9punkt - Die Debattenrundschau
Womöglich verheißungsvoll
Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Politik
Nach dem Attentat in Christchurch, bei dem 49 Menschen ermordet wurden, haben die neuseeländischen Behörden den 28-jährige Australier Brenton Tarrant als mutmaßlichen Haupttäter identifiziert. Die New York Times nennt das Massaker, das Tarrant live über Twitter, Facebook und 8chan hinausposaunte, "einen Massenmord aus dem Internet und für das Internet". Der Guardian berichtet von Entsetzen und Trauer in Neuseeland und meldet auch, dass Premierministerin Jacinda Ardern semiautomatische Waffen verbieten lassen will.
In der SZ sieht Reporter Ronen Steinke in dem Attentäter den neuen Typus eines rechtsextremen Terroristen, der wie Anders Breivik oder David S., auf den Applaus eines global vernetzten Publikums schiele: "Der Attentäter, der seine Herkunft selbst als 'schottisch, irisch und englisch' angibt, knüpft nicht an klassische rechtsextreme Rhetorik an, die auch zwischen europäischen Völkern trennt. Die Nazis seien doch von gestern, schreibt er. Stattdessen geht es, breiter, um eine 'weiße Rasse' - und um die angeblich bedrohlich hohen Geburtenraten der anderen. Durch Zuwanderung würden die Angestammten verdrängt. Weiße würden 'ausgetauscht'. Der Attentäter hat sein Manifest mit 'Der große Austausch' überschrieben, das ist ein Lieblingsschlagwort der neurechten Identitären Bewegung, jener rechtsradikalen Strömung also, in der ungarische, österreichische und italienische Rassisten sich Seite an Seite wohlfühlen." Und bedrohlich erscheint Steinke auch, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Zielscheibe gemacht werde. Brendon Tarrant hetzt gegen sie als "die Mutter all dessen, was anti-weiß und anti-germanisch ist". Sie stehe "ganz oben auf der Liste", zitiert Steinke.
Auf Bellingcat erklärt Robert Evans, was es mit dem Shitposting auf sich hat, auf das Brendon Tarrant mit seinem Pamphlet 'Der große Austausch' rekurriert: "Shitposting heißt, einen riesigen Berg von meist ironischen Bemerkungen rauszublasen, ein Trolling von niedriger Qualität, um emotionale Reaktionen bei weniger Internet-gestählten Betrachtern auszulösen. Das ultimative Ziel ist, eine produktive Diskussion zu zersetzen und Leser abzulenken. 'Die große Umwolkung' ist eine eindeutiges und brutales Beispiel dieser Technik."
Apropos global agierende Milizen. Die taz setzt ihre Recherchen zum Netwerk Hannibal fort, das bewaffnete Einheiten trainiert und Zivilisten in Militärtaktiken schult: "Im Verein Uniter e. V. vernetzen sich Elitesoldaten mit Polizisten aus Spezialeinheiten, aktiven und ehemaligen, Unternehmern der Sicherheitsbranche und Zivilisten. Der Referent zeigt ein Abzeichen, das Mitglieder erhalten, die eine Kommandoausbildung des Vereins durchlaufen: ein Wolfskopf mit gefletschten Zähnen. Dazu in Latein: 'Semper Fidelis', für immer treu."
Europa
Internet
Constantin van Lijnden weiß wohl, dass die Proteste gegen die Uploadfilter echter Sorge um das freie Internet und dem Ärger über Brüssel entspringen. Aber mitunter eben auch, wie er in der FAZ notiert, geldwerten Vorteilen: "Wie Recherchen dieser Zeitung ergeben haben, wurde mehreren deutschen Youtubern von einem unter dem Namen 'Create Refresh' auftretenden Interessenskollektiv Geld dafür angeboten, sich in Videos gegen den für die Videoplattform besonders relevanten Artikel 13 der Urheberrechtsreform zu positionieren."