9punkt - Die Debattenrundschau

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Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.07.2019. Deal geht nicht, No Deal geht nicht. Die Brexit-Maschine wird Boris Johnson fressen, meint Ian Dunt bei politics.co.uk. Nach Protesten um das islam-theologische Institut der Humboldt-Uni hat sich die taz mal das katholische Institut an der Uni angeguckt - und es ist auch nicht besser. Im Tagesspiegel wird über Ausgrenzung von Muslimen gestritten. Es ist ein Horror, wie deutsche Parlamente im Internet über sich informieren, meint Netzpolitik.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.07.2019 finden Sie hier

Europa

Was soll man noch zu Boris Johnson sagen, nach all den geistvollen Johnson-Porträts, auf die wir schon verlinkt haben?


Die Brexit-Maschine wird ihn lebend fressen, meint dagegen Ian Dunt in politics.co.uk und resümiert nochmal kurz die Gemengelage: "Wenn der Backstop nicht in einem Rückzugsdeal steht, wird die EU ihn nicht akzeptieren. Wenn er doch drin steht, kann Johnson sich nicht damit identifizieren, und das Parlament wird ihn ohnehin ablehnen. Ein Deal ist also unmöglich. No Deal wird andererseits niemals durchs Parlament kommen. Und Johnson kann auch nicht das Parlament ausschalten, um No Deal durchzubekommen. Die Abstimmung letzte Woche hat gezeigt, dass die Abgeordneten das nicht mit sich machen lassen."

Die 41-jährige Menschenrechts- und LGBT-Aktivistin Jelena Grigorjewa wurde in Petersburg ermordet aufgefunden, berichtet Klaus-Helge Donath für die taz: "In letzter Zeit sei sie häufiger tätlich angegriffen worden, schrieb Dinar Idrisow, ein Mitstreiter der Bewegung, auf Facebook. Auch Morddrohungen seien häufiger geworden. Jelena Grigorjewa und ihre Anwältin hatten sich im Vorfeld mehrfach um Hilfe bei der Polizei bemüht. Reaktionen blieben aber aus. Auch das Ermittlungskomitee lehnte schon vor einem Jahr Beistand ab."

Die in Berlin lebende französische Journalistin Prune Antoine erzählt im Guardian, wie überrascht sie war, dass Abtreibung in Deutschland strenggenommen illegal ist. Sehr bürokratisch erschien ihr die Prozedur, um dennoch abtreiben zu können. Ganz Europa sei bei Fragen der Reproduktionsmedizin und Schwangerschaftsabbruch ein Flickenteppich: "In dieser angeblichen Union sind Frauen Grenzen, nationalen Einschränkungen und schuldbeladener und zunehmend rückwärtsgewandter Sprache unterworfen. Bezieht sich die freizügige Schengen-Zone nicht auf unsere Bäuche? Trotz eines gemeinsamen Marktes, einer einheitlichen Währung, geteilter Institutionen und einer Hauptstadt gibt in Europa kein universelles Gesetz für die Körper der Frauen."

Die Frauenärztin Kristina Hänel, die durch den Prozess um ihre Website bekannt wurde, auf der sie illegal über Abtreibung informierte, möchte unterdessen eine Ausstellung organisieren, um Frauen, die bei illegalen Abtreibungen starben, eine Gesicht zu geben, berichtet emma.de.

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Religion

Es hatte ja (kaum fruchtende) Proteste gegen die Besetzung eines islam-theologischen Instituts an der Humboldt-Uni gegeben (unsere Resümees). Unter anderem hatten sich Schwulenverbände wegen der Homophobie der beteiligten Islamverbände beschwert. Aber beim Institut für Katholische Theologie an der HU ist es eigentlich nicht so viel anders, schreibt Stefan Hunglinger in der taz. Auch dort unterliegen die von jedem (und nicht nur Kirchenmitglieder) bezahlten Stellen dem kirchlichen Lehr- und Arbeitsrecht: "Konkret bedeutet das, dass weder offen Homo- oder Intersexuelle, noch wiederverheiratete Geschiedene oder trans*Personen die gut dotierten staatlichen Stellen bekommen können. Denn der Berliner Erzbischof Heiner Koch und die päpstliche Bildungskongregation müssen sowohl der Arbeit als auch dem Lebensstil von Lehrstuhl-Kandidat*innen zustimmen, bevor diese von der HU berufen werden können. In Folge einer zweiten Heirat oder anderer Verfehlungen gegen die römische Lehre können bereits ernannte Professor*innen ihre Posten auch wieder verlieren."
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Gesellschaft

Auf Zeit online fordert Simone Rodan-Benzaquen, Leiterin der europäischen Büros des American Jewish Committee, eine "konsequente Null-Toleranz-Politik" bei antisemitischen Übergriffen. Das heißt für sie, "nicht länger zögern, selbst den kleinsten antisemitischen Vorfall lautstark zu verurteilen, wer auch immer die Täter sind. Antisemitischen Demonstrationen, die als antiisraelische Proteste getarnt sind, darf nicht länger mit Gleichmut begegnet werden. Ihre abscheulichen Parolen dürfen nicht länger von unserer Kritik verschont bleiben. Warum gehen nicht mehr Menschen gegen den jährlich stattfindenden antisemitischen Quds-Tag auf die Straße?"

Vor einigen Tagen hat der Medienproduzent Walid Nakschbandi im Tagesspiegel die Muslime in Deutschland aufgefordert, sich gegen "deutschtümelnde Beleidigungen und Herabwürdigungen" zu wehren, die er hier zulande überall sieht: "Das mit dem Nichtauffallen klappt nicht. Ich weiß genau, wie viele von euch täglich von Unbekannten auf der Straße, in der Kassenschlange, auf dem Parkplatz oder im Büro als 'Terrorist', 'Sozialschmarotzer' oder sonst was beschimpft werdet - stets abgerundet mit dem Befehl 'Geh nach Hause!' oder 'Verpiss dich!'. Wie lange noch? Wenn ihr als Bürger dieses Landes und Mitglieder dieser Gesellschaft ernst genommen werden wollt, dann müsst ihr euch schon auch selbst ernst nehmen, sonst wird das nie etwas."

Seyran Ates kann dagegen die ewige Klage über die  "armen und unterdrückten Muslime" und "die deutschen Täter" nicht mehr hören. Vielleicht kann man sich ja mal an die eigene Nase fassen, empfiehlt sie Nakschbandi: "Ich betreibe eine liberale Moschee in Berlin. Und von wem bekomme ich Morddrohungen, Häme und Hetze? Zu 98 Prozent von Muslimen, die mich als Nestbeschmutzerin hinstellen. Und linksgerichtete Postkolonialisten betrachten mich als Provokation für arme konservative Muslime. ... Wer objektiv und differenziert schreiben will, darf nicht verallgemeinernd nur die Rassisten auf der Seite der Deutschen betrachten, sondern muss ehrlich genug sein und beschreiben, wie rassistisch und deutschenfeindlich manche Muslime und Migranten sind - obwohl sie in freiwillig in Deutschland leben."

In der FR warnt Amos Goldberg, Professor für jüdische Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, die Deutschen davor, sich von der israelischen Regierung manipulieren zu lassen. Vor allem die Verurteilung des BDS durch den Bundestag ist für ihn ein Symptom, "wie das politische System in Deutschland rapide die freie Rede erodiert, wenn es um Israel und Palästina geht, und wie der öffentliche Diskurs in Diffamierung und Rufmord abgleitet. ... Wenn Sie nicht für diese Werte kämpfen, gerade auch im Kontext sensibler Themen, könnte sich Deutschland in fünf oder zehn Jahren in ein weiteres illiberales Bollwerk verwandeln. Seine Politik könnte dann der Israels, Ungarns und Polens ähneln."
Archiv: Gesellschaft

Internet

Der Dienst kleinanfragen.de, auf dem man nachlesen konnte, was in deutschen Parlamenten auf Anfragen geantwortet wurde, schließt. Und was bleibt ist eine Intransparenz der Institutionen, die oft aus Unfähigkeit kommt, schreibt Anna Biselli bei Netzpolitik: "Ich will RSS-Feeds, mit denen ich auf dem Laufenden bleibe, was in Sachsen vor sich geht. Ich will Benachrichtigungen, wenn eine Antwort auf eine spannende Anfrage kommt - und nicht vier Wochen später manuell hinterherklicken müssen. Ich will eine Programmierschnittstelle, mit der ich andere Anwendungen bauen kann. Und Tabellen, bei denen ich nicht mühselig Werte copy-pasten muss, um eine Landkarte zum Breitbandausbau zu programmieren. Ich kann es nicht glauben, wenn Regierungen ernsthaft Screenshots aus ihren Exceltabellen in ihre Antworten einbauen."
Archiv: Internet
Stichwörter: E-Democracy, Netzpolitik