Zehntausende schlossen sich gestern dem Trauerzug für den ermordeten Danziger Bürgermeister
Pawel Adamowicz an. Gabriele Lesser
berichtet für die
taz - auch über das Murren in der Menge über die Trauerrede der Erzbischofs Leszek Glodz und das Bündnis der PiS-Partei mit der
katholischen Kirche: "Adamowicz war unter den Bürgermeistern Polens der mutigste Gegner der PiS, der es auch wagte, sich in die Landespolitik einzumischen. So richtete er vor zwei Jahren demonstrativ eine Konferenz und eine Festessen zum 30-jährigen Bestehen des
polnischen Verfassungsgerichts aus, das die PiS in der Hauptstadt Warschau verhinderte und in Danzig boykottierte. Heute - nach drei Jahren Regierungszeit der PiS mit absoluter Mehrheit im Parlament - ist das Verfassungsgericht nur noch ein Schatten seiner selbst."
Auf
Zeit online hofft Heinrich Wefing "gleichsam mit angehaltenem Atem, dass der Mord ein
Anlass zur Einkehr, zur Umkehr werden möge, dass das Land angesichts des Todes leiser werde, versöhnlicher. Nur sehr wahrscheinlich ist das nicht. Polen steht in einem Wahljahr, das
aufgeladener ist als jedes seit 1989. Die Polarisierung nimmt zu, der
Diskurs ist hasserfüllt, und niemand vermag zu sagen, wie und mit welchem Effekt der Mord politisch instrumentalisiert werden wird. Schmerz und Trauer können auch ungeheuer zersetzend wirken."
Nationalismen schließen einander normalerweise aus - aber mit der neuen Form des Nationalismus in Form des Rechtspopulismus ist das nicht mehr so,
schreibt Welt-Autor Thomas Schmid, der vielfältige Bündnisversuche beobachtet, und vor allem den einen großen: "Europas Rechtspopulisten setzen auf die
Wahl zum Europaparlament. Bisher waren sie dort auf verschiedene Fraktionen verteilt und behinderten sich gegenseitig - eben, weil sie ihre jeweiligen nationalen Ziele verfolgten. Ein bisschen Sand ins Getriebe streuen, mehr war nicht möglich. Das soll sich jetzt ändern. Die Kräfte sollen gebündelt werden, es soll erstmals so zum
Angriff auf die EU geblasen werden, dass das nicht wie ein Unternehmen von ein paar Verrückten aussieht."
Robert Menasses falsche Hallstein-Zitate und die Verleihung der Zuckmayer-Medaille an Menasse sind für den Medienredakteur der
FAZ Michael Hanfeld glatt ein Lehrstück "zur Zerstörung des politischen Diskurses und des
Gedenkens an den Holocaust" - so die Unterzeile seines Feuilleton-Aufmachers. Warum das Gedenken an den Holocaust durch Menasses Zitate zerstört worden sein soll (er legte Hallstein ja gerade einen erinnerungspolitischen Bezug zu Auschwitz in den Mund) führt der Artikel dann aber eigentlich nicht aus. Hanfeld stört vor allem, dass Menasse bei der Verleihung - wohl auch mit Blick auf Patrick Bahners' Angriff in der
FAZ (
hier) - sagte, das "kluge deutsche Feuilleton" wolle wohl das Thema Holocaust
nicht den Juden überlassen: "Nur an dieser Stelle meinte man, beim Publikum ein kurzes Innehalten zu verspüren. Hat er das
tatsächlich gesagt? Hat Robert Menasse, dessen Vater mit einem der letzten Kinderrettungstransporte aus Wien 1938 dem Holocaust entkam, seine Kritiker in die Nähe von Antisemiten gerückt? Das muss man erst einmal sacken lassen."
John Harris
besucht für den
Guardian eine Versammlung harter
No-Deal-Brexiters in Wetherspoons und staunt über die
Entschiedenheit, mit der der härteste Bruch hier herbeigesehnt wird: "Der
Geschlechter-Aspekt des Brexit wird immer noch zu wenig berücksichtigt. Von den Menschen, die sich in diesen Wetherspoons versammelt haben, waren 90 Prozent Männer. In einer kürzlich von YouGov durchgeführten Umfrage wurde die Unterstützung für No Deal auf 22 Prozent geschätzt, aber während 28 Prozent der Männer für No Deal waren, waren es bei den Frauen nur 16 Prozent. Hier spielt etwas Ähnliches mit wie die
kriegerische Männlichkeit, die von Donald Trump kanalisiert wird: eine Sehnsucht nach einer Alles-oder-Nichts-Politik, nach Feinden und endloser Konfrontation und eine aggressive Nostalgie."
In der
NZZ warnt die ukrainische Kulturwissenschaftlerin
Kateryna Botanova, Sprachenpolitik als Waffe einzusetzen. Anlass ist ein neues
Sprachgesetz in der Ukraine, das "starke Beschränkung und Strafen für den Gebrauch des Russischen" vorsieht. Das ist gefährlicher Unsinn, findet sie, dass Russische ist in der Ukraine nicht nur das Imperiale, sondern auch Lebenswirklichkeit einer sehr großen Minderheit. Gleichberechtigung der Sprachen gebe es längst: "Das Ukrainische wird nicht länger als bäuerliche Sprache diskreditiert oder belächelt, wie das noch vor 10 bis 15 Jahren der Fall war. Allerdings gibt es in den Städten noch immer viele Menschen, die das Ukrainische nicht aktiv beherrschen. Das neue,
gleichberechtigte Miteinander der beiden Sprachen ist allerdings nur zu erreichen, wenn man sich von der durch den Krieg legitimierten und
sehr bequemen Opferrolle verabschiedet und sich der Wirklichkeit stellt, in der sich die Ukraine als politische Nation mit einer turbulenten Geschichte, einer polyethnischen und polykulturellen Gesellschaft begreift."
Die geplante europäische
Urheberrechtsreform ist vorerst gescheitert: am Einspruch von elf Ländern, darunter Deutschland,
meldet Zeit online. In der
Welt ist Christian Meier
empört: Google und Youtube haben sich mit Anzeigen gegen die Reform ausgesprochen. "In den vergangenen Tagen waren in den sozialen Netzwerken Screenshots von Google-Suchseiten aufgetaucht, die an
vielen Stellen weiß waren. Die Botschaft dahinter: So könnte eine Google-Suche mit einem Leistungsschutzrecht aussehen, nämlich unvollständig. Auch die Verbreitung dieser Bilder ist freilich Teil des Kampfes um die Reform, die amerikanische Tech-Unternehmen stärker als bisher in die Verantwortung nehmen soll. ... Drohungen dieser Art sind Teil des erbittert geführten Kampfes inner- und außerhalb der politischen Arena, bei dem die Unternehmen auch ihre Nutzer auf der ganzen Welt mobilisieren wollen, um
ihre wirtschaftlichen Interessen zu wahren." Das käme den Zeitungen natürlich nie in den Sinn!
Die Argumentation der europäischen Zeitungen zum
Leistungsschutzrecht auf Zitate könnte auf die Zeitungen selbst zurückfallen, meint Ronnie Grob, der sich in der
NZZ gegen die Idee wendet, Zitatschnipsel rechtlich zu schützen: "Denn könnte nicht jeder, der in einer Zeitung zitiert wird, behaupten, die Zeitung verdiene hier Geld mit einer Leistung, die sie
nicht selbst erbracht habe? Wer folglich seine Leistung, also die Aussage, mit einem 'Leistungsschutzrecht' schützen will, schickt einfach eine Rechnung an die Zeitung, die das Zitat genutzt hat. Von der Automatisierung abgesehen ist es exakt das gleiche Vorgehen. Es wäre das
Ende einer freien Kommunikation."
Libération präsentiert ein
Riesen-Onlinedossier zur Frage, warum das
Vertrauen in den Journalismus zurückgegangen ist. Anlass sind die Attacken, denen Journalisten von Seiten der
Gelben Westen ausgesetzt waren - die bis hin zu körperlichen Angriffen gingen: "Die Bewegung der Gilets jaunes konfrontiert die Medien mit dem Misstrauen, dem sie in einem großen Teil der Öffentlichkeit ausgesetzt sind", heißt es in der Einleitung: "Das Wort ist schwach: In diesem Stadium wäre es besser, über Wut, Abscheu
und sogar Hass zu sprechen. Bei Journalisten wird die Situation als ungerecht wahrgenommen. Noch nie zuvor waren Journalisten
so gut ausgebildet wie heute, so versiert in ethischen Fragen und so bewusst, dass Information auch Fallstricke bietet." In dem Dossier werden 25 Journalisten um eine Analyse gebeten, woher der Hass kommt - ein Punkt ist, dass die Journalisten sozial eine
sehr homogene Gruppe bilden.