9punkt - Die Debattenrundschau

Die wahre Parität

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
29.01.2019. Eine soziale Bewegung ist nicht an sich ein gutes Ding, sagt Bernard-Henri Lévy in der Presse mit Blick auf die Gelben Westen. "Männer und Frauen sind nicht gleich", insistiert Monika Maron bei cicero.de. Im Online-Magazin Africa is a Country legt der südafrikanische Psychologe Wahbie Long dar, dass man eine Zukunft ohne "Rasse" nur haben kann, wenn auch Antirassisten den Begriff nicht als Marker betrachten. Und das Niemanlab fragt, warum sich die Preise von Printzeitungen in den USA in kurzer Zeit so drastisch erhöhten.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 29.01.2019 finden Sie hier

Europa

Die Dänen bauen einen hüfthohen Zaun an der Grenze zu Deutschland! Angeblich will die konservativ-liberale Regierung im Verbund mit der rechten Dansk Folkeparti die Afrikanische Schweinepest auf Abstand halten, erklärt Peter Burghardt auf SZ online: "Eine sichtbare Grenze mitten in Westeuropa, mitten in der EU, mitten im eigentlich grenzenlosen Schengen-Raum. Das ist natürlich sehr symbolisch, gerade in diesen Zeiten der Verwirrung um Brexit und europäische Ideale. Dass sich der Wind dreht, das merkt schon, wer auf der Anfahrt über die Autobahn A 7 hinter Flensburg von dänischen Grenzpolizisten herausgewinkt und kontrolliert wird."

Bernard-Henri Lévy tourt mit seinem Stück "Looking for Europe" vor den Europawahlen durch die Hauptstädte. Das Stück greift die aktuelle Situation auf und wird den einzelnen Ländern angepasst. Zur Zeit ist er in Österreich, wo Anne-Catherine Simon für die Presse mit ihm gesprochen hat - auch über die Gelben Westen: "Es ist ein wichtiges Phänomen, das auch sehr gefährlich sein kann. Die Demonstrationen am 6. Februar 1934 in Paris waren diesen hier beunruhigend ähnlich. Eine soziale Bewegung ist nicht zwangsläufig gut. Auch die faschistischen Bewegungen waren soziale Bewegungen, sonst hätten sie nicht funktioniert. Natürlich müssen Probleme gelöst werden. Aber das Leiden, das soziale Elend gibt nicht alle Rechte. Es gibt in dieser Bewegung eine Sprache, die den Tod transportiert."

Die urbritische Fährgesellschaft P&O ("Peninsular and Orient"), die ihre große Zeit hatte, als sie Opium nach China transportierte und die Briten durchs Anfixen der Chinesen reich machte, verlegt ihren offiziellen Hauptsitz aus Großbritannien und wird nach einem No-Deal-Brexit (oder auch sonst?) unter zypriotischer Flagge fahren. Polly Toynbee kann es im Guardian nicht fassen: "Es wird in der Tat einfacher sein, von innerhalb der EU aus zu arbeiten. Die Fährgesellschaft verspricht vorerst keine Änderung der Arbeitsbedingungen. Doch der Brexit wird ein Problem für britische Besatzungsmitglieder sein, die Kompetenznachweise benötigen. Nach Ablauf ihrer Zertifikate kann es, wie bei anderen Berufen und Gewerken auch, Jahre dauern, bis die EU die britischen Qualifikationen anerkennt."

Auch Frankreich hat eine Diskussion über Tempolimits, und die Gilets jaunes sind ihre Protagonisten. Eines ihrer Hassobjekte ist die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Landstraßen, die von der Regierung Macron auf 80 Kilometer pro Stunde gesenkt worden ist. 1.500 Radare überwachen die Einhaltung der neuen Regel, die angeblich schon 116 Menschenleben gerettet hat. Aber die Gilets jaunes zerstören die Radare - 60 Prozent von ihnen sollen inzwischen beschädigt worden sein. Laurent Joffrin von Libération hat die Gelben Westen ja sehr gern, aber das geht ihm zu weit: "Demokratischer Protest? Nein: Demagogischer Aufstand. Im Gegensatz zu den skandalösen Anklagen der Autolobby gegen die Maßnahme ging es nicht darum, die 'Pariser Herrschaft über die Territorien' zu bekräftigen und noch weniger 'die Franzosen zu nerven', um 'die Staatskassen zu füllen'. Die Behörden sollen mit Maß Autofahrer, Fahrgäste und Fußgänger vor den schädlichen Auswirkungen der Geschwindigkeitsüberschreitung auf der Straße schützen. Erinnern wir uns daran, dass nicht die Radare die Staatskassen 'füllen', sondern die Autofahrer, die gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen und deshalb zu Recht bestraft werden."
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Religion

Eine weitere Parallele: Auch in Frankreich gibt es die Idee einer Art muslimischen Kirchensteuer, die etwa auf Halal-Geschäfte und Reisebüros, die Reisen nach Mekka organisieren, erhoben werden könnte, mit dem Ziel einen französischen Islam ohne staatliches Geld zu schaffen und so den Staat und Religion weitestmöglich getrennt zu halten. Denn bisher kommen die meisten Imame in Frankreich aus Algerien und Marokko. Vorgebracht wurde die Idee von dem Politologen Hakim El Karoui (mehr hier). Macrons Regierung scheint mit solchen Ideen zu sympathieren. Und auch Kamel Daoud findet sie sinnvoll, wie er in seiner New-York-Times-Kolumne begründet. Und dennoch glaubt er nicht an sie: "Was einigen sollte, spaltet. El Karaouis Vorschläge sind umstritten, vor allem beim Französischen Rat muslimischen Glaubens. Einer der Vizepräsidenten nannte sie eine 'Beleidigung für den Islam' und beschuldigte El Karaoui, Islam und Islamismus gleichzusetzen. Diese Reaktion ist charakteristisch für die scheinbar endlose Debatte zwischen jenen, die ihr Monopol über den Islam behalten wollen, und jenen die einen französischen Islam wollen."
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Politik

Kaum bemerkt wurden einige Besetzungen von Botschaften afrikanischer Länder in Berlin und Paris, die Caroline Fetscher im Tagesspiegel zum Anlass nimmt, auf den Kontinent zu blicken: "Welche Botschaft die Botschaftsbesetzer von Berlin hatten, dazu könne sie 'noch nichts sagen' ließ die hiesige Polizei wissen. Eins ist sicher: Es ging ihnen unter Garantie nicht um die Restitution afrikanischer Masken aus europäischen Sammlungen." Ihr eigentliches Problem, so Fetscher, sei eher die Gerontokratie der Diktatoren: "Den Zorn von Europäern erregen die zählebigen Machtcliquen in Subsahara-Afrika kaum. Anlass dafür gäbe es durchaus. Seit 1979 herrscht der Diktator Teodoro Obiang über Äquatorialguinea, 41 Jahre lang regierte Präsident Omar Bongo das ölreiche Gabun, nach seinem Tod 2009 übernahm der Sohn. In Uganda ist Yoweri Museveni seit 1986 am Ruder, im Sudan seit 1989 Umar al-Baschir. Ins 30. Jahr geht die Herrschaft von Idriss Déby im Tschad, jener 'stabile' und bettelarme Staat, den Europa zum strategischen Partner beim Eindämmen von Migration und Terror erkoren hat."

Außerdem: Felix Lee porträtiert in der taz den chinesischen Juristen Wang Quanzhang, der wegen Verteidigung von Falun-Gong-Anhängern und anderen Untaten zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde - nachdem man ihn dreieinhalb Jahre an einem unbekannten ort festhielt.
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Ideen

"Parität in allen Bereichen erscheint mir einfach logisch", hat Angela Merkel im Interview mit der ostdeutschen Schriftstellerin Jana Hensel in der Zeit gesagt (unser Resümee des Interviews). Monika Maron widerspricht bei Cicero.de und stellt den Begriff der "Parität" insgesamt in Frage: "Wäre das Politbüro der DDR besser gewesen, wenn es paritätisch mit Frauen besetzt gewesen wäre? Männer und Frauen sind nicht gleich. Wir haben eine jahrhunderttausendalte Geschichte, die uns physisch und psychisch geprägt hat. Darum spielen allen Erziehungsexperimenten zum Trotz Mädchen lieber mit Puppen und Jungen mit Autos. Die wahre Parität im Sinne von Gleichwertigkeit liegt in der gleichen Achtung gegenüber den verschiedenen Vorlieben und Fähigkeiten."
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Gesellschaft

Was genau soll man in Afrika eigentlich mit dem Begriff "Dekolonisierung" anfangen und was mit einem Identitätsdiskurs, der ausschließlich von der akademischen Mittelklasse geführt wird, fragt sich der südafrikanische Psychologe Wahbie Long im online-Magazin Africa is a Country. "Dekolonisierung schweißt uns ein in ein koloniales Imaginäres, in dem die Gegensätze von Kolonisator und Kolonisiertem, Weiß und Schwarz unveränderlich werden. Wenn wir uns einer Zukunft ohne 'Rasse' verschreiben wollen, wie sie in unserer Verfassung verankert ist, kann man sich schwer vorstellen, wie das jemals realisiert werden soll, solange wir weiterhin sehr umstrittene Marker der sozialen Differenz erhalten - und aufrüsten. Ich spreche natürlich von 'Rasse', denn obwohl der gesunde Menschenverstand einem sagt, dass es sich dabei um eine soziale Konstruktion handelt, beharren einige von uns weiterhin auf dem Wert des strategischen Essenzialismus. Es kann nicht geleugnet werden, dass Rassismus ein integraler Bestandteil der gelebten Erfahrung in Südafrika bleibt, aber man muss ihn von der Rasse unterscheiden, die wiederum keinen externen Bezug hat."

In Amerika wird er als Deutscher akzeptiert, kein Mensch fragt ihn, woher er "eigentlich" kommt, erzählt der Mediziner Mahmut Martin Yüksel, der das sehr angenehm findet, in der Welt: "Was in Deutschland fehlt, ist sowohl eine Inklusionsbereitschaft von den Bürgern ohne Migrationshintergrund - als auch ein starkes Zugehörigkeitsgefühl der Deutschen mit Migrationshintergrund, die sich dieser persönlichen Auseinandersetzung stellen. Dem Deutschen mit ausländischen Wurzeln sollte es ohne Probleme möglich sein, sich stolz deutsch nennen dürfen, denn es entspricht nur der Wahrheit."
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Medien

In Deutschland möchte Mathias Döpfner Journalisten aus den sozialen Medien holen (unser Resümee). In den USA behauptete der New-York-Times-Kolumnist Farhad Manjoo, dass Twitter den Journalismus zerstöre. Leute, die selbst mächtige Plattformen haben, können leicht meckern, erwidert Jeff jarvis bei Medium. Die Journalisten sollten das Gespräch suchen, statt sich von den Hallräumen der Öffentlichkeit abzuwenden. Und "ich stimme dem technologischen Determinismus und der moralischen Panik, die dem Instrument die Schuld geben, nicht zu. 'Twitter ruiniert den amerikanischen Journalismus', sagt Manjoo. Nein, Journalisten sind für den Zustand des amerikanischen Journalismus verantwortlich. Sie haben niemanden zu beschuldigen, außer sich selbst, wenn sie sich zu früh mit unbestätigten Informationen und voreiligen Schlüssen auf eine Geschichte stürzen..."

Die Preise für Printzeitungen in den USA haben sich in den letzten zehn Jahren drastisch erhöht, und noch mehr, wenn man über einen längeren Zeitraum blickt, schreibt Joshua Benton im Neimanlab mit Blick auf eine Studie zum Thema: Ein New-York-Times-Abo kostete 2001 130 Dollar und heute 1.000 Dollar. "Der größte Preistreiber war die Los Angeles Times, die vor zehn Jahren bei ziemlich niedrigen 104 Dollar startete und heute 624 Dollar für die Lieferung nach Haus verlangt. Aber insgesamt erhöhten Zeitungen ihre Preise um den Faktor 2 bis 2,5. Einzelausgaben in der Woche haben sich sogar grob verdreifacht." Benton geht nicht auf die Frage ein, ob sich nicht auch gleichzeitig noch der Inhalt der Zeitungen verknappte (wie das in Deutschland vielfach der Fall sein dürfte). Er schließt: "Mehr Geld aus den loyalsten Kunden herauszuholen, ist eine gute Sache. Es ist buchstäblich der einzige strategische Schachzug, der im letzten Jahrzehnt wirklich funktionierte."
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Internet

Entgegen aller Versprechungen will Mark Zuckerberg nun doch Chat-Technik und Daten seiner drei Social-Media-Dienste Facebook, Whatsapp und Instagram verschmelzen, meldet Jannis Brühl in der SZ online: "Skeptiker hielten die formelle Unabhängigkeit der Tochter-Apps immer für ein Feigenblatt: Irgendwann werde Facebook sein Anzeigenmodell samt Datenhunger auch Whatsapp überstülpen. Es lässt sich nun nicht mehr leugnen: Hier entsteht ein Monopolist. Er baut ein Ökosystem der Kommunikation, in dem der Preis für Verzicht immer höher wird. Aussteigern droht bald der Verlust ihres sozialen Netzwerks über drei Apps hinweg." Da sollte man jetzt schon mal über die "Zerschlagung des Konzerns" reden, meint Brühl.

Erny Gillen und Ranga Yogeshwar wenden sich in der FAZ gegen eine Facebook-Spende in Höhe von 6,5 Millionen Euro an die TU München für Forschung zur Ethik in der Künstlichen Intelligenz. Ihr Argument ist, dass Facebook hier natürlich aus Eigeninteresse handelt. Die Konsequenzen sehen sie als grundstürzend: "Auch die Indios konnten sich weder vorstellen, dass man mit Gold auf der anderen Seite der Welt reich wurde, noch erkannten sie, dass die importierte Kultur der Konquistadoren ihre eigene Zivilisation zerstören würde. Genau hier schließt sich der Kreis der Geschichte. Auch wir werden Zeugen eines unerhörten kulturellen Auflösungsprozesses. Die Basis des Gemeinsamen löst sich auf." Wir sind die Indios Mark Zuckerbergs!
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