9punkt - Die Debattenrundschau

Nicht ohne innere Gewalt, leider

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.03.2023. "Die Islamische Republik muss endlich Geschichte werden", ruft wütend die Literaturwissenschaftlerin Nacim Ghanbari in der SZ. In Berlin erarbeiten einige Gruppen ein "dekoloniales Erinnerungskonzept". Eine richtige Idee haben sie noch nicht, überlegen aber schon mal, wen sie ausschließen werden, so die taz. In der FAZ erzählen Reinhard Bingener und Markus Wehner, wie sich die SPD immer enger an Russland band.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.03.2023 finden Sie hier

Kulturpolitik

In Berlin erarbeiten einige Gruppen von Experten ein "dekoloniales Erinnerungskonzept" für die Stadt. Aber außer dass sie zuständig sind, klingen ihre Konzepte laut Susanne Mermania in der taz überraschend vage: "Was ist ein Erinnerungskonzept zum Thema Kolonialismus? 'Es gibt keine Formel, die man fertig entwickelt. Aber wir können festlegen, was uns wichtig ist', sagte sie. Später ergänzte Fogha Mc Refem, der in der Arbeitsgruppe 4 zur Frage arbeitete, welche Erwartungen an das Berliner Erinnerungskonzept es in den ehemals deutschen Kolonien gibt: Vielleicht müssten wir versuchen, Erinnerung als eine 'Praxis wie einen Tanz' zu entwickeln. 'Erinnerung ist offen. Vielleicht brauchen wir keine Antwort, sondern Offenheit.'" Eines ist aber jetzt schon klar: "Wir kommen nicht umhin, jemanden auszuschließen, wir müssen selektiv sein, aber wie? Das wird eine heiße Diskussion werden."
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Geschichte

Die Hohenzollern verzichten endlich auf einen Teil ihrer angeblichen Ansprüche. Aber wie demokratisch ist der Adel in Deutschland, fragt der Historiker Steffen Greiner in der taz. Anders als in Österreich wurde der Adel hierzulande nicht abgeschafft: Und "demokratisch lässt sich besonders gut sein, wenn man sich sicher auf der Gewinnerseite wähnen kann. Wie die vielen adligen Familien, die noch immer auf den Reichenlisten auftauchen - oder scheinbar erblich in Führungspositionen in Unternehmen, Kultur, Medien. Oder wie einst der CSU-Politiker und Ex-Kronprinz Otto von Habsburg, der mit gleich vier Staatsangehörigkeiten eine Partei vertrat, die rassistisch Stimmung gegen die doppelte machte. Man bleibt dann eben doch ein bisschen edler."
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Ideen

"Das Bauen ist so umweltrelevant wie nichts sonst", erklärt die Bauingenieurin Lamia Messari-Becker in der SZ. Wenn die Energiewende gelingt, dann vor allem hier. Aber Bauen ist eben auch komplex, daher brauchen wir eine gesamtheitliche Herangehensweise, fordert sie. Einfach nur Wärmepumpen zu verbauen, sei Unsinn, zumal es gar nicht genug gebe: "Es braucht Optionen: Für die einen ist es die Wärmepumpe, für andere Fernwärme, kommunale Wärmepläne oder Quartierslösungen, andere fahren gut mit Biomasse, wasserstofffähigen Heizungen oder autarken Lösungen. Notwendig ist die Parallelität der Initiativen: Gebäudeenergiegesetz und kommunale Wärmepläne und Geothermie/Bioenergie-Initiative und Quartiersförderung. In aller Deutlichkeit: Das Zulassen von Optionen im Gebäudesektor ist nicht nur ein Gebot ökologischer Notwendigkeit und ökonomischer Vernunft, sondern auch ein Gebot sozialer Verantwortung. Klimaschutz ohne gesellschaftliche Absicherung des Erfolgs aller Klimaschutzanstrengungen ist zum Scheitern verurteilt."
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Europa

"Die Islamische Republik muss endlich Geschichte werden", ruft wütend die Literaturwissenschaftlerin Nacim Ghanbari in der SZ. Und die EU sollte endlich ihren Teil dazu beitragen, statt am Nuklear-Deal mit dem Iran festzuhalten und darauf zu verzichten, die Islamische Revolutionsgarde als Terrororganisation zu listen: "Niemand wird mehr sagen können, nichts gewusst zu haben. Angesichts der Brutalität des Regimes und der entfesselten Gewalt - Verschleppung und Tötung von Kindern, öffentliche Hinrichtungen, Schüsse auf Friedhöfen, sogar Leichenschändung - lässt sich die Appeasement-Politik der EU und der deutschen Bundesregierung gegenüber der Weltöffentlichkeit immer schwerer legitimieren. Zeitgleich mit den jüngsten Demonstrationen in Iran tagte in Wien in dieser Woche das Board of Governors der Atomenergiebehörde und stellte in seinem Abschlussstatement fest, dass die EU auch weiterhin am Nuklear-Deal mit der Islamischen Republik (JCPoA - Joint Comprehensive Plan of Action) festhalten will. Europas Verrat an den für ihre Grundrechte kämpfenden Menschen in Iran ist damit schwarz auf weiß nachzulesen."

Die FAZ-Redakteure Reinhard Bingener und Markus Wehner legen in diesen Tagen das stark erwartete Buch "Die Moskau-Connection - Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit" vor, in dem sie en détail die über Jahre intensivierte Verstrickung der SPD mit russischen Interessen beleuchten. Ebenso heftig wie die Liebe zu Russland war der Hass der SPD auf Befreiungsbestrebungen in Osteuropa, schon in den Achtzigern: "Egon Bahr wirft der Gewerkschaft Solidarność vor, den Frieden in Europa aufs Spiel zu setzen. Durch eine Destabilisierung Polens werde das Gleichgewicht der Militärblöcke von NATO und Warschauer Pakt gefährdet, befindet der Architekt der Ostpolitik. Als im Herbst 1981 die Solidarność durch Streiks das Machtmonopol der Kommunisten infrage stellt, wird Bahr gefragt, ob die Sowjetunion das Recht habe, in Polen einzuschreiten. 'Aber selbstverständlich', antwortet er. Und Herbert Wehner, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, fordert schon im August 1981 gegenüber einem Vertrauten von SED-Chef Erich Honecker, man müsse 'entschlossene Maßnahmen gegen Polen' einleiten, 'je eher, desto besser'. Es gehe 'nicht ohne innere Gewalt, leider', so Wehner."

In Venedig lagen im Januar und Februar die Gondeln auf Grund. Kein Wasser in den Kanälen. Das passiert immer wieder, aber Geld, dass der Stadt zur Sanierung bewilligt wird, wird immer wieder zweckentfremdet werden, solange Venedig mit dem Festland zwangsvereint bleibt, erklärt Petra Reski auf Zeit online: "Niedrigwasser gibt es immer wieder in der Lagune, speziell im Januar oder Februar: Im Jahr 2008 war das Niedrigwasser mit minus 80 Zentimetern noch tiefer als das letzte. Allerdings dauerte die jetzige Periode ungewöhnlich lange und brachte die zerfallenen Fundamente der Palazzi und verlandeten Kanäle zum Vorschein. Die Stadt hätte das zum Anlass nehmen können, Fundamente zu renovieren, Kanäle auszubaggern oder gar verseuchte Böden zu sanieren. Dafür stellt ein Spezialgesetz zum Erhalt Venedigs Geld zur Verfügung, EU-Fördermittel gibt es außerdem. Doch stattdessen beschloss der Stadtrat unter dem Bürgermeister Luigi Brugnaro, der gleichzeitig Unternehmer ist, mit diesen Geldern ein Sportstadion auf dem Festland zu bauen - für 107 Millionen Euro."
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Politik

China hat ein "Friedenspapier" zum Krieg gegen die Ukraine vorgelegt. Es ist auch deshalb so kraftlos, weil das Land nicht von den Widersprüchen ablenken kannen, in denen es sich verheddert, schreiben die Sinologen Kristin Shi-Kupfer und Shi Ming in der FAZ. "Peking weiß: Mit dem gefährlichen Versager im Kreml darf man nicht so weit gehen, dass knapp werdende Ressourcen in ein weltpolitisches Wagnis fließen, etwa durch mehr Waffen für die Russen und weniger Konsumunterstützung für die eigene Bevölkerung. Die Sanktionen der USA und Europas gegen Russland treffen indirekt auch China. Dessen Regierung plädiert vehement für deren Ende, so wie sie die internationalen Lieferketten schützen will. Es hängen zu viele Arbeitsplätze und Geschäfte in China davon ab."
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