9punkt - Die Debattenrundschau

Die ganze Idee des Museums

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
22.02.2019. In der SZ schreibt Michal Hvorecky ein Jahr nach dem Mord an Jan Kuciak über die Stimmung in der Slowakei. Die Welt bringt ein Pro und Contra zur Frage, ob es in Berlin ein Mahnmal für die polnischen  Opfer der deutschen Besatzung brauche. Börsenblatt und Deutschlandfunk versuchen, die Krise der Buchbranche nach der Insolvenz des Grossisten KNV auszuloten. L'Espresso weist nach, dass Wladimir Putin über Umwege den Europa-Wahlkampf der Lega Nord subventionieren wollte.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.02.2019 finden Sie hier

Gesellschaft

Stefan Laurin von den Ruhrbaronen erklärt in einem offenen Brief an die Studienstiftung des deutschen Volkes, warum er sich nicht auf ein Podium mit dem rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek setzen will: "Sicher, der Schirmherr der Studienstiftung, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, hat erst vor wenigen Tagen dem iranischen Regime auch in meinem Namen zum 40. Jahrestag der islamischen Revolution gratuliert und so gezeigt, dass er keinerlei Berührungsängste mit einem antisemitischen Terrorregime hat, das die eigene Bevölkerung quält und ausbeutet - wieso sollte er da Vorbehalte gegen jemanden wie Götz Kubitschek haben, der bislang nicht wegen solcher Verbrechen auffiel? Aber muss die Stiftung, die auf eine lange Tradition und Stipendienprogramme unter den Namen so honoriger Personen wie Carlo Schmid, Leo Baeck und John Jay McCloy zurückblicken kann, sich auf Steinmeiers Niveau begeben?"

Dagegen, dass fest angestellte Lehrkräfte als Repräsentanten des Staates in der Schweiz konfessionell neutral auftreten müssen, also weder Kopftuch noch Kippa oder ostentativ ein Kruzifix tragen dürfen, bringt Simon Hehli in der NZZ leise Einwände an: "Dürften die gläubigen Lehrerinnen ein Kopftuch tragen, würden sie dadurch Klarheit über zumindest einen Teil ihres Weltbildes schaffen. Sie stünden unter verschärfter Beobachtung und könnten sich religiös motivierte Beeinflussungsversuche erst recht nicht leisten. Eine solche Transparenz fehlt bei Lehrern und PH-Studierenden aus dem evangelikalen Milieu, von denen es laut Untersuchungen eine beträchtliche Zahl geben soll. Dass sie möglicherweise die ihnen anvertrauten Jugendlichen missionieren wollen oder aufgrund eines fundamentalistischen Bibelverständnisses Sexualaufklärung und Evolutionstheorie ablehnen, sieht man ihnen nicht an."
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Internet

Auch die SPD hat die EU-Urheberrechtsreform durchgewunken, und so sind Artikel 11 mit Leistungsschutzrecht und Artikel 13 mit drohenden Uploadfiltern vorerst beschlossen. Für Samstag sind mehrere Demonstrationen angesagt, im März dann europäische Aktionen, schreibt Tomas Rudl  bei Netzpolitik: "Spannend an diesem Protest ist die Tatsache, dass die Youtube-Community über eine sehr große Reichweite unabhängig von klassischen Medien verfügt und so schnell viele Menschen mobilisieren kann."

Der CDU-Politiker Axel Voss, der die EU-Urheberrechtsreform maßgeblich ausgehandelt hat, ist bei der Vorstellung seines eigenen Verhandlungsergebnisses vor dem EU-Parlament ein paar mal heftig durcheinander geraten. Unter anderem hat er behauptet, private Nutzer dürften ganze Artikel auf Plattformen hochladen, was bereits jetzt nicht erlaubt ist - und bei Leistungsschutzrecht geht es bekanntlich nur um Überschriften und Ähnliches, die nun bezahlt werden sollen. Friedhelm Greis ist bei golem.de fassungslos: "Wie kann er behaupten, in der Debatte würden 'Desinformationen gestreut', wenn er selbst gar nicht verstanden hat, worum es geht?"
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Europa

Alexandra Föderl-Schmid schafft es, für die Süddeutsche einen Kommentar über Antisemitismus in Europa zu schreiben, in dem der muslimische Antisemitismus gar nicht erwähnt wird, während sie dem linken Antisemitismus mildernde Umstände gewährt: "Dass die britische Labour Party unter Jeremy Corbyn und ein Teil der Linken in Frankreich in Verdacht geraten sind, im Windschatten antizionistischer Propaganda und antiisraelischer Boykottbewegungen auch antisemitische Stimmungen zu nähren, hat mit unklaren Positionen zu tun. Corbyn hat es verabsäumt, Abgrenzungen vorzunehmen." Dafür weiß sie aber noch etwas anderes: "Auch in Israel erstarkt der Rassismus."

Über einen vorgeschobenen Erdöl-Deal wollte Putins Russland Matteo Salvinis Lega Nord mehrere Millionen Euro für den europäischen Wahlkampf zukommen lassen, berichten Giovanni Tizian und Stefano Vergine bei L'Espresso: "Die Verhandlungen zur Finanzierung der Lega wurden in den letzten Monaten unter absoluter Geheimhaltung geführt. Besprechungen, Reisen, E-Mails, mündliche Vereinbarungen und Entwürfe von millionenschweren Verträgen. Auf der einen Seite des Tisches einer der treuesten Berater Salvinis, auf der anderen Seite hochrangige Vertreter des Hauses Putin. In der Mitte ein Lager mit 'Kraftstoff nach der Norm EN 590'." Salvini hatte zuvor öffentlich erklärt, er sei an den Geldern Putins nicht interessiert.

In der SZ erhärtet sich für den slowakischen Schriftsteller Michal Hvorecky der Verdacht, dass der Unternehmer Marian Kocner den Doppelmord an Jan Kuciak und seiner Verlobten in Auftrag gegeben hat. (Unser Resümee) Die Slowakei erkennt er nicht mehr wieder: "Unsagbares wurde sagbar, Undenkbares Realität. Regierungsmitglieder verbreiten Verschwörungen und warnen mal vor dem ungarisch-stämmigen Juden George Soros, mal vor Brüssel, mal vor dem UN-Migrationspakt, dessen Ablehnung eine veritable Koalitionskrise ausgelöst hat. Die Situation bleibt angespannt. Es tobt der Kampf um die öffentlich-rechtlichen Medien. Die Justiz agiert oft abhängig von der politischen Elite."
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Kulturmarkt

Im Interview mit  Sabine Cronau vom Börsenblatt spricht Thomas Bez, einer der Gesellschafter des Grossisten Umbreit, über die Insolvenz der Branchengröße KNV, die große Verunsicherung bei Buchhändlern und Verlagen auslöst. Die Krise von KNV gilt zwar als hausgemacht, aber sie ereignet sich vor dem Hintergrund eine geschwächten Branche, die einige ihrer heiligsten Prinzipien aufgegeben hat, so Bez: "Das Buchpreisbindungsgesetz regelt zwar die Grenzen der Konditionenpolitik, aber daran halten sich viele Lieferanten nicht, um bei den Großabnehmern nicht 'ausgelistet' zu werden. Es fließen Werbekostenzuschüsse und Boni, Verlagsauslieferungen 'vergolden' Verlagen den Wechsel, Barsortimente zahlen 'Eintrittsgebühren', um mit großen Ketten ins Geschäft zu kommen. Die innere Aushöhlung der Preisbindung, die ich ja schon lange kritisiere, schreitet voran."

Im Gespräch mit Dina Netz von Dlf schildert Jörg Sundermeier vom Verbrecher-Verlag die Auswirkungen der Krise: "Jetzt können Verlage teilweise KNV gar nicht mehr beliefern, das heißt, KNV kann dieses Ware momentan nicht mehr ausliefern, und dementsprechend können die Buchhändler das auch nicht mehr anbieten."
Archiv: Kulturmarkt
Stichwörter: Buchbranche, Knv, Knv-Insolvenz

Geschichte

Eine zivilgesellschaftliche Initiative, darunter Wolfgang Thierse, fordert die Errichtung eines Denkmals in Berlin für die polnischen Opfer der deutschen Besatzung. Längst überfällig, schreibt der polnische Germanist Waldemar Czachur in der Welt, denn viele Deutsche wüssten heute kaum noch etwas über die deutschen Besatzung, während sie für die polnische Identität bis heute zentral sei: "Die Erzählung über den Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Westeuropa entstand zu Zeiten des Kalten Krieges, somit in Abwesenheit und unter Auslassung Polens. Die Polen, gezwungen, dem sowjetischen Narrativ zu folgen, durften ihre eigenen Erfahrungen und ihre Sicht der Geschichte nicht darstellen."

Nicht so lange die PiS-Partei regiert und mit antideutschen Ressentiments Stimmung macht und Unwahrheiten verbreitet, meint indes der Historiker Sven Felix Kellerhoff und ergänzt: Außerdem "wäre es problematisch, jeder der vielen Opfergruppen des von Hitlerdeutschland begonnenen Krieges ein eigenes Denkmal zu errichten, möglichst noch alle im Umfeld des Regierungsviertels. Wollte man nach Nationen getrennte Memoriale für die Opfer aller heutigen Staaten errichten, die 1939 bis 1945 von der Wehrmacht besetzt waren, kämen rund 25 Gedenkstätten zusammen. Besser kann man Ressentiments gegen eine seriöse Aufarbeitung der Vergangenheit gar nicht züchten. Würde man aber solche Mahnmale nur etwa für die besonders arg getroffenen Polen und Russen bauen, würden das Balten, Ukrainer, Serben oder Griechen zwangsläufig als Zurücksetzung empfinden."
Archiv: Geschichte

Kulturpolitik

Britische Museen beantworten Fragen nach Restitution meist mit Schweigen oder sehr dünnen Auskünften - in Britannien ist die Restitutionsdebatte noch kaum angekommen. Um so bemerkenswerter der Guardian-Artikel der freien Kunsthistorikerin Alice Procter, die weitgehende Rückgabe fordert und gleich ein sehr dezidiertes Bild der Institution Museum mitliefert: "Die ganze Idee des Museums ist eine kolonialistische, imperialistische Fantasie, die aus dem Irrtum geboren wurde, dass die ganze Welt irgendwie ordentlich katalogisiert und in ein einzelnes Gebäude gesteckt werden kann, in dem sich das alles dann leicht verdauen lässt. Es gibt keine Objekte, die aus dem Nichts kommen, jedes Stück in einem Museum wurde aus seinem ursprünglichen Kontext entfernt. Es mag als unangenehm und grob gelten, sich genauer anzusehen, was damit verbunden war."
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Stichwörter: Restitution, Britische Museen

Medien

"Framing", das heißt der systematische Gebrauch von bestimmten Begriffen, Metaphern und Sprache überhaupt, um die Öffentlichkeit nachhaltig zu beeinflussen, den die ARD nach dem Framing-Papier Elisabeth Wehlings (unsere Resümees) in Workshops einübt, ist ja nichts Neues, schreibt der Linguist Henning Lobin in der SZ: "Propagandistisch wird es vor allem in totalitären Systemen eingesetzt, um das Eigene vom Fremden, das Gute vom Bösen und das Reine vom Verdorbenen zu trennen. Ganze Metaphernkomplexe wurden im Dritten Reich entwickelt und systematisch gepflegt, ob es sich nun um die antisemitischen Metaphern des Ungeziefers oder des Parasiten am Volkskörper handelt, um die Metapher der Volksgesundheit zur Legitimation von Euthanasie oder die des Lebensraums zur Begründung eines Angriffskriegs."

Im Interview mit Volker Schütz von Horizont spricht sich Zeit-Online-Chef Jochen Wegner gegen Leistungsschutzrecht und Uploadfilter aus. Ein Problem der Refinanzierung von Medien im Internet sieht er nicht: "Wir beide könnten morgen einen Newsletter gründen oder einen Podcast und davon leben." Zeit online arbeite mit 200 Festangestellten profitabel - allerdings ist an dieser Stelle des Interviews nicht klar, ob Wegner Zeit und Zeit online als Einheit meint.
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