9punkt - Die Debattenrundschau

Neue Aufgaben

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
11.02.2020. In der FR spricht der israelische Autor Nadav Eyal über die Wähler der Rechtspopulisten und ihre Gründe, frustriert zu sein. In Zeit online fordert Andreas Rödder einen konservativen Neustart der CDU. In der Berliner Zeitung wurden die Chefredakteure gefeuert, berichten SZ und Welt. Und die NZZ fragt: Ist ein Pelzverbot rassistisch?
Efeu - Die Kulturrundschau vom 11.02.2020 finden Sie hier

Europa

Nach dem Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer fordert der Historiker Andreas Rödder im Interview mit Zeit online einen Neuanfang in der CDU, der sich deutlich von der Ära Merkel absetzt, der er die Schuld an den jetzigen Problemen gibt. Denn die CDU habe es unter Merkel versäumt, "sich programmatisch neu aufzustellen und zu definieren, wofür eine moderne Christdemokratie im 21. Jahrhundert stehen kann. ... das Ergebnis ist eine CDU, die eine sogenannte Modernisierung betrieben hat, die aber nichts anderes war als die Anpassung an den rot-grünen Zeitgeist. Dieses Erbe fällt der CDU nun auf die Füße." Die Rückkehr zu konservativen Werten bedeutet für Rödder keine Annäherung an die AfD: "Von der AfD kann man sich sehr einfach abgrenzen. Die AfD ist keine konservative Partei, sie vertritt rechtsextreme und völkische Ideen."

Cui bono, fragt FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube nach den Thüringer Wirren. Nun, den Linkeren, all jenen, die Rot-Rot-Grün wollen, besonders auch in der SPD. Darum der Brustton der Empörung, so Kaube: "Die Schande kann gar nicht groß genug vorgestellt werden - nicht zuletzt um die Grünen im Bund von jedem Gedanken abzubringen, mit der CDU koalieren zu können oder gar ein zweites Mal an Jamaika auch nur zu denken." In einem zweiten Artikel wirft Michael Hanfeld einen strengen Blick auf die CDU.

Der 18-jährige Politikstudent Hadi Al-Wehaily kandidiert bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg für die FDP. Seit Thüringen wird er im Wahlkampf plötzlich als "Nazi" beschimpft, erzählt er im Interview mit Zeit online. "Im Netz ist es besonders schlimm, dort ist der Tonfall ja ohnehin um einiges rauer. Auch auf der Straße erlebe ich unangenehme Situationen. Wenn ich am Infostand stehe oder Flyer in meinem Wahlbezirk verteile, rufen Passanten mir aus der Ferne ein 'Schäm dich!' oder 'Ich rede nicht mit Faschisten!' zu. Ich werde gefragt, wie ich denn nur mit Faschisten kooperieren könne. Ich solle sofort aus der Partei austreten, meine Kandidatur niederlegen. Was mich dabei schockiert, ist die teils vulgäre Sprache und das Desinteresse an einer Diskussion. Was ich zu sagen habe, interessiert gar nicht. ... Was ich mir wünschen würde: Dass linke Parteien den Hass, der uns entgegenschlägt, deutlicher verurteilen."
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Ideen

Der israelische Autor Nadav Eyal spricht im Interview mit der FR über sein Buch "Revolte", das sich mit dem weltweit wachsenden Populismus auseinandersetzt. Die Leute haben Grund, wütend zu sein, glaubt er. Lügen und halbe Wahrheiten lassen sich mit dem Internet heute leicht aufdecken (so wie sich falsche Theorien verbreiten lassen): "Es ist die schlimmste Krise, die man sich vorstellen kann. Aber Leute davon überzeugen kann man nicht mit Herablassung und Schwarzmalerei, sondern nur, indem man Fragen beantwortet. Ich habe keinen Zweifel, dass der Klimawandel stattfindet, aber seinen Leugnern muss man mit klaren, wissenschaftlichen Argumenten begegnen. Wenn man will, dass die Leute vernünftig sind, muss man auch vernünftig mit ihnen reden und nicht versuchen, sie ständig zu agitieren. ... Und wenn einem keine vernünftige Antwort auf eine Frage einfällt, sollte man das auch zugeben und sagen: Ich weiß die Antwort darauf im Moment nicht."
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Politik

Für den chinesischen Ministerpräsidenten Xi Jinping ist der Umgang mit dem Coronavirus kein Erfolg. Die Chinesen sind inzwischen wütend und verängstigt: Erst wurden ihnen die Gefährlichkeit des Virus verschwiegen, jetzt sitzen viele - oft gewaltsam - in Quarantäne. Und auch die Wirtschaft droht nach dem Ende der schon verlängerten Neujahrsferien Schaden zu nehmen, berichtet der derzeit im chinesischen Ningbo lehrende Politologe Maximilian Mayer in der NZZ. "Da die Rückreise von Hunderten Millionen von Menschen verhindert ist, sind zahllose Kleinstunternehmen in der Existenz bedroht. Viele große Städte haben erklärt, Rückkehrer für 14 Tage in Quarantäne unterzubringen. In Industriezentren können selbst multinationale Konzerne ihren Betrieb nicht wieder aufnehmen. ... Besonders stark ist die Autoindustrie betroffen. Autokonzerne betreiben auch in Wuhan selbst Werke, die für Monate ausfallen könnten. Globale IT- und Mobil-Konzerne sind bereits von den Lieferketten abgeschnitten. Chinas wichtigste Börse in Schanghai brach bei Handelsbeginn sofort um 10 Prozent ein. Ökonomen erwarten für 2020 wegen des Virus einen Einbruch des gesamtwirtschaftlichen Wachstums in China auf weniger als 5 Prozent."
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Medien

Der neue Eigentümer der Berliner Zeitung Holger Friedrich feuert die beiden bisherigen Chefredakteure, meldet Verena Mayer in der SZ: "Alleiniger Chefredakteur ist nun Matthias Thieme, der vor Kurzem als Digital-Chef angefangen hat. Er soll gemeinsam mit dem von den Friedrichs geholten Herausgeber, dem Österreicher Michael Maier, die Weiterentwicklung der Print- und Onlineausgaben verantworten. Die bisherigen Chefredakteure, Jochen Arntz und Elmar Jehn, 'werden das Unternehmen verlassen und sich neuen Aufgaben widmen'. Zu den Gründen äußert sich der Verlag nicht", so Mayer.

Über die Gründe kann nur spekuliert werden, schreibt Christian Meier in der Welt: Arntz und Jehn hatten nach den Stasi-Vorwürfen gegen Neuverleger Holger Friedrich eine unabhängige Untersuchung versprochen, die von Marianne Birthler und Ilko-Sascha Kowalczuk geleitet wurde. Sie empfahlen nach ihrer relativ milden Beurteilung des Falls die Veröffentlichung aller Akten. "Doch geschehen ist im Verlag seither - zumindest von außen betrachtet - nichts, was die Aufarbeitung der Vergangenheit des Unternehmers und Neuverlegers Holger Friedrich vorangebracht hätte."

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Kulturmarkt

Das Börsenblatt resümiert eine Diskussionsveranstaltung, bei der sich die Verlagsmanagerin Siv Bublitz (Leiterin der Fischer-Verlags) gegen Subventionen für die Branche aussprach: "'Bücher sind Wirtschaftsgut und Kulturgut - beides kann und muss man in Einklang bringen. … Literatur nur auf Subventionsbasis entstehen zu lassen, da sehe ich das Risiko der politischen oder anders gearteten Abhängigkeit', so Bublitz ... Sie warnt auch davor, dass die Verlagsbranche 'wie andere kulturelle Sparten ihr komplettes System auf die staatliche Subventionierung bauen und die eigene wirtschaftliche Verantwortung aufgeben.' Gefahr sieht sie - auch in Anbetracht historischer Hintergründe - vor allem bei einem Wandel des politischen Klimas."

Kaum hatte sich erwiesen, dass die Verlegerbeteiligung an den Einnahmen der VG Wort von den Gerichten als unbillig angesehen wurde (Der Jurist und Perlentaucher-Autor Martin Vogel hatte mit seinen Klagen dagegen in allen Instanzen gesiegt), wurde sie im Rahmen der europäischen Urheberrechtsreform wieder eingeführt. Nun liegt ein "Diskussionsentwurf" der Bundesregierung zur deutschen Ausgestaltung vor. Die Verleger sind nicht damit zufrieden, dass sie grundsätzlich nur eine Quote von einem Drittel abbekommen sollen, berichtet der Buchreport: "Der Börsenverein fordert dagegen, diese 'neuartige' Vorschrift ersatzlos zu streichen. Der Gesetzgeber würde damit erstmals in die langjährig geübte Autonomie der Verwertungsgesellschaften bei der Aufstellung von Verteilungsplänen eingreifen. Die paritätisch besetzten Gremien würden durch den 'paternalistischen Eingriff' des Gesetzgebers entmündigt. Auch wenn bereits in der Vergangenheit die Urheber bei den meisten Verteilungsschlüsseln mindestens zwei Drittel der Ausschüttungen erhalten haben, sei ein wesentlicher Nachteil einer gesetzlichen Regelung, dass sie undifferenziert sei und nicht in allen Fällen sachgerecht. Beispiel Schulbuch, wo wesentliche Leistungen (wie Konzept und staatliche Zulassung von Lernmedien) durch die Verlage erbracht würden." Stellungnahmen von Schriftstellern und Übersetzerinnen sind hier resümiert.
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Gesellschaft

Dinah Riese referiert in der taz einige Zahlen der Bundesregierung zu muslimfeindlichen Ausschreitungen, die heute offenbar auch offiziell unter dem Label "antimuslimischer Rassismus" abgelegt werden: "Obwohl die Zahl der antimuslimischen Straftaten insgesamt abnimmt, steigt die Zahl der Gewaltverbrechen. Für 2017 melden die Behörden 56 islamfeindliche Gewaltdelikte mit insgesamt 38 Verletzten. 2018 waren es dann schon 74 Delikte mit insgesamt 52 Verletzten. Darunter sind sogar zwei versuchte Tötungsdelikte... Gerade muslimische Frauen, die Kopftuch tragen, sind besonders bedroht..." Die Rassismus-Expertin Yasemin Shooman äußert sich im Interview besorgt über die Zahlen.

Ausgerechnet in New York, wo der Fellhandel nach wie vor eine große Rolle spielt, wird ein Pelzverbot diskutiert. Besonders wütend darüber sind nicht stinkreiche weiße Bankergattinnen, sondern Minderheiten, erzählt Sarah Pines in der NZZ. "Insgesamt fühlen sich Minderheiten, insbesondere hispanischer und afroamerikanischer Herkunft, von dem Pelzverbot diskriminiert. Lange waren Pelzmäntel - vor allem aus Nerz - für diese Gruppen ein begehrtes Statussymbol: Bei der zweiten Amtseinführung von Barack Obama trugen Beyoncé Knowles und Jay-Z opulente schwarze Statement-Pelze. Je mehr schwarze Frauen sich seit den Befreiungskämpfen der 1960er Jahre und zunehmend in den letzten zwanzig Jahren einen Pelz leisten konnten - so die Sicht der Afroamerikaner -, desto mehr weiße Institutionen wollen ihn nun verboten sehen."
Archiv: Gesellschaft