen, die mehr unternehmerische Freiheit als das vorhandene Stiftungsrecht ermöglicht, diese aber gleichwohl dem Gemeinwohl verpflichtet. An die Stelle des Kapitaleigentums soll das sogenannte Verantwortungseigentum treten... Dieser Vorstoß weist in die richtige Richtung. Doch darf auch die Vergesellschaftung der Internetgiganten kein Tabuthema mehr sein."

(Via Netzpolitik) Li Yuan besucht für die New York Times die Pekinger Firma Beyondsoft, wo im Auftrag der Regierung 4.000 Angestellte eine populäre News-App in einer bestimmten Region Chinas auf zu zensierende Inhalte prüft: "Die Software von Beyondsoft durchsucht die Internetseiten und markiert potenziell problematische Wörter in verschiedenen Farben. Wenn eine Seite voller farbiger Wörter ist, erfordert sie laut den Managern einen näheren Blick. Wenn nur ein oder zwei Wörter auf der Seite sind, kann man sie in der Regel durchlassen."

Außerdem: Nachdem Irland seine Steuerschlupflöcher für Google geschlossen hat, soll Google 20 Milliarden Dollar auf die Bermudas transferiert haben, melden rp-online.de/Reuters.
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Gesellschaft

Robert Menasse hat Walter Hallstein falsche Aussagen über Europa zugeschrieben, die Hallstein in einer nie gehaltenen Rede in Auschwitz geäußert hätte. Die Fälschungen wurden zuerst ohne großen Effekt von Heinrich August Winkler kritisiert (siehe unsere Resümees). Martin Reeh hält sie in der taz für ähnlich gravierend wie den Fall Claas Relotius: "Ebenso wie Relotius hat auch Menasse das Schwarz-Weiß-Denken bedient. Bei Menasse ist es die Position, dass die Nationalstaaten obsolet seien und die Vereinigten Staaten von Europa kommen müssten. Dabei hat gerade diese sich selbst als proeuropäisch verstehende Position etwas sehr Deutsches: Es ist die Sehnsucht nach absoluten Lösungen, statt mühsam Kompromisse auszuhandeln." In zwei Artikeln geht die taz (hier und hier) näher auf die Vorwürfe ein.

Im NZZ-Interview mit Peer Teuwsen spricht die Historikerin Ute Frevert über Instrumente der Demütigung, die Enthemmung in den Sozialen Netzwerken und die Rückkehr des Prangers: "Verschärft kann man das heute in den sozialen Netzwerken beobachten, denen jede Art von innerer Ordnung abhandengekommen zu sein scheint. Hier macht sich ein Vernichtungswille breit, der keine Grenzen mehr kennt. In seinen moderaten Varianten geht es um die öffentliche Demütigung derer, die aus irgendeinem Grund nicht dazugehören sollen - weil sie die falsche Kleidung tragen, übergewichtig sind oder eine andere Meinung haben. Oft aber steigert sich diese Lust an der Demütigung anderer bis hin zu widerlichen Gewaltphantasien und Drohungen."
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