9punkt - Die Debattenrundschau

Nur wenige Kilometer vom Kreml entfernt

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
06.02.2019. Die SZ denkt darüber nach, wie der Rechtsextremismus in den Neuen Ländern zu bewältigen wäre. Nicht allein die offene Grenze ist das Problem in Irland, sondern was die Communities dort wollen, schreiben zwei Politologen in politico.eu. Doch, Donald Trump wollte einen Turm in Moskau bauen, und er arbeitete auch während seines Wahlkampfs daran, behauptet Buzzfeed. Nun sieht es so aus, dass die Uploadfilter doch kommen, schreibt die EU-Abgeordnete Julia Reda, und zwar auch für kleine Plattformen. Und die Berliner Zeitung fragt, ob das Entgelttransparenzgesetz für die Katz war.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 06.02.2019 finden Sie hier

Europa

Der Politologe David Henig, Befürworter des Backstop für Nordirland, und Daniel Moylan, ein Berater Boris Johnsons, haben es hingekriegt, für politico.eu einen gemeinsamen Text zur Frage zu schreiben. Es geht nicht allein um die Frage, wie offen die Grenze ist, sondern um das komplizierte Seelenleben der beiden Communities, schreiben sie: "Die Befürworter eines vereinten Irland müssen die offene Grenze um jeden Preis bewahren, da sie als Wegbereiter für ihr politisches Ziel angesehen wird. Die Unionisten sind dagegen vor allem bestrebt, offene Grenzen und Regulierungsparität mit dem Rest des Vereinigten Königreichs aufrechtzuerhalten. Sie befürchten aber auch, dass Einschränkungen der britischen Freiheit nach dem Brexit die Unterstützung für die Union im Mutterland beschädigen könnte." Die beiden Autoren fordern eine neutrale Instanz, um den Prozess zu begleiten.

Oh bitte, keine zweite Abstimmung über den Brexit, stöhnt der französische Journalist Jean Quatremer im Guardian. Dann wäre Europa noch über Jahre mit dem Thema beschäftigt. "Die meisten anderen EU-Nationen sind das Hickhack um Großbritannien leid, sie wollen ihr Leben nicht mehr nach dem Brexit-Trommelschlag leben. Eine Verlängerung der Austrittszeit ist nur denkbar, wenn London eine echte, für alle akzeptable Lösung vorschlägt, für die es aber mehr Zeit bräuchte. Aber davon ist nichts zu sehen. Das Alptraumszenario für die EU wäre ein neues Referendum im Vereinigten Königreich, das absolut nichts regeln würde. Bei einem Sieg würde die britische Politik ständig von der europäischen Frage verfolgt. ... Fünf, zehn, zehn, vielleicht 15 Jahre später würde es in Großbritannien ein weiteres Referendum geben. Europa wäre jahrelang eine Geisel der endlosen internen Debatte in Großbritannien. Viel besser für das Vereinigte Königreich, wenn es austritt. Und wenn es zu gegebener Zeit feststellt, dass der Brexit ein schrecklicher Fehler war, kann es wieder eintreten, aber diesmal ohne die Opt-Outs oder den Sonderstatus, den es derzeit genießt."

Die Autorin Manja Präkels und der Rechtsextremismusexperte David Begrich denken im Interview mit der SZ darüber nach, warum die Rechtsextremisten nach der Wende in den neuen Bundesländern so groß geworden sind. Im Augenblick, glauben beide, scheint es erstmals ein ernsthaftes Gespräch darüber zu geben, was schief gelaufen ist - was vielleicht auch an den drei anstehenden Landtagswahlen liegt. Wie müsste also ein Gespräch aussehen? Dazu Begrich: "Zum einen müsste ein innerostdeutscher Generationenkonflikt mit unseren Eltern aufgearbeitet werden, über ihre Verantwortung in der DDR: Warum habt ihr euch so angepasst, unangepasst oder irgendwie dazwischen verhalten? Und das andere: Die Transformationsgesellschaft müsste Thema sein, und das nicht nur in Berlin oder Leipzig auf hochkarätigen Podien irgendwelcher politischen Stiftungen, sondern überall, gerade in der Provinz."
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Ideen

Der Kunsthistoriker Jörg Scheller versteht die Verachtung nicht, die der Idee der Selbstoptimierung entgegengebracht wird. Was bitte ist schlecht daran, sich verbessern zu wollen, fragt er in der NZZ. "Selbstoptimierung zu desavouieren, ist ein Symptom von Wohlstandsverwahrlosung. Man muss sich das erst einmal leisten können. ... Das Bestmögliche aus sich machen zu wollen, ist kein Ausdruck von Überheblichkeit gegenüber der Umwelt. Im Gegenteil, es ist ein Geschenk an sie. Von der Ärztin, die ihre chirurgischen Fertigkeiten verfeinert, profitieren Patienten. Vom Denker, der seine Argumente schärft, profitiert die geistige Kultur. Von Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmern, die ihre Leistung verbessern, profitiert die Sozialpartnerschaft. Und sogar von jenen, die ihr Optimum darin sehen, öfter mal gar nichts zu tun und zu Hause zu bleiben, profitiert einer: der Umweltschutz.
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Politik

So sollte der Trump-Tower in Moskau aussehen. Das Bild gehört zu den Dokumenten, mit denen Buzzfeed beweisen will, dass Trump  noch während seines Präsidentschaftswahlkampfs intensiv an der Realisierung dieses Herzensprojekts arbeitete - Trump bestreitet das: "Die Bemühungen, den Turm bauen zu lassen, zogen sich über eine lange Zeit, sie waren detailorientiert und direkt mit den Höhen und Tiefen seines Wahlkampfs verbunden. Während Trump von Kundgebung zu Kundgebung eilte und lautstark alle Geschäfte in Russland leugnete, arbeiteten seine Vertreter, Michael Cohen und sein Partner Felix Sater, mit Anwälten der Trump Organization und sogar Ivanka Trump zusammen, um die Verhandlungen über den Bau eines hundertstöckigen Gebäudes nur wenige Kilometer vom Kreml entfernt voranzutreiben."
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Internet

Kurzzeitig sah es mal so aus, als würde die europäische Urheberrechtsreform doch noch scheitern, nun kommt aber zumindest Artikel 13 - Uploadfilter - durch, berichtet die EU-Abgeordnete Julia Reda in ihrem Blog. Voraussetzung war ein deutsch-französischer Kompromiss: "Der deutsch-französische Deal, der heute geleakt ist, sieht vor, dass Artikel 13 für alle profitorientierten Plattformen gilt. Alle müssen Uploadfilter installieren, es sei denn, sie erfüllen alle drei der folgenden extrem engen Kriterien: 1. Die Plattform ist jünger als 3 Jahre alt. 2. Der Jahrsumsatz beträgt weniger als 10 Millionen Euro. 3. Die Plattform hat weniger als 5 Millionen Nutzer pro Monat. Unzählige völlig harmlose Apps und Webseiten, die nicht alle dieser Kriterien erfüllen, müssten demnach Uploadfilter installieren, die User und Betreiber gleichermaßen schädigen, selbst wenn die Plattform bisher überhaupt kein Problem mit Urheberrechtsverletzungen hat."
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Gesellschaft

Der 6. Februar ist der Internationale Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung. Nach wie vor wird nicht genug über das Thema aufgeklärt, berichtet Leonie Schöler in der taz: "In Deutschland sind rund 65.000 Mädchen und Frauen von der Praxis betroffen, weitere 15.000 sind laut Angaben von Terre des Femmes potenziell bedroht. Grund dafür ist unter anderem die zunehmende Migration aus Ländern wie Eritrea oder auch dem Irak. Auch aus Somalia, wo sich der Anteil beschnittener Frauen auf 98 Prozent beläuft, kommen zunehmend mehr Migrant*innen nach Deutschland."

Durch den Bericht von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr gewinnt die deutsche Öffentlichkeit insgesamt ein neues Verhältnis zu ihrer Schuld, freuen sich die Berliner Grünen PolitikerInnen Kirsten Kappert-Gonther und Ottmar von Holtz in der taz: "Neben dem zentralen und unabschließbaren Gedenken an die Schoah ist jetzt ein Zeitfenster aufgestoßen worden, in dem die Aufarbeitung des Kolonialismus und seiner Folgen angegangen werden kann. Dies bedeutet nicht nur eine Überprüfung der bisherigen Restitutionspraxis und Ausstattung der Provenienzforschung in Bund und Ländern. Dringend notwendig sind vielmehr eine grundlegende Erweiterung der deutschen Erinnerungskultur und ihrer Narrative sowie die Einbettung in den europäischen Kontext der Kolonialisierung."

Ist das vor anderthalb Jahren verabschiedete Entgelttransparenzgesetz für die Katz, fragt sich eine entgeisterte Christine Dankbar in der Berliner Zeitung, nachdem die Klage der ZDF-Reporterin Birte Meier für Lohngleichheit vor Gericht gescheitert ist - weil sie zwar Ungleichbehandlung, aber keinen Vorsatz nachweisen konnte. "Birte Meier hat versucht, dafür Belege vorzubringen. Sie wies nach, dass zwölf Männer mehr verdienten als sie, einer sogar netto mehr als sie brutto. Und während sie selbst drei Jahre lang auf eine Gehaltserhöhung warten musste, bekam ein Kollege, der gerade mal sechs Monate länger im Betrieb war als sie, 700 Euro mehr. Dazu versuchte Meiers Anwältin zu belegen, dass es in der Redaktion eine 'Benachteiligungskultur' gegeben habe. So habe ein Chef gesagt, Frauen hätten im Politikjournalismus nichts verloren, und mehrmals sei es vorgekommen, dass er einen Konferenzraum, in dem nur Frauen saßen, mit den Worten 'Ist ja keiner da' verließ. Ein Umfeld, das dazu beitrug, dass Frauen auch schlechtere Verträge bekamen?"
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