9punkt - Die Debattenrundschau

Der digitale Dissens

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.01.2019. Nach dem großen Datenraub rät Netzpolitik zur digitalen Selbstverteidigung, fordert von der Politik aber auch "Privacy by Default". In der FAZ vermutet Frank Rieger die Hinterleute in der Doxing-Ecke. In der taz fragt Hans Ulrich Gumprecht, was Politik eigentlich noch bewirkt. In der Washington Post sorgt sich Anne Applebaum um Amerikas öffentlichen Dienst als einem Grundpfeiler der Demokratie. Das Nieman Lab bereitet die Medien auf ein miserables Jahr vor.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.01.2019 finden Sie hier

Internet

Die FAZ hat sich von CCC-Sprecher Frank Rieger den massenhaften Datenraub deuten lassen, mit dem private Daten von Hunderten Politikern, Journalisten und Künstlern ins Netz gestellt wurden: "Die Struktur der abgegriffenen Daten deute darauf hin, dass der Datendieb aus der 'Doxing-Ecke' komme, sagte Rieger, als jener Netzszene, in der es darum geht, andere und Andersdenkende mit der Veröffentlichung persönlicher Daten zu diffamieren. An die publizierten Daten könne man, so Rieger, durch Recherche, offene Quellen und digitalen Einbruch kommen. Auch wenn es so aussehe, als könne hier jemand losgelegt haben, den Langeweile und Hass auf die Welt umtreibe, sei es für staatliche Angreifer selbstverständlich ein Leichtes, so zu tun als ob." Wie Wikipedia verrät: Beim Doxing geht es um das Zusammentragen von Dokumenten (=docs/dox) Missliebiger.

Netzpolitik gibt einen Leitfaden zur digitalen Selbstverteidigung. Markus Reuter zufolge sollten sich die Leute aber nicht mit der Mahnung zu sicheren Passwörtern abspeisen lassen: "Dabei ist die Politik auch selbst gefragt, um den Datenschutz zu stärken. Es braucht mehr Geld für die digitale Kompetenzvermittlung, mehr Stellen in den Datenschutzbehörden und eine politische Stärkung des Prinzips 'Privacy by Default'. Die große Koalition betreibt durch die Einführung von Staatstrojanern selbst die Offenhaltung von Sicherheitslücken und blockiert bei der E-Privacy-Verordnung eine Stärkung von Verbraucherrechten. Politik muss endlich begreifen, dass Datenschutz kein Hemmnis ist, sondern im Gegensatz dazu Werkzeuge der digitalen Selbstverteidigung, einfach zu nutzende Open-Source-Verschlüsselungen, Passwortmanager und ähnliche Privacy-Tools fördern."
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Politik

Die USA haben ihre Rhythmus gefunden. Donald Trump twittert nach Impuls, die Zeitungen kontern mit täglichen Katastrophenmeldung, und die Wirtschaft brummt vor sich hin. Bei Hans Ulrich Gumbrecht lässt das im taz-Interview die Frage aufkommen, wie relevant Politik eigentlich noch ist: "Ich spreche von einer brüchigen Gegenwart, und damit meine ich, dass bestimmte Institutionen immer dysfunktionaler werden, ohne dass es Ideen für die Zukunft gibt. Ideen, wo wir hinwollen, wie es sie im 19. Jahrhundert und im Zeitalter der Ideologien im Überfluss gab, auf der Rechten und auf der Linken. Heute weiß keiner, wo es hingehen soll. Sympathisch sind mir Zugänge mit der Prämisse, dass wir neu verstehen müssen, dass wir keine Patentrezepte mehr haben. Wie kann das sein, dass ein bemerkenswerter Vollidiot Präsident ist und nichts passiert - weder national noch international? Das muss man erst einmal verstehen. Und dann sollte man in seinen Reaktionen experimentell sein."

Vielleicht spürt man eher woanders, was passiert: Libération hat sich unter jungen IranerInnen umgehört, die so viel Hoffnung mit der Unterzeichnung des Nuklearabkommens verbunden hatten und jetzt, durch die neuen Sanktionen der USA, sehr enttäuscht sind: "Ich war sehr opitimistisch. Heute bin ich sehr beunruhigt und ehrlich gesagt, sehr pessimistisch. Unsere Währung ist in den vergangenen sechs Monaten eingebrochen. Die Preise für importierte Waren sind vier mal höher als im vorigen Jahre, die Produkte von hier sind doppelt so teuer, aber mein Gehalt ist nur um 14 Prozent gestiegen. Mein Leben ist härter."

Nicht erst mit der rabiaten Haushaltssperre, sondern mit seinen Angriffen auf das FBI und das Justizministerium, mit Vetternwirtschaft und Ämterpatronage bringt Donald Trump den öffentlichen Dienst in Verruf und Gefahr, fürchtet Anne Applebaum in der Washington Post: "Die Mehrheit der Menschen, die für den Staat arbeiten, müssen daran glauben können, dass sie für ihr Land arbeiten, nicht für eine Person. Sie brauchen zumindest etwas patriotische Motivation, denn bei diesen Jobs arbeitet man nicht allein fürs Geld. Und das macht die Sache so heikel: Während es lange Zeit dauern kann, ein solches Ethos zu bilden - Jahrzehnte, Jahrhunderte - kann es über Nacht zerstört werden. Es braucht nur einen Politiker, der alle entlässt und durch seine Anhänger ersetzt. Dann ist es vorbei und was folgt, wird immer schlechter. Hugo Chavez rächte sich an den Angestellten des öffentlichen Dienstes, die ihn nicht unterstützen, und das war der Anfang vom Ende der Demokratie in Venezuela. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan benutzte den Putschversuch gegen ihn, um danach 150.000 Beamte zu entlassen und 50.000 zu verhaften, womit er eine Zeit von Angst und Chaos einleitete."
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Medien

Das Nieman Lab bereitet die journalistische Branche auf ein weiteres miserables Jahr vor: "Für die meisten Medien wird 2019 weniger Geld und mehr Kürzungen bringen, schreibt Rasmus Kleis Nielsen. Einfach nur Paywalls zu errichten, wird es nicht bringen, meint er und fordert mehr und besseren Journalismus, für den die Leute auch zu zahlen bereit seien: "Viele der heute online veröffentlichten Berichte sind es einfach nicht wert, dafür zu zahlen. Einiges davon ist nicht mal unsere flüchtige Aufmerksamkeit wert."

Xiao Mina wirft - ebenfalls im Niemann Lab - in die Debatte, dass wir vielleicht gar nicht das Ende der Wahrheit erleben, sondern nur das Ende des großen Konsens: "Die Welt insgesamt, aber besonders der Westen entfernen sich von einem Konsens, der vom Fernsehen getragen war, hin zu etwas, was Penny Andrews den digitalen Dissens nennt: 'Wir hatten den Nachkriegskonsens, dann den neoliberalen Konsens und jetzt haben wir etwas ganz anderes, den digitalen Dissens, in Echokammern fragmentiert und immer schnell empört. Die Leute wählen nicht unbedingt nach ihrer Klasse, ihrer Anstellung oder anderen traditionellen Faktoren. Viele Leute wählen überhaupt nicht."
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Stichwörter: Digitaler Dissens, Paywalls, Mina

Europa

In der SZ berichtet Christiane Schlötzer, dass die exorbitant hohen Papierpreise in der Türkei die Verlage dort enorm unter Druck bringen. Das Land produziert kein Papier mehr und muss daher jeden einzelnen Bogen importieren. Ein regierungsnaher Monopolkonzern wittert ein Riesengschäft: "Die Vereinigung der Buchverleger hat die Regierung gebeten, die Mehrwertsteuer auf Bücher von acht auf ein Prozent zu senken. Bislang ohne Erfolg. Auch die meisten Zeitungen haben wegen der Papierkosten ihre Preise erhöht und den Umfang verringert. Eindeutig im Vorteil sind die Blätter, die der Regierung nahestehen, denn sie sind immer noch voll von ganzseitigen Anzeigen, die wiederum häufig von regierungsnahen Firmen aufgegeben werden, besonders aus der Baubranche. Die inhaltliche Vielfalt, die es auf dem türkischen Buchmarkt noch gibt, ist bei den Zeitungen längst Geschichte, die Blätter sind auch intellektuell verarmt, der politische Druck fast überall spürbar."
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