9punkt - Die Debattenrundschau

Die Nutzung eines Blitzlichts

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.05.2019. Was für ein Coup! Wir bringen ein wildes Allerlei aus Informationen, Spekulationen, Einschätzungen und praktischen Tipps für die Kontrolle von verwanzten Airbnb-Wohnungen. Neben dem politischen Erdbeben selbst interessiert natürlich am meisten die Frage: Wer war's? Die SPÖ? Die ÖVP? Das Zentrum für politische Schönheit? Außerdem: In der FAS spricht Ralph Ghadban über die vermurkste - heute FPÖ-ähnlich scheinende - Integrationspolitik der Ära Kohl, die die arabischen Clans erst möglich machte.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.05.2019 finden Sie hier

Europa

Wer auch immer das Video mit dem FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gedreht hat - es war ein Riesencoup, der die rechtspopulistische Politiker nicht nur bis auf die Knochen blamierte, sondern auch demaskierte. So gründlich, dass die Medien im Besitz der Videos ihre Enthüllungen dosieren können: Es habe "weitere FPÖ-Bemühungen" um die angebliche Oligarchen-Nichte gegeben, berichten die Obermayers und Kolleginnen im Aufmacher der SZ. Es habe sich keineswegs nur um eine "b'soffne G'schicht" gehandelt, wie Strache in seiner ersten Reaktion gesagt hat: "Nach Recherchen von SZ und Spiegel sind die Absprachen etwa um den Kauf der Kronen-Zeitung und das Zuschanzen von Staatsaufträgen keineswegs nur an diesem einen Abend besprochen worden. Im Gegenteil: der zurückgetretene FPÖ-Funktionär Gudenus - Straches engster politischer Verbündeter - hatte offenbar monatelang Kontakt zu der vermeintlichen russischen Investorin und deren Umfeld."

Auch Kanzler Sebastian Kurz kommt nicht gut weg in der SZ. Dass er jetzt die Koalition aufgekündigt und Neuwahlen annonciert hat, kann Peter Münch nur als Kalkül im Machtspiel um Österreich werten: "Kurz spekuliert also darauf, für die eigene Verantwortungslosigkeit auch noch belohnt zu werden. Denn er trägt die Schuld daran, die FPÖ salonfähig gemacht zu haben. Sollte es sein Ziel gewesen sein, die Rechtspopulisten zu zähmen, indem er sie in Verantwortung einbindet, so ist das krachend misslungen. Deutlich geworden ist vielmehr, wie ansteckend der Virus des Populismus ist. Seine Koalition war auch Komplizenschaft."

In der Welt ist Christoph B. Schiltz zwiespältiger: "Es war ein interessantes Experiment, für das man Kurz Respekt zollen sollte. Es war der Versuch, in einem verkrusteten politischen System mit einer ausgezehrten Dauerkoalition von Konservativen und Sozialdemokraten (SPÖ) einen neuen Weg zu gehen. Es war der Versuch, die Rechtspopulisten, die in Österreich zur stärksten Partei zu werden drohten, als politische Kraft zu domestizieren und einzubinden in eine Reformpolitik, die in 516 Tagen mehr angestoßen hat als die diversen Merkel-Koalitionen in vielen Jahren. Das Experiment ist nun vorbei. ... Das Video macht deutlich, was sich in den vergangenen Wochen bereits in vielen einzelnen Vorfällen abgezeichnet hatte: Die FPÖ ist nicht regierungsfähig. Sie ist in der Substanz allenfalls eine semidemokratische Partei."

Nebenbei wird aber auch über die Umstände des Coups diskutiert. Stephan Löwenstein fordert in der FAS Aufklärung: "Die deutschen Journalisten, die nun die Sache ans Licht brachten, werden ihre Quellen schützen. Das ist eine notwendige und legitime Bedingung für Journalismus. Dennoch wäre es wünschenswert, wenn hier kein Raum für Erklärungsmuster bliebe, die jene gebrauchen, denen an unabhängiger und kritischer Presse gerade nicht gelegen ist."

Die schärfste Reaktion kam von Stefan Brink, dem Datenschutzbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, der auf Twitter schrieb: "Wenn wir politische Gegner hintergehen, ihre #Privatsphäre verletzen u sogar kriminelles Unrecht begehen, schaden wir letzten Endes unserer politischen #Kultur u damit uns allen. Kein Ruhmesblatt ⁦@DerSPIEGEL⁩ ⁦@SZ." Das Tweet löste eine große Diskussion auf Twitter aus, berichtet die Welt.

Nils Minkmar nennt Straches Spekulationen über das Zustandekommen des Videos in Spiegel online eine "Dolchstoßlegende": "Nachdem ihn die ganze Welt beim Versuch beobachten konnte, die Medienlandschaft seiner Heimat durch russische Investitionen nach ungarischem Vorbild umzubauen, beklagt er - in seiner Pressekonferenz am Samstag - die 'über das Ausland gespielte' Kampagne."

FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld formuliert aber schon ein gewisses Informationsbedürfnis: "Warum geistert die Geschichte in informierten Kreisen ein Jahr herum? Wieso bringen Spiegel und Süddeutsche Zeitung das Video jetzt und vermitteln den Eindruck, auch sie wüssten nicht genau, woher es stammt? Und wieso wusste der ZDF-Moderator Jan Böhmermann schon vor Wochen von dem Ibiza-Abenteuer? Was ist das für eine Falle?"

Kurt Kister verteidigt in der SZ die Veröffentlichung des Videos, dessen Herkunft nur einigen in der Redaktion bekannt sei: "Das FPÖ-Duo wurde nicht gefangen und zu etwas gezwungen. Die beiden haben sich freiwillig und gerne entblößt, ohne freilich damit zu rechnen, dass ihr wahres Wesen öffentlich werden könnte. Strache und Johann Gudenus wurden hereingelegt. Man kann dies eine Falle nennen. Auf dem Videomaterial gibt es viele entlarvende, manche eklige und etliche fast Mitleid erregende Sequenzen. Die meisten davon sind privater Natur, sie sollen das auch bleiben. Einige allerdings sind politisch so relevant, dass sie nicht vertraulich bleiben dürfen: Straches Tauschangebot Wahlkampfhilfe gegen Staatsaufträge etwa oder seine Allmachtpläne zur Veränderung der Medienlandschaft in Österreich. Hier setzt die Aufgabe des Journalismus ein."

Gut gewürzte Spekulationen über die Urheber des Videos gibt es im Standard. War es der Politikberater Tal Silberstein, der der SPÖ mit fragwürdigen Methoden half? Oder die ÖVP? Das Zentrum für politische Schönheit? "Im nachrichtendienstlichen Umfeld verweist man auf das Risiko, das linke Aktivisten mit einer derartigen 'Operation' eingehen würden - sind doch Zahlungsdaten für die Anmietung der Finca, des Leihautos und der Flüge vorhanden, die sich herausfinden lassen. Geheimdienste hätten dieses Problem nicht. Sie können sogenannte Legenden konstruieren, also falsche Identitäten." Hier der entsprechende Artikel in der Presse.

Der Standard reagiert auch mit einem Ratgeberstück auf die Affäre: "So finden Sie versteckte Kameras in Ihrem Airbnb-Appartement." Es sei nämlich bekannt, dass viele Vermieter ihre Objekte verwanzen, informiert Andreas Proschofsky: Eigentlich seien die Vermieter verpflichtet Kameras auszuweisen. Wer dem Frieden nicht traut geht wie folgt vor: "Der einfachste Trick ist die Nutzung eines Blitzlichts, also etwa jenes des eigenen Smartphones. Kameras weisen fast immer eine Glaslinse auf, ist diese in einem Alltagsobjekt versteckt, fällt sie bei direkter Lichteinstrahlung durch stärkere Reflektion als ihr Umfeld auf. Am besten ist es hierfür das Licht auszuschalten und am Tag die Vorhänge zuzuziehen, um den Kontrast besser wahrnehmen zu können."
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Politik

Der Geograf Benedikt Korf und die Religionswissenschaftlerin Christine Schenk kommen in der FAZ auf das Attentat von Sri Lanka zurück und sehen durchaus für das Land spezifische Ursachen: "Die Antwort auf die Frage, wieso es zur Radikalisierung einer muslimischen Gruppe in Sri Lanka kommen konnte, ist weniger im globalen Dschihad als in den Niederungen der Identitätspolitik in Sri Lanka zu suchen. Und wer von Identitätspolitik in Sri Lanka spricht, kann von der fatalen Logik der Klientelpolitik nicht schweigen. "
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Ideen

In der FR probt Arno Widmann schon mal sein bestes Lächeln für den Roboter, der ihn möglicherweise irgendwann pflegen wird. Kritik daran kommt ihm eurozentrisch vor: "Wir stecken so tief im Humanismus, den wir doch ständig verraten, dass Moral für uns darin besteht, Menschen nicht zu behandeln wie Dinge. Auf die Idee, den Humanismus auf die Dinge auszudehnen, Dinge pfleglich wie Menschen zu behandeln, kommen wir nicht. ... Inzwischen wissen wir, dass der Mensch im Wesentlichen aus Sauerstoff und Wasserstoff besteht. 2,15 Prozent Stickstoff stecken in uns und 0,06 Prozent Eisen. Man geht davon aus, dass 90 Prozent aller Atome im Weltall Wasserstoffatome sind. Der Mensch ist das Produkt eines Mischungsverhältnisses. Pflanzen, Tiere, Steine, alles, das wir kennen, setzt sich aus denselben Grundstoffen zusammen. Der Mensch hat nichts Apartes für sich."
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Gesellschaft

Ralph Ghadban, ehemals Sozialarbeiter, heute eines der besten Kenner der "arabischen Clans", der sogenannten Mhallamiye, erklärt im Gespräch mit Reiner Burger von der FAS, warum dieses Phänomen extremer Kriminalität auch eine Frucht der Immigrationspolitik der Kohl-Ära ist. Schon damals setzte man auf "Restriktionen wie die Kürzung der Sozialhilfe, die Unterbringung in Sammelunterkünften oder die Arbeitsverbote... um unliebsame Wirtschaftsflüchtlinge zur Ausreise zu bewegen. Auch die Schulpflicht fiel weg. Was haben die Politiker sich damals dabei eigentlich gedacht? Eine ganze Generation von Analphabeten wuchs heran! Dabei war klar, dass die Mhallamiye allein schon deshalb bleiben würden, weil sie keine Papiere hatten und als staatenlos galten."

Zumindest in Amerika entspricht dem Aufstieg des Populismus ein tatsächlicher, auch tragischer Niedergang vor allem bei der ärmeren weißen Bevölkerung, schreibt der Politologe Klaus Segbers auf der Gegenwartsseite der FAZ: "In den Vereinigten Staaten stieg die Selbstmordrate bei Frauen mittleren Alters (von 45 bis 64 Jahren) in den vergangenen 30 Jahren um 63 Prozent. Bei Männern dieser Altersgruppe betrug der Anstieg 43 Prozent. Insgesamt steigerte sich die Selbstmordrate von 1999 bis 2014 um 24 Prozent. Unter männlichen Weißen stieg die Suizidrate stärker als in jeder anderen Ethnie oder Geschlechtsgruppe. Jüngste Forschungen beleuchten die Notlage der weniger gebildeten Weißen und zeigen eine Zunahme der Todesfälle durch Rauschgifte, Selbstmord, Lebererkrankungen und Alkoholvergiftungen."
Archiv: Gesellschaft