9punkt - Die Debattenrundschau

Schulen mit zwei Ausgängen

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.11.2020. Viktor Orbans Regime ist korrupt. Nun will er mit Polen ein Veto gegen den neuen EU-Haushalt einlegen, der Rechtsstaatlichkeit verlangt. Soll er doch, meint George Soros im Tagesspiegel. Die taz erinnert an das Abkommen von Dayton, das vor 25 Jahren zwar den Bosnienkrieg beendete, aber keinen Frieden schloss. In der Welt ist der Germanist Magnus Klaue  nicht einverstanden mit Christian Drostens "Pandemischem Imperativ", der da lautet: "Handle stets so, als seiest du selbst positiv getestet, und dein Gegenüber gehörte einer Risikogruppe an." 
Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.11.2020 finden Sie hier

Europa

Viktor Orban führt ein korruptes Regime, an dem er sich selbst bereichert, während er jede Rechtsstaatlichkeit in seinem Land untergräbt und die Opposition mundtot macht, schreibt George Soros in einem Artikel für der Project Syndicate, deutsch im Tagesspiegel. Dass Ungarn nun mit Polen ein Veto gegen den neuen Siebenjahreshaushalt der EU einlegt, weil dort Rechtsstaatlichkeit gefordert wird, sollte die 25 anderen Staaten nicht beirren, meint Soros: "Die Bestimmungen zur Rechtsstaatlichkeit sind verabschiedet. Falls es keine Einigung über einen neuen Haushalt gibt, wird der alte Haushalt, der Ende 2020 ausläuft, auf jährlicher Basis verlängert. Ungarn und Polen würden im Rahmen dieses Haushalts keinerlei Zahlungen erhalten, weil sie gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen."

Die AfD hat bei der Beratung des Infektionsschutzgesetzes, das sie als "Ermächtigungsgesetz" diffamiert, Rechtsextreme in den Bundestag geschleust, die Parlamentarier angepöbelt haben - ein Tabubruch. Aber einen Trost hat Thomas Schmid in der Welt: "Dass Abgeordnete der AfD offensichtlich rechte Aktivisten in den Bundestag eingeschleust haben, ist letztlich aber nur eine Groteske. Die Partei muss seit geraumer Zeit mit ansehen, dass ihr Rückhalt wie Schnee in der Sonne schmilzt."

Das Abkommen von Dayton beendete zwar vor 25 Jahren den Krieg um Bosnien-Herzegowina, schuf aber  nach all den ethnischen Säuberungen vor allem durch die Serben, dann auch die Kroaten keinen konstruktiven Frieden, schreibt Erich Rathfelder in der taz: "Die nationalistischen Parteien profitieren vom Status quo. Sie beherrschen in ihren Herrschaftsgebieten den Arbeitsmarkt. Sie setzten in den noch gemischten Gebieten bis ins Kleinste das ethno-nationale Prinzip durch. Die Schulen mit zwei Ausgängen sind nur ein Beispiel. Es gibt jetzt, befeuert durch die jeweiligen Religionen, drei Ideologien, drei Erinnerungskulturen, drei Medienwelten. Wer nicht spurt, fliegt. Wer sich ihnen nicht anschließt, bekommt keinen Job. Wer da nicht mitmacht, wird als Volksverräter verfolgt." Die letzten Kommunalwahlen, in denen nationalistische Fraktionen oft abgewählt wurden, machen Rathfelder dennoch Hoffnung.

Der Londoner Islamwissenschaftler H.A. Hellyer lehnt eine von europäischen Ländern gesteuerte Imam-Ausbildung in politico.eu ab: "Keine Community möchte gern das Gefühl haben, man pflege mit ihr nur  Umgang, weil sie ein 'Problem' ist, das von 'außen' kommt. Communities möchten als ein Bestandteil der Gesellschaft anerkannt werden, zu der sie gehören und brauchen Unterstützung um zu blühen - nicht die Furcht des Establishments. Jede Institution zur Ausbildung von Islamen, deren Hintergrund nur die 'Bekämpfung von Extremismus' ist, ist tendenziell kontraproduktiv, auch wenn sie selbst eine exzellente Idee sein mag. Communities sehen so etwas nicht als Regierungshilfe, sondern als ein Social Engineering, das Regierungen stets vermeiden sollten und das sie bei anderen Communities, ob religiös oder nicht, nicht anwenden."
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Internet

Adrian Lobe gehört zu jenen Internetkritikern, die die großen Plattformen seit Jahren alles Böse zutrauen, so auch heute in der Welt, nur in eine seltsamen Umkehrung der üblichen Vorwürfe. Wird den Plattformen sonst angekreidet, sie schärften durch ihre Algorithmen die Hassrede noch und seien für alle Übel in der Gesellschaft Treiber und Auslöser, stoßen Lobe nun etwa Aufforderungen bei Twitter auf, einen Artikel zu lesen, bevor man ihn teilt. Das ist nun auch wieder recht: "Natürlich ist es begrüßenswert, wenn Konzerne gegen Desinformationen oder Cyber-Mobbing auf ihren Plattformen vorgehen. Hass ist das alles zersetzende Gift der Öffentlichkeit. Doch kann ein Nutzer nicht selbst entscheiden, ob er einen ungelesenen Artikel teilt oder andere Nutzer beleidigt?"
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Medien

Dem Wissenschaftsjournalisten Peter Spork ist in in Übermedien aufgefallen, dass die Medien sehr gern über Betroffene von Corona-Maßnahmen berichten, aber wesentlich weniger gern von Betroffenen der Krankheit selbst: "Sind wir alle zu bequem und tragen lieber das hirnbefreite Geschwätz von Querdenkern an die Öffentlichkeit als die O-Töne einer Corona-Patientin, die sich in der Rehaklinik vom zweimonatigen Koma erholt? Ist es uns wirklich wichtiger, zu erfahren, was verhinderte Restaurant-Gäste, Sportler, Nikoläuse denken, als der Mann, der auch noch sechs Monate nach einer eher milde verlaufenen Infektion mit SARS-CoV-2 unter Herzschwäche, Kurzatmigkeit und chronischer Müdigkeit leidet?" Sporknt und verlinkk in seinem Artikel allerdings auch einige positive Gegenbeispiele.
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Stichwörter: Coronakrise, Querdenker, Corona

Ideen

Der Virologe Christian Drosten hat in der Schillerrede, zu der er neulich geladen war, einen "pandemischen Imperativ" formuliert: "Handle in einer Pandemie stets so, als seiest du selbst positiv getestet, und dein Gegenüber gehörte einer Risikogruppe an." Der Germanist Magnus Klaue ist damit in der Welt überhaupt nicht einverstanden: "Anders als bei Kant und auch bei Schiller kommt der Einzelne bei Drosten aber nur als potenzieller Störer des Allgemeinen in Betracht. Seine Pflicht besteht allein darin, durch eigenverantwortliches, das heißt: freiwillig gemeinschaftskonformes Verhalten dem Staat keinen 'Anlass' dafür zu geben, die Freiheit der Einzelnen einzuschränken."

In der FAZ geißelt Thmoas Thiel die Queer-ideologie, "also das Postulat, dass die erste Natur, der Körper, restlos in der zweiten Natur, dem Mentalen und Sozialen, aufgehe". Schuld ist der übliche Verdächtige: "Das Netz ist nicht nur das Medium, in dem alle, die an der Relevanz körperlicher Unterschiede festhalten, mit stalinistischer Härte niederkartätscht werden (was jetzt auch die Guardian-Kolumnisten Suzanne Moore zum Rücktritt bewegte), es ist auch die Basis der transhumanistischen Utopie, die die Überwindung des Körpers zum Programm gemacht hat." (Unser Resümee zur Kündigung von Suzanne Moore).
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Wissenschaft

250.000 Corona-Tote haben die USA inzwischen zu verzeichnen. In einem wichtigen Hintergrundtext legen Alexis C. Madrigal Whet Moser in Atlantic dar, dass die Sterberate von Corona-Infizierten in den USA zwar gesunken sei, die Zahl der Infizierten aber so stieg, dass demnächst trotzdem mit 2.000 Toten täglich oder mehr zu rechnen ist. Sarah Zhang ist in Atlantic aber mit Blick auf die kommenden Impfstoffe zuversichtlich: "Das Ende der Pandemie ist nun in Sicht."
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Kulturpolitik

Kulturstaatsministerin Monika Grütters verteidigt im Gespräch mit Andreas Kilb von der FAZ die Corona-Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung für die Kulturbranche: "Ich habe ein Haus mit vierhundert Mitarbeitern, die seit Wochen auf ihren Urlaub verzichtet und wie im Akkord geschuftet haben. Sie haben mit den jeweiligen Dachverbänden der Kultursparten beraten, wie dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, dem Bühnenverein, der Initiative Musik, mit den Bundeskulturfonds und vielen mehr. Wir wollten wissen: Wie läuft es in eurer Szene? Wo hakt es? Wie muss ein Hilfsprogramm aussehen? Wer soll antragsberechtigt sein? Wie sind die Kriterien? Wie hoch darf und muss eine Eigenbeteiligung sein? Danach haben wir die Programme, die wir mit diesen Dachverbänden vereinbart hatten, mit dem Rechnungshof und den Ländern abgestimmt."
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