Schwerpunkt: Streit über die Ausstellung Contemporary Muslim Fashions
FAZ-Kritikerin Verena Lueken kann gut damit leben, dass die Ausstellung "Contemporary Muslim Fashions" im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main
Kopftuch, Schleier oder Hijab als modisches Accessoire betrachtet. Schließlich habe das Museum auch für Feministinnen "ein Forum geplant, das vom 12. April an drei Tage lang im theoretischen Rahmen von
Postkolonialismus und
Intersektionalität Themen wie 'kulturelle Identität, Gender, Nachhaltigkeit, Politik und Gleichberechtigung' behandeln wird".
Auch Modehistorikerin
Barbara Vinken betrachtet in der
Zeit anlässlich der Ausstellung die "sittsame" oder "züchtige" Bekleidung nicht als politisches oder religiöses sondern als
Modephänomen, das herausfordern soll: "In Wahrheit ist die Sittlichkeit der Modest Fashion also keineswegs eine Geste der Selbstbescheidung. Eine Frau, die sich in einen modischen Schleier hüllt, bekennt Farbe: Sie
outet sich in einer oft islamophoben Gesellschaft als Muslima - und fühlt dieser Gesellschaft auf den Zahn, ob sie sich eigentlich an ihre eigenen Werte hält oder die Frau zur '
Freiheit',
sprich zur Entblößung zwingt."
[Dieses Denken mag 1970 gegolten haben, aber wir leben jetzt im 21. Jahrhundert: Da stellen sich Musikliebhaber die Frage, ob man
Michael Jackson noch hören darf. Da kündigt Amazon [korr.] seine Zusammenarbeit mit
Woody Allen auf. Da werden Rechnungen aus 500 Jahren
Kolonialzeit präsentiert. Da werden
Feministinnen in die rechte Ecke gestellt, weil der ein oder andere AfDler auch gegen das Kopftuch ist. Kann es da für
muslimische Teenager im Westen okay sein, das Kopftuch als radical-chic-Accessoire zu benutzen, obwohl Frauen in großen Teilen der islamischen Welt
gefoltert,
vergewaltigt und
ermordet werden, wenn sie das
Kopftuch verweigern? Offenbar schon - vorausgesetzt die milde lächelnde
weiße Alpha-
Frau in
FAZ,
SZ und
Zeit (unsere
Resümees) gibt ihren Segen. (
Anja Seeliger, Perlentaucher)]
Im
Dlf Kultur macht Juliane Orth klar, dass Kritik an der Ausstellung nicht aus der rechten Ecke kommt: "Eine
Gruppe von Migrantinnen schrieb einen offenen Brief an Museumsleiter Matthias Wagner K., er biete dem
Kleidungsdiktat eine Plattform. Die Ausstellung sei ein Schlag ins Gesicht von Frauenrechtlerinnen und mache sich mit der
Religionspolizei in islamischen Ländern gemein. Auch die iranische
Frauenrechtlerin Monireh Kazemi gehört zu den Kritikerinnen: 'Als Iranerin müssen wir Schleier tragen. Wir haben die Erfahrung, dass wir uns verhüllen und unseren Kopf bedecken - gegen unseren Willen.' Mit der Darstellung von verschleierten Frauen übernehme das Museum das rückwärtsgewandte Frauenbild islamischer Staaten."
Ähnlich sehen es auch einige Stimmen der "
Initiative Säkularer Islam", die bei
emma.de zitiert werden. Da äußern sich unter anderem
Necla Kelek,
Seyran Ates und auch die Kulturwissenschaftlerin
Naïla Chikhi: "Wenn Mode-DesignerInnen die Symbole der Unterdrückung der muslimischen Frau als Marktlücke betrachten, empfinde ich das als offensichtlichen
Sexismus und Rassismus. Mit der Ausstellung biedern sich wohlmeinende westliche Gruppen an frauenverachtende politische Strömungen einer Religion an. Unreflektiert dienen sie der islamistischen Botschaft, die
nur die verschleierte Frau als sittsam darstellt."
==================================Im November 2017 hatte das
Zentrum für Politische Schönheit vor dem Haus des AfD-Abgeordneten
Björn Höcke ein Stelenfeld errichtet und erklärt, Höcke zu beobachten. (Unser
Resümee) Wie erst jetzt auf Anfrage eines Linken-Landtagsabgeordneten bekannt wurde, ermittelt die Staatsanwaltschaft Gera bereits seit 16 Monaten wegen
Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Philipp Ruch, den Gründer des "ZPS". Akteneinsicht wurde der Künstlergruppe verwehrt. Auf Anfrage von
Zeit Online nennt Tobias von Laudenthal, Pressesprecher der Gruppe, den Vorgang einen "Frontalangriff auf die Kunstfreiheit" und "
Einschüchterungsversuch der Behörden".
In der
SZ erklärt der Münchner Anwalt
Hartmut Wächtler, der hier zur Geltung kommende
Paragraf 129 könne nur gegen Vereinigungen angewandt werden, "'deren Zweck oder Tätigkeit die Begehung schwerer Straftaten' sei, die mit erheblichen Freiheitsstrafen belegt werden. Geschaffen wurde der Paragraf im Jahr 1871 zur Bekämpfung
oppositioneller Gruppen, die auf diese Weise leicht zu Staatsfeinden erklärt werden konnten. Seit den Fünfzigerjahren wurde er meist gegen kriminelle Vereinigungen oder illegale Gruppen aus dem Umkreis der verbotenen KPD angewandt. Nach Ansicht von Wächtler ist das Verfahren aus mehreren Gründen 'höchst brisant'. Der Paragraf funktioniere in taktischer Hinsicht wie ein '
Büchsenöffner', ermöglicht er doch sehr weitreichende
Überwachungsmethoden, vom Abhören von Telefongesprächen über die Verwanzung von Räumen bis hin zur Online-Überwachung mit Staatstrojanern - nicht umsonst heißt er auch '
Schnüffelparagraf'."
Im
Gespräch mit Markus Reuter von
Netzpolitik fügt der Strafrechtler
Peter Stolle hinzu: "Verfahren nach § 129 werden zwar oft eingestellt, sie sind aber mit einer massiven
Stigmatisierung der Betroffenen verbunden. Im Falle der Künstlergruppe könnte das zum Verlust von öffentlichen Geldern und auch Auftrittsmöglichkeiten führen." Und in der
Berliner Zeitung hält auch Arno Widmann die ergebnislose, sechzehnmonatige Ermittlung für
Taktik: "Damit lässt sich die Bewegungsfreiheit des verdächtigten Bürgers wunderbar einschränken. Philipp Ruch war Anfang März eingeladen gewesen, auf einer Tagung der Bundeszentrale für Politische Bildung zu sprechen. Auf Anweisung des Bundesinnenministeriums, so hieß es, musste er wieder ausgeladen werden. Grund: Es laufe ein Ermittlungsverfahren gegen ihn. Jetzt wissen wir, welches. Jetzt wissen wir auch: Es ist keine Thüringer Landesposse, sondern
hier spricht die Hauptstadt." Weitere Artikel bei
Spiegel Online und
taz.
Um an Universitäten der Ivy League und der kalifornischen Westküste einen Job zu bekommen, müssen Bewerber ein "
diversity statement" abgeben, in dem sie sich zu
Vielfalt und Inklusion in Forschung und Lehre und zur Entwicklung von Widerstandsstrategien gegen diskriminierende Diskurse verpflichten,
weiß Sarah Pines in der
NZZ. Wer keine Minderheitenforschung betreibe, werde nicht mehr zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. "
Weißheit" und
Heterosexualität auszuschließen sei aber ebenfalls rassistisch und sexistisch, meint Pines: "So wird Diversität zu einem
Gesinnungskonformismus, der auf den Mann zielt. Und zu einer Doktrin, die Rassismus und Sexismus erst recht ermöglicht, einfach in die andere Richtung. Denn die Gruppe, die ausgegrenzt werden soll, wird gar nicht mehr benannt - benannt werden nur noch die, die auf keinen Fall diskriminiert werden dürfen. Wird Macht erträglicher, wenn sie im Gewand der Diversity daherkommt?"
Ein halbes Jahr nachdem
Ian Buruma als Chefredakteur der
NYRB seinen Hut nehmen musste, weil er einen Beitrag des iranisch-kanadischen Radiomoderator
Jian Ghomeshi veröffentlicht hatte, den mehrere Frauen der
sexuellen Gewalt beschuldigt hatten (Unser
Resümee), äußert sich Buruma nun in einem Essay in der
Financial Times, in dem er zwar einerseits redaktionelle Fehler eingesteht, schreibt Felix Stephan in der
SZ: "Andererseits glaube er bis heute, schreibt Buruma, dass Ghomeshis 'Geschichte ein wichtiger Beitrag zu einer Debatte' gewesen sei, 'die wir führen sollten', nachdem zahlreiche Männer ohne Prozess um ihre Existenz gebracht worden waren. Es sei nicht die Aufgabe eines Redakteurs, die Öffentlichkeit vor Kränkungen zu bewahren, so Buruma. (…) Ein gewisser
Grad an Unbehagen könne dazu führen, dass man unvertraute oder ungewöhnliche Perspektiven berücksichtige, was oft heilsam sei. Da das öffentliche Gespräch aber zusehends
religiöse Züge annehme, Abweichendes wie Blasphemisches behandelt werde und Sünder nur auf Vergebung hoffen dürften, wenn sie in protestantischer Tradition öffentlich eine innere Verwandlung glaubhaft machen, verkümmere die
Redefreiheit." (Man hat eine Chance den Artikel Burumas in Gänze lesen zu können, wenn man einen
Link zum Artikel bei Twitter findet. Geteilter Inhalt wird von der
Financial Times zuweilen freigegeben, d.Red.)
Der
Daily Telegraph, eine der prominentesten britischen Stimmen für den Brexit, hat eine
unerschöpfliche Geldquelle gefunden,
berichtet Rob Price im
Business Insider: "Facebook ist eine Partnerschaft mit dem
Daily Telegraph eingegangen, um eine Reihe von Artikeln über den Konzern zu veröffentlichen, inklusive Geschichten, die ihn
bei heiß umstrittenen Themen verteidigen, für die er kritisiert worden war, etwa terroristische Inhalte, Online-Sicherheit, Cyber-Mobbing, gefälschte Konten und Hassrede." Die Geschichten waren immerhin als "sponsored content" gekennzeichnet - diese Art von Aushöhlung von Medien wird heute als "
Native Advertising" verfochten.
Heute ist "ist Roma Day", an dem auch des Vökermords an den
Sinti und Roma gedacht wird. Die Historikerin
Jana Mechelhoff-Herezi erzählt im
taz-Gespräch mit Susanne Memarnia von der Schwierigkeit, heute noch die Naziverbrechen gegen Sinti und Roma aufzuklären - die Historiker haben viel zu spät damit begonnen, so scheint es.
Enorme Resonanz hat aber laut Mechelhoff-Herezi der Gedenkort für die Morde in Berlin: "Das liegt sicher auch an der Lage im Tiergarten. Dort kommt jeder vorbei - und für viele Touristen ist es offenbar
die erste Konfrontation überhaupt mit dem Thema. Aber: Zwar funktioniert es als Erinnerungsort hervorragend, aber als
Informationsort überhaupt nicht. Es hat nur wenige informative Elemente, das meiste ist symbolisch: die Wasserfläche mit dem dreieckigen Stein, die Blume in der Mitte des Wassers, die jeden Tag neu eingesetzt wird, die gesplitterten Steinplatten mit 69 Ortsnamen, das umlaufende Gedicht 'Auschwitz', der Geigenton. Das hat einen überraschenden emotionalen Effekt - aber es fehlen Erklärungen."
Im
FR-Interview mit Joachim Frank
spricht der Historiker
Norbert Frei über den
Rechtsruck im Osten, die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren durch die
AfD und den "
Vereinigungsrassismus" zwischen Ost und West: "Es lässt sich zeigen, dass Neonazis in der alten Bundesrepublik und in der DDR schon in den 1980er Jahren aufeinander reagiert und miteinander agiert haben. Der Vereinigungsrassismus im Deutschland der frühen 1990er Jahre mit seinen erschreckenden Ausbrüchen an Gewalt und Fremdenfeindlichkeit ist ein Indiz für ein
Zusammenwachsen von Rechts. Und heute - fast 30 Jahre später - ist die AfD zum gesamtdeutschen Auffangbecken für rechte Strömungen in West und Ost geworden. Es fällt ja auf, dass führende AfD-Politiker wie Alexander Gauland oder Björn Höcke aus dem Westen in den Osten gegangen sind, um dort gezielt die
autoritären Potenziale im vermeintlich 'heileren', von den 'Verfallserscheinungen' des Westens noch nicht so sehr erfassten Teil der Republik aufzunehmen und sie gleichsam in den Westen zu reimportieren."