9punkt - Die Debattenrundschau

Ein riesiges Problem mit dem Wolf

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.09.2019. Verzagte Reaktionen auf die Wahlen in Brandenburg und Sachsen: Wie kriegt man es hin, links zu sein und nicht überheblich zu wirken, fragt die FR. Immerhin hat die drohende AfD dazu geführt, dass sich die etablierten Parteien wieder den Bürgern zuwenden, meint die NZZ.  Die Ostdeutschen sind die Opfer der Westdeutschen, sagt Naika Foroutan laut Deutschlandfunk. Die klassischen Medienindustrien, die bei der EU-Urheberrechtsreform ihre Forderungen durchsetzen konnten, möchten ihre Erfolge jetzt durch eine Anzeigenkampagne gegen die "Digitalmonopolisten" konsolidieren, berichtet Netzpolitik.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.09.2019 finden Sie hier

Europa

Dieser Artikel kommt passend zu dem Tag, da die Linkspartei sich in den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen mit 10,7 beziehungsweise 7,7 Prozent der Wahlstimmen geradezu demontiert sieht. Wie in Frankreich und Italien scheint es mit dem Linkspopulismus bergab zu gehen. Rainer Balcerowiak, einer der Mitbegründer, schreibt in der taz einen Nachruf auf Sahra Wagenknechts "Aufstehen"-Bewegung, die nur einen sehr kurzen Frühling hatte. Es habe an demokratischen Strukturen gemangelt: "Vielmehr gab es ein undurchsichtiges Geflecht aus Trägerverein, Vorstand und Arbeitsausschuss mit entsprechenden Grabenkämpfen. Diese führten im Dezember unter anderem zur Abschaltung der Webpräsenz auf Bundes- und Landesebene und erbitterten Streitereien um Geld. Zudem wurde offensichtlich, dass einige bei 'Aufstehen' aktive Funktionäre der Linken die Bewegung vor allem als Schwungmasse für ihre innerparteilichen Ambitionen nutzen wollten und keinerlei Interesse am Entstehen einer überparteilichen Basisbewegung hatten."

Dazu passt dieser Tweet:


In der FR überlegt ein verzagter Richard Meng, wie man linke Ideen mit Freiheit verbinden kann: "Wie ist zu erreichen, dass nicht Teile der Gesellschaften sich gerne einreden lassen, ständig bevormundet zu sein - und so anfällig werden? Wie verhindern, dass Fortschritt und Verantwortung als überhebliches Moraldiktat daherkommen, und sei es um des Klimas willen? Das ist nicht automatisch ein Schuldvorwurf, an Klimaschützer oder progressive Parteien. Immer erst mal die Demokraten ins Unrecht zu setzen, wenn andere den Rechten nachlaufen, ist falsch und hilflos. Auch ständige Selbstbezichtigung trägt zur Erosion der Werte bei. Aber wenn diese Rechten es schaffen, mit Emanzipations- und Unabhängigkeitsgefühl Wahlen zu gewinnen, machen doch viele etwas falsch. Nicht alles. Aber links und frei? Das klingt manchmal ziemlich fremd, heutzutage.

Schön sind die Wahlergebnisse nicht, aber vielleicht doch eine nützliche Warnung, meint Benedict Neff in der NZZ: "Konkurrenz belebt das Geschäft - das hat sich nicht nur im Wahlkampf der CDU in Sachsen, sondern auch der SPD in Brandenburg gezeigt. Erstmals mussten die Saturierten um die Macht kämpfen. Das Auftauchen der AfD hat dem Diskurs gewiss nicht nur gut getan. Es hat aber dazu geführt, dass sich verwöhnte und verschlafene Parteien der Bevölkerung in einer Weise zuwenden mussten, wie sie das bisher noch nicht getan haben. Für die CDU in Sachsen und die SPD in Brandenburg bedeutet das Wahlergebnis eine Verschnaufpause. Wer solche Resultate aber wie große Siege feiert, ist einer nächsten Niederlage schon ein Stück näher gerückt."

Jene Ostdeutschen, die zu bald 30 Prozent AfD wählen, sind in Wirklichkeit Opfer der Westdeutschen, sagt die Soziologin Naika Foroutan in einem Dlf-Beitrag, den der Sender unter "Nachrichten" sortiert. In einer Studie habe Foroutan herausgefunden, dass Ostdeutsche diskriminiert werden wie Muslime: "Abwertungen würden seit langem über die Gruppe selbst erklärt, führte Foroutan aus: 'Das ist so, weil der Ostdeutsche in der DDR geboren ist, oder das ist so, weil die muslimische Kultur so ist.' Wenn es jedoch gegenüber zwei gänzlich unterschiedlichen sozialen Gruppen in der Bevölkerung sehr ähnliche Abwertungsmechanismen gebe, 'wäre es doch vielleicht interessant, den Blick mal zu wenden und auf den oder die Stereotypisierenden zu schauen.'"

Fast unbemerkt von der westlichen Öffentlichkeit versucht sich Wladimir Putin unter Berufung auf einen Unionsvertrag von 1996, Weißrussland einzuverleiben, warnen Marieluise Beck und Ralf Fücks in der FAZ: "Die weißrussische Unabhängigkeit liegt im strategischen Interesse der EU. Wenn es Putin gelingt, den Nachbarn zu schlucken, wäre das sowohl für die einheimische Opposition wie für die russische Zivilgesellschaft ein Schlag gegen alle Hoffnungen auf demokratische Veränderung. Nicht zuletzt würde damit das Aufmarschgebiet des russischen Militärs - inklusive der Stationierung von Atomraketen - direkt an die polnische und litauische Grenze verlagert."

Durch die warmen Sommer haben sich die Borkenkäfer in Deutschland vermehrt. Den Schaden hat der Wald, der auch unter der starken Monokultur der Fichtenwälder leidet, meint im Interview mit der SZ der Waldwissenschaftler und Publizist Hansjörg Küster: "Die Monokultur ist auch fürs Artensterben verantwortlich - nicht nur bei Insekten. Wie die Landwirtschaft Arten wie das Rebhuhn zurückdrängte, ist die Forstwirtschaft dafür verantwortlich, dass kaum noch Birk- und Haselhühner vorkommen. Birk- und Haselwild bräuchte lichte Wälder. Der Wolf auch. Aber lichte Wälder gibt es kaum mehr, allenfalls noch auf Truppenübungsplätzen. Wenn diese Wälder auch zuwachsen, bekommen wir ein riesiges Problem mit dem Wolf. ... Er wird in die Siedlungen ausweichen. Der Wolf meidet dichten Wald."
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Kulturpolitik

In vielen westdeutschen Städten müssen Opernhäuser saniert werden, etwa in Frankfurt, Stuttgart und Mannheim. Die Kosten könnten das ganze System in Frage stellen, fürchtet Rüdiger Soldt in der FAZ: "Sowohl in Stuttgart als auch in Mannheim lassen sich dreistellige Millionenbeträge zur Instandhaltung von Oper und Theater den Bürgern nicht einfach verkaufen - nicht jeder Mannheimer oder Stuttgarter ist regelmäßiger Theatergänger. Und in beiden Städten werden die Bürger von den Sanierungen ziemlich wenig sehen."
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Geschichte

In Berlin wird über einen Mietendeckel diskutiert, der aktuelle Mieten zum Teil stark reduzieren würde. Schon in der DDR wurden die Mieten künstlich niedriggehalten. Die Verteilung von Wohnungen war Sache der Ämter. Und das wirtschaftliche Missverhältnis belastete nicht nur die DDR, sondern nach der Wende auch die neuen Länder, schreibt Hubertus Knabe in seinem Blog: "Die auseinanderklaffende Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben machte es erforderlich, die Wohnungswirtschaft in der DDR immer stärker zu bezuschussen. Mit 16 Milliarden Mark lagen die Subventionen 1988 bereits mehr als fünfmal so hoch wie 1970. Die Deckungslücke musste durch immer höhere Kredite der DDR-Staatsbank geschlossen werden. Trotz eines großzügigen Schuldenerlasses im Jahr 1993 lasten dadurch bis heute riesige Altschulden auf den kommunalen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften im Osten. Allein in Mecklenburg-Vorpommern betragen diese derzeit rund 520 Millionen Euro."
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Medien

Auf Zeit online ist Matthias Dell fassungslos über die naiven Wahlsendungen der Öffentlich-Rechtlichen, die in sechs Jahren nicht gelernt hätten, mit der AfD umzugehen: "Die AfD wirkte vor den ARD-Mikrofonen wie ein - das schon - Übel, das man ertragen muss, von dem man eigentlich nichts Genaues wissen will und von dem man weiter hofft, dass es einfach rasch vorbeigeht. Insistierende Nachfragen wurden in der Wahlberichterstattung vor allem an Politiker von SPD und CDU gestellt (Ausnahme: ein zarter Versuch von Hingst bei Kalbitz), während AfD-Leute zwar ihre Buzzwords droppen durften, sich aber niemand für das grotesk falsche Wahlkampfgerede ('DDR 2.0') oder Kalbitz' Vergangenheit interessierte."

Die klassischen Medienindustrien haben bei der europäischen Urheberrechtsreform gesiegt und wollen unter anderem ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage, Uploadfilter und eine Beteiligung an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften, die eigentlich für Urheber bestimmt waren, durchsetzen. Nun bereiten sie eine Anzeigenkampagne vor, um ihre Erfolge zu konsolidieren. Netzpolitik leakt die internen Strategiepapiere zu der Kampagne, die sich einen Erfolg durch die Konzentration auf die "Digitalmonopolisten" erhofft. Markus Beckedahl wirft den Verlegern in Netzpolitik Heuchelei vor. Sie attackierten den Umgang der Netzkonzerne mit privaten Daten. Aber "das sind dieselben Verleger, die massiv gegen bessere Verbraucherrechte gegen intransparentes Tracking im Rahmen der ePrivacy-Verordnung auf EU-Ebene lobbyiert und diese blockiert haben. Bessere Schutzmaßnahmen gegen intransparentes Tracking wurden seinerzeit von ihnen als 'Ende der Demokratie' bezeichnet."

Auch im Gespräch mit dem Medienjournalisten Daniel Bouhs wirft Beckdahl den Verlegern Heuchelei vor. Denn wenn sie wirklich gegen die Datensammelei wären, "dann könnten sie ganz einfach den Schritt machen, sofort auf allen ihren Webseiten die Facebook-Tracker rauszunehmen, denn sie unterstützen auf der einen Seite Facebook, Google und Co. in der Datensammlung. Auf der anderen Seite verhindern sie zusammen mit Facebook, Google und Co., dass wir strengere Datenschutzregeln bekommen gegen intransparentes Tracking..."

Im Spiegel kritisiert Youtuber Rezo die dpa, berichtet turi2. Hintergrund sei ein medienkritisches Youtube-Gespräch, das der DJV als Diffamierung bezeichnet hatte, bevor er den Vorwurf wieder zurücknahm (unser Resümee). Die dpa hätte den Vorwurf einfach übernommen und sei erst nach langwieriger Intervention zur Korrektur bereit gewesen: "Irgendeine Random Oma hätte von der dpa keine Entschuldigung erhalten", so Rezo.
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