Die jüngsten Anschläge auf Angehöriger
orthodoxer jüdischer Gemeinden in New York wurden nicht von weißen Rechtsextremisten begangen, sondern von Schwarzen. Im jüngsten Fall - eine Macheten-Attacke auf ein Hanukka-Fest mit fünf Verletzten - handelte es sich
laut New York Times offenbar um einen psychisch gestörten Einzeltäter. Der Anschlag auf einen koscheren Supermarkt vor einigen Wochen wurde von einer Gruppe von "Black Hebrew Israelites" begangen (unser
Resümee von Yascha Mounks Artikel zu diesem Fall).
"Wer die
Diversität von Antisemitismus nicht sehen will, ist nicht ernstzunehmen",
schreibt Benjamin Wittes im
Atlantic zu den jüngsten Attacken. "Menschen, ob jüdisch oder nicht, die ihre Stimme zum Antisemitismus erheben, aber dabei versäumen, über den
Antisemitismus im eigenen Lager zu sprechen, sollte man mit Misstrauen begegnen. Leute, die mehr daran interessiert, das Problem des Antisemitismus als Waffe zu benutzen, als das Problem selbst anzugehen, werden den Blick allzu leicht abwenden, wenn die falschen Leute von den falschen Mördern aus den falschen Gründen umgebracht werden." Die Historikerin
Deborah Lipstadt schreibt im
Atlantic ebenfalls über den neuen Antisemitismus.
Auch der umstrittene
New-York-Times-Kolumnist Bret Stephens spielt in einem etwas
rätselhaften Artikel über "jüdisches Genie" auf das Supermarkts-Attentat an. Der Artikel hat in den sozialen Medien einen
Empörungssturm ausgelöst (
mehr im
Guardian), weil Stephens in einer ersten Version auf eine Studie anspielte, die aschkenasischen Juden eine genetisch bedingte
höhere Intelligenz unterstellte und die als rassistisch gilt - was die
New York Times zu einer langwierigen Distanzierung und einer neuen Version von Stephens' Artikel veranlasste. Stephens Fazit lautet: "Im besten Fall sollte der Westen das Prinzip des ethnischen und religiösen Pluralismus nicht als widerwillige Anpassung an Fremde, sondern als Bestätigung seiner eigenen vielfältigen Identität anerkennen. In diesem Sinne ist das Besondere an den Juden, dass sie
es nicht sind. Sie sind repräsentativ."
Im
Tagesspiegel warnt der Pianist
Igor Levit, der nach Morddrohungen unter Polizeischutz spielt, vor einer Normalisierung des Antisemitismus, in diesem Fall von rechts: "Steter Tropfen höhlt den Stein! Das Gift rechtsradikaler, völkischer Hetze verbreitet sich langsam und schleichend. Wenn Übergriffe und Attacken zum
regelmäßigen Stoff von Nachrichten werden, dann steigt die Gefahr, dass wir uns an Skandal und Unmenschlichkeit gewöhnen, statt alarmiert und sensibilisiert zu werden: Wir akzeptieren damit eine neue Normalität samt Opferhierarchien und Täterhierarchien."
Tanja Tricarico
rät in der
taz, schlicht und einfach auf die Vorteile einer
vernetzten Medizin und einer persönlichen digitalen Gesundheitskarte zu verzichten: "Rechtzeitig zum Jahreskongress des Chaos Computer Clubs entlarven Netzaktivist:innen die
löchrige Sicherheitsarchitektur, über die Gesundheitsdaten übertragen werden. Der Eingriff in die Privatsphäre, in die Entscheidungsgewalt des Einzelnen, ist enorm, das Einfallstor für Abzocke, Erpressung, Manipulation groß. Also Schluss mit dem gesetzlich verordneten Datenwahn -
trotz der großartigen Idee einer vernetzten Behandlung. Für ausreichenden Schutz der Datenströme zu sorgen ist unmöglich, ein frommer Wunsch von Politiker:innen."
Ebenso
sieht es der von Svenja Bergt in
taz befragte Psychotherapeut
Andreas Meißner: "Gesundheit lässt sich
nicht technisch lösen und schon gar nicht durch zentral gespeicherte Daten... Die Milliarden, die die Entwicklung der elektronischen Gesundheitskarte und der ganzen IT-Infrastruktur dahinter schon gekostet haben, die hätten wir gut in
anderen Bereichen brauchen können. Zum Beispiel in der Pflege oder in der ländlichen Versorgung mit Ärzten."
Wie der
Staat mit unseren Daten umgeht, kann man gerade von der
Berliner Polizei lernen: "Das Ausmaß der Datenschutzprobleme bei der Berliner Polizei ist weitaus größer als bisher bekannt",
berichtet Alexander Fröhlich im
Tagesspiegel. Kurz vor Weihnachten hat Berlins Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk eine
offizielle Beanstandung an die Polizei geschickt - es ist das schärfste Mittel, dass ihr gegenüber anderen Behörden zur Verfügung steht. Die Polizei hortet demnach seit Jahren
unzulässig riesige Mengen an Daten und überprüft nicht einmal richtig, ob die 17.000 Beamten bei Abfragen Recht und Gesetz einhalten."
Apropos
alternde Gesellschaft und die Folgen: In der
NZZ ist Florian Coulmas
eher skeptisch, was die Olympischen Spiele 2020 in
Tokio angeht. Hat das Land keine anderen Probleme? "Aus der Not eine Tugend machen, heißt die Devise. Die Gouverneurin von Tokio, Yuriko Koike, verspricht sich von den Spielen, dass sie die
Stadt rollstuhlgerechter machen werden, und Premierminister Shinzo Abe hofft, dass sie ein Schaufenster für
innovative Technologien zur Bewältigung der demografischen Überalterung werden. Als Motivation für Olympische Spiele ist das zumindest originell; auch, weil Japan den anderen Ländern der Region auch hier voraus ist. Auf dem Höhenflug der Alterung werden sie
der Leitgans, als die sich Japan schon damals sah, unweigerlich folgen."
Frankreich diskutiert über den Schriftsteller
Gabriel Matzneff, nachdem
Vanessa Springora, die er "verführt" hatte, als sie 14 war, ein
Buch über ihre Geschichte geschrieben hat. Matzneff hatte sich in den Siebzigern auch im Fernsehen offensiv zu seiner
Pädophilie bekannt. Und das Klima der Medien war ihm sehr wohlgesonnen. Auch die
Libération war seinerzeit und bis in die Achtziger voll von Texten, die Sex mit Jugendlichen oder Kindern priesen. Laurent Joffrin
schreibt dazu in
Libération: "Man sah darin auch die Effekte einer nicht immer gut verarbeiteten Theorie, die aus dem
68er-Denken von Sartre, Foucault, Bourdieu oder Derrida kam. Kurz gesagt, war man in diesen intellektuellen Kreisen der Auffassung, dass sich jedes Gesetz, jede Norm, sozusagen jede Gewohnheit, auf die Ausübung einer unterdrückenden,
allgegenwärtigen und diffusen Macht bezog, die in Umfang und Einfluss die des Staates oder einer sozialen Klasse überschritt, um Körper und Seelen zugunsten der vielgestaltigen Herrschaft, die die kapitalistische Gesellschaft strukturierte, zu kontrollieren, zu lenken, zu zwingen."
Der britische, in Berlin lebende Autor und Journalist
Musa Okwonga blickt in der
taz mit Schrecken von außen auf sein Land und den Brexit: "Ich habe Angst um Großbritannien, weil der Wahlkampf, den wir soeben bei den Konservativen beobachten konnten,
der unehrlichste war, an den ich mich erinnern kann - und der doch überwältigenden Erfolg hatte. Wir haben jetzt eine Öffentlichkeit, deren Mehrheit entweder nicht weiß,
dass man sie anlügt, oder der das nichts ausmacht."
Der chinesische Künstler
Ai Weiwei hält China, wie es ist, für unreformierbar, sagt er im Interview mit der
SZ. Und das Regime der chinesischen KP zugleich für mächtiger und stärker als hier oft angenommen. Vom
Westen allerdings, wo er jetzt leben muss, ist er auch tief enttäuscht, denn der nehme seine eigenen Werte nicht ernst und lebe in einer Art
Disneyland: "Die deutsche Wirtschaft hat klar angekündigt, dass
ihre Zukunft in China liege. Das ist sehr ehrlich. Wenn man einmal auf dem chinesischen Tiger reitet, ist es sehr schwierig, wieder runterzukommen. ... Alles ist so gut organisiert hier, so friedlich, so sicher, ein wundervolles Leben. Aber es ist
so unverhältnismäßig. Die Europäer haben keine Ahnung, wie hart der Kampf ums Überleben sein kann. Ich bin
tief enttäuscht von der Politik, den Medien, der Bildung, ganz zu schweigen von den großen Firmen."
Der ehemalige Bürgerrechtler und SPD-Politiker
Richard Schröder hat in der
FAZ (politischer Teil) ehrliche Zweifel, ob bei der
Wiedervereinigung wirklich so viele Fehler gemacht wurden, wie allseits immer vorausgesetzt wird: "Bei jeder Revolution kommt es unvermeidlich
zu biografischen Brüchen, und zwar zum Teil zu Recht. Die bisherigen Machthaber müssen abtreten. Wenn ein Stasioffizier oder Dozent für Marxismus-Leninismus 1990 arbeitslos wurde, hält sich mein Bedauern in Grenzen. Sie sind zudem oft auf die Füße gefallen. Aber viele wurden 1990 und danach arbeitslos, die weder Stützen noch Nutznießer der Diktatur waren. Von denen haben manche sofort ihren Neustart betrieben, oft erfolgreich, aber andere, zumal Ältere, haben den Neustart nicht geschafft und verstanden sich zum Teil als
unverschuldete Verlierer der Revolution, die sie begrüßt hatten. Nichts davon darf geleugnet werden. Aber beruhten solche Schicksale tatsächlich auf 'Fehlern'?"