9punkt - Die Debattenrundschau

Einsatz automatisierter Verfahren

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
21.05.2021. Die EU-Urheberrechtsreform ist jetzt auch in Deutschland durch. Die Verlegerverbände haben viel bekommen, sind aber trotzdem nicht zufrieden. Die Reform ist so komplex, dass sie vor allem den Berufsstand der Anwälte absichern wird, vermuten taz und golem.de. Jörg Häntzschel analysiert in der SZ einen Text Hans-Georg Maaßens und kommt zu dem Ergebnis, dass dieser die indirekten Codes des Rechtsextremismus perfekt beherrscht. In der Welt bewundert Ulf Poschardt die Virtuosität von Luisa Neubauers Antisemitismusvorwurf gegen Maaßen - denn "Fridays for Future" sei in den letzten Tagen selbst durch antisemitische Äußerungen hervorgetreten. In Britannien wird über das Selbstverständnis von BBC und Guardian diskutiert.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 21.05.2021 finden Sie hier

Urheberrecht

Die EU-Urheberrechtsreform ist nun auch in Deutschland umgesetzt. Immerhin gibt es hier eng gesetzte Bagatellgrenzen für Zitate auf Plattformen. Aber für die Anwälte und Gerichte wird es noch viel Arbeit geben, vermutet Christian Rath in der taz: "In der Umsetzung wird es noch spannend, wie sich 'Bagatellgrenze' und 'mutmaßlich erlaubte Nutzungen' bewähren. Schließlich kennen die nationalen Gesetze der anderen 26 EU-Staaten solche Ausnahmen überwiegend nicht, so dass fraglich ist, welches Recht anzuwenden ist: das Recht am Ort des Internetnutzers oder am Ort des Rechteinhabers oder am Ort der Plattform."

Die Verlegerverbände haben die Bagatellgrenzen noch nicht verkraftet. "In 160 Zeichen schreibt jeder professionelle Journalist/jede professionelle Journalistin eine ganze Geschichte", behaupten die Zeitungsverleger in ihrer Stellungnahme zur Reform.

Als Sieg feiern vor allem die Buchverlage laut Börsenblatt die Wiederherstellung der Verlegerbeteiligung: "Verlage erhalten künftig wieder einen Ausgleich, wenn ihre Publikationen privat kopiert, durch Bibliotheken verliehen oder sonst in gesetzlich erlaubter Weise genutzt werden." Die Verlegerbeteiligung war in Deutschland nach Klagen des Juristen Martin Vogel (mehr im Perlentaucher) gefallen, weil sämtliche Instanzen die Einnahmen den Urhebern, nicht den Verlagen zusprachen.

Mit der Reform kommen die Uploadfilter, die die Politik angeblich hatte verhindert wollen, schreibt Meike Laaf auf Zeit online: "Ohne Uploadfilter wäre die Reform kaum praktikabel umzusetzen. Darum ist es wenig verwunderlich, dass sich in der deutschen Umsetzung sehr wohl Paragraphen finden, die explizit für den 'Einsatz automatisierter Verfahren' anzuwenden sind. Und nichts anderes sind Uploadfilter im Grunde." Laaf erklärt dann gut verständlich und im Detail, wie die Filter funktionieren und welche Probleme entstehen.

Schuld am überkomplizierten Gesetzeswerk hat die CDU, findet Friedhelm Greis bei Golem. Ihr sei es vor allem um das Leistungsschutzrecht für die Presseverleger gegangen. "Hier hat sich vor allem der frühere Digitalkommissar Oettinger als Interessenvertreter der Verlage hervorgetan. Auch hier hat die EU so schwammige Vorgaben gemacht, dass langwierige Verfahren wie beim deutschen Leistungsschutzrecht wahrscheinlich werden."
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Politik

In den USA wird bei den Demokraten das Narrativ der Hamas immer stärker, erklärt Bari Weiss in der Welt: "Die Welt hat den Corbyn-Weg eingeschlagen. Schauen Sie sich im Internet um. Als Andrew Yang, der Spitzenreiter des New Yorker Bürgermeister-Rennens, twitterte: 'Ich stehe an der Seite des israelischen Volkes', da trommelte Alexandria Ocasio-Cortez die Internet-Horden zusammen. Die kraftlose Erklärung wäre, meinte sie, 'äußerst beschämend', und die Meute schloss sich an. Wenige Tage später hatte sich Yang quasi entschuldigt. Die Quote ist das neue Veto. Wie erbärmlich."

Jörg Häntzschel hat für die SZ den Artikel "Aufstieg und Fall des Postnationalismus" gelesen, den Hans-Georg Maaßen und Johannes Eisleben für die Zeitschrift Cato verfasst haben, und stellt fest: Maaßen muss nicht von Juden reden, um Antisemitismus auszudrücken. Er beherrscht die Umgehungscodes, meint Häntzschel, der hier liest, das Volk solle mit der Einwanderung "in eine 'anonyme, atomisierte Masse' verwandelt werden, die 'leicht zu kontrollieren und zu manipulieren ist'." Strippenzieher dabei seien zum einen die Linke mit ihrem Erlösungstick und zum anderen "die 'Wirtschaftsglobalisten', die hoffen, auf diese Weise 'globales Eigentum und globale Profite (…) auf einige tausend Familien zu konzentrieren'. Maaßen scheut sich nicht, den Begriff zu verwenden, den Verschwörungsgläubige in den USA seit Jahrzehnten durch ihre Kanäle wälzen: Die 'neue Weltordnung', deren Grundzug eine totalitäre globale Regierung einer internationalen Elite ist, die die Menschheit versklavt und aussaugt. ... Und, ja, Maaßen verbreitet vielleicht keine direkt antisemitischen Inhalte, wie es Luisa Neubauer meinte. Aber natürlich spielt er mit einschlägigen Codes wie dem der 'Globalisten' und dem des 'Great Reset'. Auch sein Verweis auf die 'einige tausend Familien' ist kaum anders zu lesen."

In der Welt sieht Ulf Poschardt dagegen in dem Antisemitismusvorwurf von Luisa Neubauer vor allem eins: exzellentes Marketing. Dass sie damit durchkommt, versteht er trotzdem nicht: "Anders als die sich gegen jeden Antisemitismus klar abgrenzende Union ist Fridays for Future - wie gerade zu studieren - ein offen antisemitischer Laden. Die hofierte Vordenkerin der Bewegung ist die Demagogin Naomi Klein, die ihren antisemitischen BDS-Quark in die Klima-Soße einrührt. Naiv trötet Greta Thunberg mit. Die Distanzierungen der deutschen FFF-Sektion vom Antisemitismus ihrer Mutterorganisation ist bestenfalls gut gemeint. Sie ist keineswegs ausreichend, wenn deutlich wird, dass die gesamte Bewegung gekippt ist." Mehr zu den Israel-Äußerungen von Fridays for Future hier.

hpd.de meldet unterdessen, dass die Rechtsanwältin Seyran Ates mit Unterstützung des "Instituts für Weltanschauungsrecht" Klage gegen den Bundesrechnungshof erhoben hat, der zwar untersucht hat, in welchem Ausmaß das Auswärtige Amt Muslimbrüder-Organisationen wie "Islamic Relief" unterstützt hat - diese Untersuchungen aber nicht veröffentlicht. Der Verdacht ist, dass die hier als Wohltätigkeitsverein auftretende Organisation "Islamic Relief" auch die Hamas, einen Ableger der Muslimbrüder unterstützte.
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Ideen

Die eigentliche Gewalt in der Gesellschaft geht von "rechts" aus, und sie lässt sich ausschließlich mit einem "antifaschistischen gesellschaftlichen Konsens" bekämpfen, behauptet der Publizist Max Czollek in der WOZ. Die Idee der bürgerlichen Mitte, die Gefährdungen aus mehreren Richtungen abwehren müsse, hält er für Nonsens: "Bürgerliche Mitte bedeutet auch heute meistens eine Legitimierung rechter Diskurse, die als Meinung einer vermeintlich schweigenden Mehrheit beworben wird. Nicht wahr, NZZ Deutschland? Auch 1933 ging der Widerstand gegen die Nazis nicht von bürgerlichen Kräften, sondern von Kommunistinnen, Sozialisten, Jüdinnen und Juden und einigen versprengten christlichen Gruppen aus. Nein, die bürgerliche Mitte hat und hätte den Nationalsozialismus nicht verhindert." Mehr zur Problematik des Antifaschismusbegriffs hier.
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Stichwörter: Czollek, Max

Medien

Britische Intellektuelle, darunter Hilary Mantel und Salman Rushdie, solidarisieren sich in einem offenen Brief mit der BBC und wenden sich vor allem dagegen, dass die Johnson-Regierung die Zukunft der Anstalt in Hinterzimmern verhandelt. (mehr dazu über diesen Tweet in der Financial Times). In dem Brief heißt es: "Wir sind besorgt darüber, dass die Regierung von einem Gremium beraten wird, das nicht nach den offiziellen Richtlinien eingerichtet wurde und das im Geheimen tagt, ohne dass seine Tagesordnung, Diskussionen oder Empfehlungen öffentlich bekannt gemacht werden. Wir sind da anderer Meinung. Wir glauben, dass dies - in einer Ära der Fehlinformationen und der Politisierung von Nachrichten und Meinungen - der Moment ist , um unsere großen britischen öffentlich-rechtlichen Sender auszubauen, anstatt sie zu schwächen."

Alan Rusbridger, der einst den Guardian zum renommiertesten aller Online-Medien machte, hat in den letzten Jahren in Oxford gelehrt und äußert sich im Gespräch mit Harry Lambert vom New Stateman besorgt über die Mentalität der "Safe Spaces", der er dort begegnete. "Dieselben Spannungen sind beim Guardian seit Rusbridgers Abgang im Jahr 2015 aufgebrochen. Letztes Jahr trat Suzanne Moore, eine der Kolumnistinnen der Zeitung, zurück, nachdem 338 ihrer Kollegen von Katharine Viner, Rusbridgers Nachfolgerin als Chefredakteurin, verlangten, Moores Ansichten zu Trans-Themen nicht mehr zu veröffentlichen. Moore sagte, sie habe unzureichende Rückendeckung von den leitenden Redakteuren erhalten. 'Ich persönlich bin mit dem Brief nicht einverstanden', sagt Rusbridger, aber er hat Verständnis für Viners Position. Eine Zeitung herauszubringen sei 'heute so viel schwieriger, weil die junge Generation nicht in der klassischen Idee von Meinungsfreiheit verwurzelt ist.'"
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Europa

Andrei Sacharow wäre heute hundert Jahre alt geworden. Gedenkfeiern werden nach Kräften schikaniert, berichtet Kerstin Holm, die heute in der FAZ an den Menschenrechtler erinnert. Sacharow war Symbolfigur einer möglichen Demokratisierung Russlands. Holms Bilanz fällt traurig aus: "Leider hat das System Putin mit seinem Mix aus Einschüchterung, Gewaltverherrlichung und antiaufklärerischem Ressentiment in der russischen Gesellschaft tiefere Wurzeln geschlagen als Sacharows Erbe."
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Stichwörter: Sacharow, Andrei

Gesellschaft

Der für die taz kommentierende Historiker Uffa Jensen erkennt in den Statistiken zu antisemitischen Straftaten so gut wie keine Hinweise darauf, dass Antisemitismus von Tätern mit Migrationshintergrund ausgeht (die Statistiken werden allerdings auch anders interpretiert, unser Resümee). Von "eingewandertem Antisemitismus" könne man ohnehin nicht sprechen, meint der Mitunterzeichner der "Jerusalemer Erklärung", die Israelboykott "nicht per se" antisemitisch findet: "Wo will man denn jene palästinensisch- und türkischstämmigen Jugendlichen einordnen, die sich etwa vor der Synagoge in Gelsenkirchen versammelten? Offenkundig waren sie Mitglieder der zweiten oder dritten Generation von hier lebenden Menschen, die in Deutschland zur Schule gegangen sind und hier eine Berufsausbildung gemacht haben. Damit ist klar: Was hier schiefgelaufen ist, ist in Deutschland schiefgegangen und muss auch hier behoben werden."

Dass antiisraelisch eben doch oft antisemitisch ist, müsste in den letzten Tagen jedem deutlich geworden sein, meint der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn in der SZ: "Während manche Kulturschaffende in den letzten Monaten noch meinten, man könne den antiisraelischen Antisemitismus schönreden und verharmlosen, zeigen die letzten Tage unmissverständlich: Die antiisraelischen Bewegungen sind verbunden durch ein antisemitisches Weltbild. Und: Der antisemitische Hass auf Israel ist integral verbunden mit dem Hass auf Jüdinnen und Juden weltweit."

Er würde durchaus für die Palästinenser auf die Straße gehen, meint der Soziologe Keith Kahn-Harris im Guardian anlässlich einer Demo in London, bei der unter anderem dazu aufgerufen worden war, jüdische Frauen zu vergewaltigen. Aber er möchte dabei nicht neben antisemitische Parolen brüllenden Extremisten von links und rechts stehen, die einfach ihrem Hass freien Lauf lassen: "Alles, was wir mit Sicherheit über die Demo sagen können, ist, dass Empörung sie zusammenhielt, ohne irgendeine Art von Einstimmigkeit darüber, was die Vision für Palästina (oder Israel) sein sollte. Die Gefahr, die von der Vielfalt dieses und anderer Märsche für Palästina ausgeht, ist, dass diejenigen, die daran teilnehmen, sich auch für alles andere, was sie tun, legitimiert sehen."
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