Soll man mit
Rechtspopulisten reden? Nein,
schreiben im
Tagesspiegel Shimon Stein, Senior Fellow am Institut für Nationale Sicherheit Studien, und der Historiker
Moshe Zimmermann: "Das ist eben die Zwickmühle der Demokratie: Um wehrhaft zu sein, muss sie Freiheiten einschränken, die sonst als Waffen von ihren Feinden missbraucht werden. Die Bereitschaft zum Dialog, zum Meinungsaustausch, verwenden Populisten als Waffe. Populisten, die 'das System' unterwandern wollen, benutzen die Dialogbereitschaft der Vertreter des 'Systems', um die Grundbegriffe der Demokratie neu zu besetzen - und somit ihr Weltbild zu verbreiten. Man täuscht die 'authentische Demokratie', das 'authentische Volk', die 'authentische Freiheitsliebe' vor und schafft somit eine neue Auslegung der Verfassung, des Grundgesetzes, des Anstandes. Der Dialog wird zum Köder, zur Einladung für die Umwertung der Grundwerte der Demokratie."
Ebenfalls im
Tagesspiegel erinnert Malte Lehming die Linke nachdrücklich an das
Recht auf freie Meinungsäußerung: "Immer mehr Deutsche beklagen ein repressives Meinungsklima. In der jüngsten Shell-Studie meinten 68 Prozent der Zwölf- bis 27-Jährigen, dass man 'nichts Schlechtes über Ausländer sagen kann, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden'. Laut dem Autor der Studie hat eine Mehrheit der Jugend das Gefühl, dass zu sehr mit Denkverboten operiert wird. Eine Allensbach-Umfrage ermittelte, dass 41 Prozent der Deutschen der Ansicht sind, dass die '
Politische Korrektheit'
übertrieben wird. 35 Prozent sagen, freie Meinungsäußerungen seien nur noch im privaten Kreis möglich."
Laut einer anderen repräsentativen
Umfrage des Jüdischen Weltkongresses (WJC) hegen"27 Prozent aller Deutschen und 18 Prozent einer als
Elite kategorisierten Bevölkerungsgruppe
antisemitische Gedanken",
meldet Stefan Kornelius indes in der
SZ.
"Jetzt erst recht sollten Juden in Deutschland ihren Anspruch deutlich machen, im Land zu bleiben, aber als selbstbewusste Juden",
schreibt der Soziologe
Nathan Sznaider in der
NZZ: "Das muss nicht unbedingt heißen, dass Juden sich bewaffnen sollten, um sich gegen ihre Angreifer zu wehren. Aber es soll auch nicht heißen, blind auf die staatlichen Institutionen und auf den guten Willen der Mehrheitsgesellschaft zu vertrauen."
Und noch eine Umfrage über diese trüben Zeiten: Die Forschungsorganisation "
More in Common" legt eine
Studie zur Seelenlage der Deutschen vor, deren Ergebnisse beunruhigend klingen. Allerdings sind die Methoden der Organisation, über die sich Christian Bangel von
Zeit online mit der "More in Common"-Chefin für Deutschland
Laura-Kristine Krause unterhält, umstritten - die Organisation ist in mehreren Ländern tätig und hat auch in den USA eine "ermüdete Mitte" diagnostiziert. Zu Deutschland sagt Krause: "Die Zutaten, die in Großbritannien, Frankreich und den USA, also den anderen More-in-Common-Ländern, zu einer
toxischen politischen Atmosphäre geführt haben, die gibt es in Deutschland auch. Sie liegen auf dem Tisch, aber sagen wir: Sie sind noch nicht im Topf. Der
Ton wird schärfer, es gibt wenige gemeinsame Informationsquellen, und die Menschen werten diejenigen ab, die sie nicht als Teil der Mehrheitsgesellschaft sehen."
Ganz besonders betrüblich liest sich vor allem ein Befund der Studie: 60 Prozent der Deutschen meinen angeblich, es solle "
endlich ein Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit" bezogen werden - der Politologe
Yascha Mounk kommentiert ihn in einem Twitter-Thread.
In unserer differenzierten, vielfach durch Machtteilung abgesicherten Gesellschaft ist ein konzertiertes Handeln gegen eine globale Herausforderung den
Klimawandel kaum möglich, schreibt
Armin Nassehi in der
Zeit: "Selbst bei Konsens über Grundziele, wie sie in Resolutionen vereinbart werden, reagieren die
unterschiedlichen Instanzen der Gesellschaft nach ihren je eigenen Regeln und Erfolgskriterien. Politik ohne Machtchance ist ebenso unmöglich wie ökonomisches Handeln ohne Markterfolg. Die Funktionsstelle fürs Ganze gibt es nicht, und wo man sie einzurichten sich anschickt, werden die
Standards der Moderne unterlaufen."
Vielleicht ist die Bewegung "
Extinction Rebellion", die vor allem auf Panik setzt, deshalb intellektuell so dürftig. So
schildert sie jedenfalls die
taz-Redakteurin Katharina Schipkowski nach Lektüre der
Schrift "Common Sense for the 21st Century" des Mitbegründers
Roger Hallam: "Mit einem gesellschaftlichen Prozess, in dem kritisch denkende Menschen zusammen Pläne diskutieren und Strategien entwickeln, hat das nicht viel zu tun. Auch nicht mit der Annahme, dass mehrere Köpfe mit unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen schlauer sind als ein einzelner."
Der frühere
Spiegel-Journalist
Claas Relotius geht mit dem Medienanwalt Christian Schertz gerichtlich gegen
Juan Morenos Buch
"Tausend Zeilen Lüge" vor, er wirft
Moreno "Falschdarstellungen" in mehr als 20 Stellen vor: Moreno behaupte etwa, Relotius habe 40 Preise erhalten, es seien allerdings nur 19 Preise und zwei weitere Auszeichnungen gewesen,
meldet die
Berliner Zeitung mit
dpa.
In der
Welt kommentiert Christian Meier: "Es wirkt ironisch, sogar zynisch, wenn sich der Mann, der dem '
Spiegel' und dem deutschen Journalismus insgesamt einen Glaubwürdigkeitsschaden größten Ausmaßes zugefügt hat, sich nun via Anwalt zum Medienethiker aufspielt (und die '
Zeit' in diesem Fall mit einem Text freundlich sekundiert). 'Morenos Buch müsste blütenweiß sein', sagt Christian Schertz. 'Ist es aber nicht.' Er habe persönlich mit Zeugen gesprochen, 'alle Punkte gegengecheckt'. Und hier kommt, trotz der bitteren Ironie, eine ebenso bittere Wahrheit.
Das Buch muss in der Tat blütenweiß sein. Der Text darf allerdings auch nicht ohne Fairness und ohne Augenmaß kritisiert werden, allein mit dem Ziel, das gesamte Buch unglaubwürdig zu machen."
Stefan Niggemeier
kritisiert in den
Übermedien allerdings dennoch eine als Pointe gemeinte und darum
wichtige Episode: Relotius habe behauptet, er lasse sich in einer Klinik behandeln - und wurde angeblich ganz woanders auf dem Fahrrad gesichtet.
Lügt er also immer noch? Moreno kann die Sichtung Relotius' auf dem Fahrrad nicht beweisen, so Niggemeier: "Sollte sie tatsächlich nicht stimmen, würde das nicht die Substanz von Morenos Buch und seiner Schilderungen von Relotius bedrohen. Es würde nur
eine Schmuckschleife abreißen, die er am Ende noch draufgebunden hat. Moreno hätte sie einfach weglassen können. Aber sie hat das Paket scheinbar
so perfekt gemacht. Und es sind ja nicht nur Journalisten, die solche Schleifen lieben, sondern auch Leser."