9punkt - Die Debattenrundschau

Angemessene Steuerung der jährlichen Ergebnissituation

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
10.07.2019. Die AfD ist das große Thema heute in den Zeitungen: Die Welt  zeigt, wie die Partei die grassierende Unzufriedenheit in den Neuen Ländern ausnutzt. SZ und Zeit online beobachten das Auftrumpfen des rechtsextremen Flügels der Partei - in Erwartung seiner Wahlerfolge im Osten. Die FR findet es ok, wenn Waffenexporte von linken Regierungen vorangetrieben werden. Die taz findet es nicht ok, wenn Zeitungen Politiker wie Friedrich Merz und Sigmar Gabriel als Kolumnisten anbieten. Von den Honoraren ganz zu schweigen.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 10.07.2019 finden Sie hier

Europa

"Der Osten steht auf" ist die Wahlkampfparole der AfD in den Neuen Ländern. Die AfD setze damit auf ein weitverbreitetes Fremdheitsgefühl der ostdeutschen Bürger in Bezug auf die repräsentative Demokratie, schreibt Welt-Autor Thomas Schmid. "Nicht wenigen ist die repräsentative Demokratie verdächtig, weil sie repräsentativ ist. Das Sonderbewusstsein, das die DDR nicht nur überlebt hat, sondern nach ihrem Untergang erst richtig erblühte, versteht unter Demokratie nicht Republik und Minderheitenschutz, sondern die Herrschaft 'des Volkes', also derer, die sich für das einzig wahre Volk halten."

Der rechte AfD-Flügel um Björn Höcke wird immer stärker. Und mit der Aussicht, in den nächsten Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen groß abzuräumen, wird er auch lauter. Wird sich die AfD im Streit zwischen rechts und ganz rechts am Ende selbst zerlegen? Bisher hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt, warnt Jens Schneider in der SZ. Er ist dennoch verhalten optimistisch, dass gerade ihr Erfolg der AfD schaden wird: "Hilflos wirken nun die Mäßigungsappelle des AfD-Patriarchen Gauland. Naiv glaubte er, ihm könne gelingen, woran die Vorgänger Bernd Lucke und Frauke Petry scheiterten: die Extremisten im Zaum zu halten. So wie sie zuvor spricht er von roten Linien, die nicht überschritten werden dürften. Doch um solche Grenzen zu hüten, fehlen der AfD die Korrektive innen und außen. ... wer stets in jedem Menschen mit einer anderen Meinung einen Feind erkennt, braucht nicht lange, um Feinde auch in den eigenen Reihen zu finden. Das ist die Logik der Eskalation in der AfD."

Auch Tilman Steffen von Zeit online beobachtet ein Auftrumpfen des rechtsextremen AfD-Flügels. Das zeige auch der bereits sich abzeichnende Kampf um die Parteispitze: Als Nachfolger Alexander Gaulands würden bereits der Höcke-Freund Andreas Kalbitz gehandelt sowie der Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla: "Auch wenn es in der Partei Leute gibt, die dem Handwerksunternehmer nicht den Intellekt und die Erfahrung des Politstrategen Gauland zutrauen, auch wenn es im Westen immer noch mehr AfD-Wähler gibt als im Osten des Landes - klar ist: Die Landesverbände von Potsdam, Dresden und Erfurt verlangen nach mehr Repräsentanz im westdeutsch dominierten Bundesvorstand. Und sollten die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Herbst erfolgreich für die AfD ausgehen, dann werden die Nationalisten aus dem Osten ihren Anspruch noch unterstreichen."

Irina Scherbakowa von Memorial beschreibt im Guardian die neue russische Verehrung Stalins als ein Symptom totaler Orientierungslosigkeit: "Die aktuelle Verherrlichung unserer Siege und das Schönreden Stalins ist möglich geworden, weil das heutige Russland in der Tat keinerlei Vorstellung von der Zukunft hat. In was für einem Land wollen wir leben? Ein Land, das 'von den Knien auferstanden ist' und seinen eigenen, einzigartigen Weg geht? Aber was ist das für ein Weg? Kreml-Ideologen haben es versäumt, all dies klar abzubilden."
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Gesellschaft

Kann man die Internierungslager an der amerikanisch-mexikanischen Grenze wirklich mit Konzentrationslagern vergleichen, wie es die US-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez kürzlich tat? Aber selbstverständlich, meint Arno Widmann in der FR: "Alle Wissenschaft basiert auf dem Vergleich. Wir erkennen die Dinge, in dem wir sie mit einander vergleichen. Das gilt für kleine Kinder und für große Kosmologen. Jedes Atom, das schwerer ist als Beryllium, sei es in unserem Körper oder wo auch immer im Universum, verdankt seine Existenz der Elementsynthese im Innern der Sterne. Erst das genaue Vergleichen hat uns darüber belehrt. Die Behauptung, etwas sei einzigartig und unvergleichbar, ist ein Denkverbot. Da soll etwas auf ein Podest gestellt und angeschaut, angebetet, aber auf keinen Fall soll es verstanden werden."
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Politik

Laut einer Studie der Ökonomin Agnes Brender genehmigen linke Regierungen deutlich mehr Waffenexporte als als andere Regierungen. In der FR finden die beiden Volkswirtschaftler Niklas Potrafke und Johannes Blum das nicht per se schlimm: "Naheliegend ist, dass sich linke Regierungen um Industriearbeitsplätze im Inland sorgen. Schließlich bringt eine inländische Rüstungsindustrie viele Arbeitsplätze mit sich und Industriearbeiter sind lange Zeit eine Kernwählerklientel linker Parteien gewesen." Und dann sei da noch "die Frage nach diplomatischem Einfluss. Handel - auch der von Waffen - schafft Abhängigkeit auf beiden Seiten und lässt Länder im Gespräch miteinander bleiben."
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Überwachung

Mit der "E-Evidence-Verordnung" möchte die EU-Kommission Strafbehörden Zugriff auf Daten aus europäischen Nachbarländern geben, außerdem wollen die amerikanischen Strafbehörden leichter an die Daten europäischer Bürger, berichtet Alexander Fanta in der taz. Aber im EU-Parlament wird's darüber noch Ärger geben: "Ein zentraler Kritikpunkt ist die Aufweichung des Territorialprinzips. Eine Behörde muss nach dem E-Evidence-Vorschlag der Kommission bei Beschlagnahme von Daten weder den Sitzstaat des Anbieters noch das Wohnsitzland des Betroffenen oder gar diesen selbst informieren. Das mache es schwer, selbst gegen offenkundig fragwürdige Datenabfragen Beschwerde einzulegen. Der Entwurf setze zudem kaum Hürden für den Datenzugriff. Datenabfragen über Teilnehmerdaten wie Namen, Anschrift und IP-Adresse sind dann in Ermittlungen bei allen Straftaten möglich."
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Medien

Eine Delegation der "Reporter ohne Grenzen" stieß bei Gesprächen in Saudi Arabien auf echte Irritation über das schlechte Ranking des Landes im Pressefreiheitsindex der Organisation. Die Delegation hat den Offiziellen aber erklärt, dass die Ermordung Jamal Khashoggis nicht als eine Ausübung königlicher Pressefreiheit zu verstehen ist, berichtet Stephanie Kirchgaessner im Guardian: "Im jüngsten Ranking, in dem auch vom Mord an Khashoggi und der scharfen Unterdrückung de Redefreiheit durch die saudischen Kronprinzen die Rede ist, ist Saudi Arabien noch einmal um drei Plätze nach unten gefallen. Der Bericht erwähnt auch, dass sich die Zahl der Journalisten und Blogger, die ins Gefängnis kamen, seit 2017 verdreifacht hat - dem Jahr also, in dem Prinz Mohammed, der sich selbst als Reformer darstellte, als Erbe des Königs eingesetzt wurde."

(Via turi2) Mathias Döpfner plant den genialen Schachzug, den Springer Verlag zu großen Teilen von dem Finanzinvestor KKR aufkaufen zu lassen (unserere Resümees). Der ist auch einverstanden, erhebt aber Bedingungen in bezug auf die Welt und die Welt am Sonntag, die man nur bei "angemessener Steuerung der jährlichen Ergebnissituation" fortführen wolle, berichtet Klaus Max Smolka  im Wirtschaftsteil der FAZ: "Die Frage ist, was mit diesem geistigen Erbe des Verlagsgründers Axel Springer passiert. Auffallend ist, dass das offizielle Angebotsdokument in der besagten Passage nur die Welt-Gruppe zum Thema macht...  Von der Bild-Gruppe, die als lukrativer gilt, ist keine Rede."

Politiker als Kolumnisten von Medien sind eine problematische Angelegenheit, findet Anne From in der taz mit Blick auf Friedrich Merz, der für Springer-Blätter, und Sigmar Gabriel, der für Holtzbrinck-Blätter schreibt: "Wenn der Tagesspiegel Sigmar Gabriel interviewt, ist das dann ein Gespräch zwischen Journalist und Politiker? Oder eines zwischen Quasi-Kollegen? Und wenn die WamS über Merz' politische Ambitionen berichtet, tut sie das dann, weil der Draht zwischen Redaktion und Kolumnist sowieso kurz ist?" Mal abgesehen davon, dass die Honorare obszön sind: Gabriel verdient mit seinen Kolumnen "zwischen 15.001 und 30.000 Euro im Monat, so gibt er es auf seiner Webseite an".
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