15.05.2019. Es gibt keine Korrelation zwischen dem Aufstieg der Rechtspopulisten und dem Niedergang der Sozialdemokratie, schreibt Cas Mudde im Guardian. Im Atlantic widerlegt Benny Morris die amerikanische Politikerin Rashida Tlaib, die die Palästinenser als indirekte Opfer des Holocausts darstellte. In der FAZ fordert der Pro 7-Vorstand Conrad Albert einen Medienfonds. taz und Handelsblatt informieren eine Bahlsen-Erbin über die Geschichte der Zwangsarbeit.
Politik, 15.05.2019
Der israelische Historiker
Benny Morris antwortet in einem fulminanten
Atlantic-Artikel auf eine Podcast-Äußerung der amerikanischen Kongressabgeordneten
Rashida Tlaib, die die Palästinenser gewissermaßen als Folgeopfer des
Holocaust darstellte. Dem war schon deshalb nicht so, weil die Palästinenser
schon in den dreißiger Jahren versuchten, die Juden durch Pogrome zu vertreiben, übrigens nicht nur in Palästina, sondern auch Irak, so Morris. Eine
Einstaatenlösung, die Tlaib in ihrem Podcast verficht, lehnt Morris ebenfalls ab. Nach einem Jahrhundert der Gewalt seien
Zorn und Misstrauen zu tief, "auch wenn Café-Gäste in Paris und London (und offenbar auch Detroit) von der Machbarkeit einer solchen Lösung träumen. Jeder Versuch, solch eine Lösung zu verwirklichen - besonders mit der von Tlaib unterstützten zentralen palästinensischen Forderung eines Rückkehrrechts der Flüchtlinge, die 1948 und 67 ihre Heimat verloren haben... würde in Anarchie und
einem Blutbad enden."
Ideen, 15.05.2019
In einem ellenlangen und recht trocken zu lesenden
Guardian-
Artikel legt der niederländische Politologe
Cas Mudde dar, dass keine Korrelation zwischen dem Aufstieg der
Rechtspopulisten und dem Niedergang der
Sozialdemokratie bestehe. Im Schluss fordert er, statt eines hektischen Schielens auf die Rechten etwa beim Thema Migration, eine
Erneuerung der Sozialdemokratie: "Dazu sollten auch die Gewerkschaften gehören, die trotz geschwächter Mitgliedschaft und Macht immer noch bessere Verbindungen zu den Arbeitnehmern haben. Dazu sollten progressive Minderheitenorganisationen, insbesondere solche, die sich auf sozioökonomische Belange konzentrieren, und neue Basisorganisationen mit Wurzeln in den lokalen Gemeinschaften gehören. Kurz gesagt, die Wiederbelebung der Sozialdemokratie erfordert eine
neue sozialdemokratische Bewegung - eine, die größer, mutiger und energischer ist als die bestehenden Parteien."
Medien, 15.05.2019
Staatsgeld für private Fernsehsender fordert Conrad Albert, Vorstand von Pro7/Sat1, berichtet in der FAZ Henning Peitsmeier und zitiert Albert: "'Um es klar zu sagen: Es geht mir nicht um neue Gebühren oder Steuern. Wir als Privatunternehmen wollen auch nichts von den 8 Milliarden Euro Gebührengeldern, die ARD und ZDF erhalten. Private Contentanbieter wie Fernsehunternehmen oder Hörfunksender sollten sich mit ihren Public-Value-Formaten bewerben können, so wie bei der deutschen Filmförderung oder der Journalismus-Stiftung in Nordrhein-Westfalen.' Der Fonds sollte mit einer Summe zwischen 50 und 100 Millionen Euro im Jahr ausgestattet sein. Das, meint Albert, sei günstig für den Mehrwert, den eine meinungsplurale Gesellschaft dafür erhalte."
Gesellschaft, 15.05.2019
Enteignung ist nicht die Lösung für den Wohnungsmangel, meint Joachim Käppner in der SZ. Dann müsste der Staat nur teuer für eben die Wohnungen bezahlen, die er gerade für einen Spottpreis verkauft hat. Mehr sozialer Wohnungsbau würde eher helfen: "Er ist kein Allheilmittel, von allen Mitteln der Heilung aber das wirksamste. Damit es wirklich hilft, wäre vieles nötig, vor allem natürlich: sehr viel mehr Geld vom Bund; dazu die Kontrolle, damit die Länder dieses Geld nicht zweckentfremden. Neben den Bodenpreisen hat eine auswuchernde Baubürokratie die Kosten steigen lassen, die sich gründlich entschlacken ließe. Und nicht zuletzt bräuchte es wieder eine Architektur mit sozialem Gestaltungswillen wie damals, als Baureformer Ernst May forderte: 'Schafft uns Wohnungen, die, wenn auch klein, doch gesund und wohnlich sind - und liefert sie vor allem zu tragbaren Mieten!'"
Europa, 15.05.2019
Der Film "Tylko nie mow nikomu" (Sag es niemandem"), in dem erstmals Opfer des sexuellen Missbrauchs durch polnische Priester an die Öffentlichkeit treten (unser
Resümees) hat Folgen für die
Politik in Polen,
schreibt Gabriele Lesser in der
taz: "Obwohl das Episkopat vor einigen Wochen schon seine Schuld eingestand und Besserung versprach, wollte doch keiner der Bischöfe mit dem bekannten Investigativjournalisten
Tomasz Sekielski vor der Kamera sprechen. Und als sich jetzt der Danziger Erzbischof Slawoj Glodz zum Film äußern sollte, ließ er die
Journalistin abblitzen... Die PiS kann sich nun nicht mehr als Verteidigerin der Kirche aufspielen, und auch das '
Hände weg von unseren Kindern!', mit dem Kaczynski vor wenigen Tagen noch gegen die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare gewettert hatte, trifft ihn nun wie ein Bumerang."
Im
Guardian fürchtet der polnische Politologe
Jakub Wiśniewski die neue
Ost-West-Kluft in der EU mehr als den wachsenden Populismus: "Ein weit verbreiteter Glaube ist, dass die Einwanderung nach 2004 den Briten die EU-Mitgliedschaft vergällt hat. Politisch inkorrekte westliche Beamte legen nun leise nahe, dass die
Osterweiterung ein Fehler gewesen sein könnte. Unterdessen glauben die Osteuropäer, dass sie für immer zu einem
zweitklassigen Status verurteilt sind - und dieser Glaube ist zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung geworden."
Geschichte, 15.05.2019
Das Vergessen ist in der Jugend angekommen. Die 26-jährige Bahlsen-Erbin
Verena Bahlsen hat behauptet, dass es den Zwangsarbeitern in der Firma prima ging. Die Zahl der Zwangsarbeiter ging in Deutschland in Kriegszeiten
in die Millionen,
antwortet Andreas Rüttenauer in der
taz unter Bezug auf
Mark Spoerers Buch "Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz". "Was Spoerer auch schreibt: Zwangsarbeiter retteten unter
lebensgefährlichen Umständen Produktionsanlagen, die später den
westdeutschen Reichtum begründeten. Frau Bahlsen kann also auch deswegen so heiter plappern, weil Zwangsarbeiter ihre Haut riskiert haben. Die Verwüstung des europäischen Kontinents, der Genozid an den europäischen Juden, die Kriegsverbrechen der Wehrmacht basieren auf Zwangsarbeit. Und doch wird mit einem Mal über Zwangsarbeit wie über etwas gesprochen, von dem man noch nicht so genau weiß,
was es war und was es zu bedeuten hat."
Christoph Kapalschinski
versucht, die junge Erbin in einem
Handelsblatt-Artikel zu verteidigen. In einem Artikel von ihm stand eine andere Äußerung von ihr - über ihre Lust auf eine
Segeljacht -, deren Ironie absichtlich missverstanden worden sei. Ihre Äußerung zur
Zwangsarbeit aber kann er nicht verteidigen: "Verena Bahlsen wiederholt .. ein Argument, das widerlegt ist: die Legende vom guten Unternehmer in schweren Zeiten. Wer Verena Bahlsen kennt, kann annehmen: Das macht sie, weil sie es
nicht besser weiß - nicht, weil sie Geschichtsrevisionistin ist. Spätestens seit dem
Bild-Artikel ist sie jedoch auf Twitter und Facebook Freiwild." Nun ja, sie besitzt ein Viertel einer großen Firma, die Zwangsarbeiter beschäftigte, da hätte sie
im Geschichtsunterricht schon ein bisschen aufpassen sollen.