Der
7. Oktober geschah vor einem halben Jahr. Überall finden sich Reflexionen über Israel und die Reaktionen der Welt, leider selten optimistische. Den eindrücklichsten Essay
publiziert vielleicht der britische Autor
Howard Jacobson in
Unherd: "Ist dies das Ende Israels?" Angesichts der bizarren Verdrehung der Diskurse, in denen nun fast ausschließlich Israel in der Kritik steht, das jedes Maß verloren habe, wie etwa Mathieu von Rohr im
Spiegel schreibt, während die Pogrome der Hamas in einem
Nebel der Unbenanntheit oder indirekten Rechtfertigung verschwinden, konstatiert Jacobson vor allem Folgendes: "In dem langen schlaflosen Tag und der Nacht nach dem Massaker, in denen Juden verschiedener Nationalitäten und politischer Überzeugungen, orthodoxe und unorthodoxe, versuchten, sich einen Reim auf das Geschehene zu machen, dämmerte die schreckliche Erkenntnis, dass '
Nie wieder'
gar nichts bedeutet. Es würde
niemals ein '
Nie wieder' geben. Diejenigen, von denen wir annahmen, dass sie
unsere Verbündeten sein würden - die Informierten, die Fortschrittlichen, die Liberalen - waren nicht fortschrittlich, wenn es um uns ging."
Für
Guardian-Autor Jonathan Friedland
ist Israel durch seine Reaktion zum "
Paria-Staat" geworden. Auch für die Hamas sei zwar nicht alles nach Plan gelaufen, aber am Ende stehe sie vor der Welt als moralischer Sieger da. Der Tod von sieben
Mitgliedern einer Hilfsorganisation habe die Geduld enden lassen. Selbst Amerika drohte mit Aussetzen der Waffenlieferungen. "Die Drohung ist nicht leer: Andere westliche Verbündete haben bereits die Waffenlieferungen eingestellt oder erwägen dies. Diese Regierungen reagieren damit auf eine weltweite Stimmung, die sie nicht länger ignorieren können. Denn es sind
nicht die ewigen Kritiker Israels, die das Land anprangern, sondern Israels Freunde."
Jakob Hessing beschreibt in der
FAZ den Zweispalt des Machtfanatikers (der sonst an nichts glaube)
Benjamin Netanjahu im Angesicht des Hamas-Führers
Yahya Sinwar. "Netanjahu muss sich entscheiden: Will er Sinwar wirklich vernichten, dann werden auch alle Geiseln sterben; will er hingegen die Geiseln befreien, dann muss er den Krieg beenden und Sinwar das Feld überlassen.
Beides zugleich ist nicht zu haben."
Bernard-Henri Lévy hat gerade ein
Buch über "Israels Einsamkeit" publiziert. Auf die Frage eines Interviewers in
Midi Libre (
hier verlinkt), ob die Reaktion Israels auf die Pogrome nicht maßlos sei, antwortet er: "Maßlos ist vor allem
seine Einsamkeit. Denn ich wiederhole es: Als es in
Afghanistan darum ging, die Kommando-Strukturen von Al Qaida zu zerbrechen, gab es eine starke internationale Allianz. Um in
Mossul den Islamischen Staat zu besiegen, kämpfte eine Menge Verbündeter an der Seite des Iraks. Nun sind wir in
Etappe 2 angelangt. Wir haben es mit einer Hamas zu tun, die sich selbst auf einen regelrechten Kern von Verbündeten stützt (Iran, Katar, Türkei, Russland, vielleicht China) und darum
noch furchterregender ist als Al Qaida oder der Islamische Staat. Und paradoxerweise ist da nun niemand mehr.
Null Koalition. Israel ist allein."
In Deutschland herrscht die
übliche moralische Taubheit, was die Geiseln angeht, die der Journalist Joshua Schultheis in der
Jüdischen Allgemeinen thematisiert. Viele von ihnen haben die
deutsche Staatsangehörigeit: "Informationen über die Entführten werden nur tröpfchenweise preisgegeben. Dies verhindert, dass ein Gesamtbild der deutschen Betroffenheit vom 7. Oktober entsteht, und erschwert die Anteilnahme am Schicksal der Geiseln in der deutschen Öffentlichkeit. ... In den USA sind die 'Gaza Six', die sechs in Geiselhaft verbliebenen Amerikaner, medial präsent. In Deutschland gibt es für die eigenen 'Gaza Ten' - Oder sind es elf? Oder zwölf? -
keine vergleichbare Aufmerksamkeit. Dabei rührt ihre Geschichte an den Kern von Deutschlands Selbstverständnis. Viele Vorfahren der hier Genannten wurden von den Nazis entrechtet, ermordet oder aus ihrer Heimat vertrieben."
Aber vielleicht kommt Bewegung in die Sache: "Genau ein halbes Jahr nach dem 7. Oktober haben Israel und die Hamas
wieder Gespräche über einen Waffenstillstand aufgenommen. Israel hat Teile der Armee
aus Gaza abgezogen",
berichtet unter anderem Felix Wellisch in der
taz.