9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Religion

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9punkt - Die Debattenrundschau vom 02.02.2024 - Religion

Neueste Untersuchungen zuigen, dass es in der Evangelischen Kirche Deutschlands, die übrigens nur zögerlich kooperierte, auch nicht so viel weniger sexuellen Missbrauch gegeben hat als in der katholischen. Für den in der FAZ schreibenden Religionssoziologen Detlef Pollack durchaus ein überraschendes Ergebnis, "denn die Strukturen der beiden Kirchen sind grundverschieden. Die evangelische Kirche ist demokratisch verfasst. Fast alle Leitungsämter, von der Bischöfin bis zum Präses der Synoden, werden demokratisch gewählt, die Hierarchien sind flach, weithin herrscht ein kollegiales Verhältnis zwischen den Hauptamtlichen vor, man versteht sich als Gemeinschaft, seit 1972 haben Frauen Zugang zu allen geistlichen Ämtern. Das ist bekanntlich in der katholischen Kirche mit ihrer männlich dominierten klerikalen Machthierarchie anders. Die gängige Behauptung, der Missbrauch sei ein Ausdruck der klerikalen Machthierarchie in der katholischen Kirche, muss also überdacht werden."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 29.01.2024 - Religion

Die Gemeinschaft zwischen der Russisch-Orthodoxen Kirche in Moskau und der Christlich-Orthodoxen in Konstantinopel, die in der Hierarchie über Moskau steht, erklärte Moskau für aufgehoben, nachdem Konstantinopel der ukrainischen Kirche Eigenständigkeit gewährte, schreibt der Historiker Ekkehard Kraft in der NZZ. Zum härtesten Mittel, der Exkommunikation, wollen aber beide Kirchen nicht greifen. "Die nicht involvierten anderen orthodoxen Kirchen haben bisher jeden Positionsbezug in dem Konflikt vermieden. Selbst jene, die Moskau nahestehen, wie das Patriarchat von Antiochia (mit Sitz in Damaskus) und die serbische Kirche, (...). Deutlich geworden ist aber in jedem Fall, dass sich zwei Modelle für die orthodoxe Kirche gegenüberstehen: Moskaus antiwestlicher, rückwärtsgewandter Traditionalismus mit seiner Vorliebe für ein autoritäres System in engem Schulterschluss mit der Staatsmacht. Auf der anderen Seite das Ökumenische Patriarchat, fernab jeder politischen Macht, das der modernen westlichen Welt und der liberalen Demokratie nicht feindselig gegenübersteht und sich den wichtigen Fragen der Zeit nicht verschließt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 27.01.2024 - Religion

Im FR-Gespräch skizziert der Historiker Thomas Großbölting die spezifischen Phänomene, die den Missbrauch in der evangelischen Kirche von jenem in der katholischen Kirche unterscheiden: "Für die evangelische Kirche macht die Forum-Studie eine gewisse nonchalante Machtvergessenheit aus samt einer organisierten Verantwortungslosigkeit. Niemand weiß am Ende, wer wofür zuständig und verantwortlich ist. Das begünstigt Machtmissbrauch in hohem Maße. Ein zweites Spezifikum ist die Vorstellung einer evangelischen Geschwisterlichkeit, in der so etwas wie sexualisierte Gewalt denklogisch keinen Platz haben darf. Missbrauchsopfer stören da nur die schöne Harmonie."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 26.01.2024 - Religion

Reinhard Bingener hat sich für die FAZ über die Studie des Verbundes ForuM zu sexuellem Missbrauch in der evangelischen Kirche gebeugt. Die Zahlen sind weitaus niedriger als bei der katholischen Kirche, doch die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein, hält er fest: "Die Wissenschaftler des Verbundes ForuM, dem mehrere universitäre Forschungseinrichtungen angehören, sagten bei der Vorstellung ihrer Studie, dass sie nur die 'Spitze der Spitze des Eisbergs' identifiziert hätten. Sie beklagten sich über fehlende Zuarbeit der evangelischen Landeskirchen für die 3,6 Millionen Euro teure Studie, die von der EKD in Auftrag gegeben und aus Kirchenmitteln bezahlt wurde. Ihnen seien fast nur Disziplinarakten zur Verfügung gestellt worden, nicht wie zuvor vereinbart die Personalakten. ... Ein ForuM-Wissenschaftler sagte, hochgerechnet lägen die Zahlen der evangelischen Kirche vermutlich auf dem gleichen Niveau."

Der Betroffenenvertreter Detlev Zander kritisiert im Interview mit Spon nicht nur die schlechte Aktenlage, sondern fragt auch, wer die Angaben der Landeskirchen eigentlich kontrolliert hat. "Vertuschung wird in der Studie gar nicht thematisiert. Kein Verantwortlicher wird mit Namen genannt. Wer waren denn die Bischöfe zum Tatzeitpunkt? Stellt irgendwer sein Amt zur Verfügung? Es sind die Betroffenen, die gerade die Verantwortung übernehmen und im Beteiligungsforum versuchen, Reformen anzuschieben."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 21.12.2023 - Religion

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In einer Streitschrift fordert der Kirchenrechtler Thomas Schüller eine klare Trennung von Kirche und Staat, schreibt der Soziologe Armin Pfahl-Traughber auf hpd. "Ausgangspunkt der Betrachtungen in dem Buch sind die zahlreichen, von Finanz- bis Missbrauchsskandalen reichenden Vorkommnisse. Sie führten mit zu einer kontinuierlichen Austrittswelle wie einem massiven Vertrauensverlust. Daher fragt der Autor, ob zugunsten der Kirchen bestehende Sonderrechte noch zu rechtfertigen seien: 'Trotz des augenscheinlichen Bedeutungs- und Vertrauensverlustes der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland wird ihnen vom Staat … noch zu (zu) großer Spielraum bei der Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten eingeräumt, insbesondere was die Themenbereiche Arbeitsrecht und Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch angeht.'"
Stichwörter: Sexueller Missbrauch

9punkt - Die Debattenrundschau vom 20.12.2023 - Religion

Die vatikanische Erklärung zu Segnungen für homosexuelle Paare ist nicht mehr als eine "Mogelpackung", betont Christian Geyer in der FAZ, denn "im Modus der pastoralen Zuwendung, die jetzt Segnungen für homosexuelle Paare möglich macht, müssen sich die Gesegneten sagen lassen, dass ihre Sexualität eigentlich nicht geht. Darin liegt das Irrlichternde, das Wunschgetriebene der Schlagzeile 'Katholische Kirche erlaubt Segnung für homosexuelle Paare' als Echo auf die Veröffentlichung der vatikanischen Erklärung 'Fiducia supplicans' (Flehende Zuversicht). Ja, aber welche Segnung? Keine liturgische mit festem Ritual, sondern nur eine als spontane Geste der Volksfrömmigkeit, keine im Zusammenhang mit standesamtlichen Vorgängen, nichts an dieser Segnung soll auch nur in die Nähe einer etwa auch kirchlich so praktizierten 'Ehe für alle' führen. Bis in die Kleidervorschriften hinein - nichts anziehen, was an Hochzeit erinnern könnte! - werden die Umstände des erlaubten 'spontanen' Segens normiert, der freilich am allerbesten doch gar nicht stattfinden möge: 'Deshalb soll man die Segnung von Paaren, die sich in einer irregulären Situation befinden, weder fördern noch ein Ritual dafür vorsehen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.12.2023 - Religion

Der Theologe und Religionssoziologe Detlef Pollack bekennt im Gespräch mit Jan Feddersen von der taz, zwar selber nicht an Gott zu glauben. Dennoch artikuliert er eine Art Phantomschmerz: "Kirche geht in den Missbrauchsfällen nicht auf. In ihr kann man lernen, auf neue Weise, auf eine nicht alltägliche Weise auf das Leben zu schauen. Sie eröffnet Horizonte, gibt Trost und Hoffnung, vermittelt einen Weg, auch mit den Widrigkeiten des Lebens umgehen zu lernen, oder auch einfach einmal loszulassen. Die Kirchen tragen einen reichen Schatz an Lebensweisheiten und Lebenserfahrungen in sich. Sie sind mehr als Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt, die ich damit nicht kleinreden will."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 15.11.2023 - Religion

Alle zehn Jahre beauftragt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine große Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, erstmals wurden nicht nur Protestanten und Konfessionslose befragt, sondern auch Katholiken und Angehörige anderer Religionsgemeinschaften, berichtet in der FAZ Reinhard Bingener, der die Kirchen angesichts der Umfrage an einem "historischen Kipppunkt" sieht: "Die neue KMU teilt die Bevölkerung in vier große Religiositätstypen auf: 'Kirchlich-Religiöse' (13 Prozent), 'Religiös-Distanzierte' (25 Prozent), 'Alternative' (sechs Prozent) sowie 'Säkulare' (56 Prozent). Die Mehrheit der Deutschen hat also mit Religion nur mehr wenig am Hut. Auch mehr als ein Drittel der Kirchenmitglieder zählt zu der Gruppe der 'Säkularen'. Die mit Abstand größte Untergruppe der 'Säkularen' sind die 'Säkular-Geschlossenen', von denen viele ein streng naturalistisches, geradezu religionsfeindliches Weltbild vertreten. Es geht in dieser Gruppe nicht lediglich um einen Bedeutungsverlust des Religiösen im Sinne einer 'Transzendenzschrumpfung', bei der religiöse Fragen allmählich aus dem persönlichen Horizont entschwinden, sondern um einen jeglicher Religion entgegengesetzten Säkularismus, der normative Orientierung oft bei der 'Wissenschaft' finden möchte." "Findige Organisationsberater würden beiden Kirchen angesichts der Studienergebnisse womöglich raten, sich künftig konsequent als Sozialdienstleister zu verstehen und die defizitäre Konzernsparte Religion abzustoßen", kommentiert Bingener.

Jahrzehntelang hatte sich die deutsche evangelische Theologie auf das "Individualisierungsparadigma" zurückgezogen, schreibt der Soziologe Detlef Pollack in der FAZ: "Die soziale Bedeutung der Kirche nehme ab, aber die individuelle Religiosität sei gegenständlich unverfügbar und gehe daher in Kirchlichkeit nicht auf." Aber mit der aktuellen Studie habe auch diese "hochgemute Position" einen Dämpfer erhalten, so Pollack weiter: "Nicht nur das Vertrauen in die Kirchen ist auf einem Tiefpunkt gesunken. Nicht nur die Zahl der Kirchenaustritte erreicht nie dagewesene Höhen. Nicht nur der Gottesdienstbesuch ist so niedrig wie noch nie. Auch der Glaube an Gott hat sich dramatisch abgeschwächt. Waren es 1949 noch knapp 90 Prozent der westdeutschen Bevölkerung, die sich zum Glauben an Gott bekannten, so sind es heute nur noch die Hälfte und nur noch 20 Prozent (!), die an einen Gott glauben, wie ihn die Bibel verkündigt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 11.11.2023 - Religion

Der Publizist Eren Güvercin bleibt bei seiner scharfen Kritik an den deutschen Islamverbänden, die sich erst sehr spät, auf Druck und dann nur relativistisch zur Blutorgie der Hamas äußerten. "Die Verbände beherrschen eine doppelte Kommunikation", erläutert er im Gespräch mit Uli Kreikebaum von der FR, "das heißt: das, was sie Richtung Politik kommunizieren, kommunizieren sie nicht in ihre Gemeinden. Synagogen-Besuche helfen uns nicht weiter, wenn es keine klare Haltung gegen den muslimischen Antisemitismus und Israelhass gibt. Synagogen dürfen nicht zu Fototapeten für die PR muslimischer Verbandsfunktionäre degradiert werden."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 02.11.2023 - Religion

Auf den "Glauben und Zweifeln"-Seiten der Zeit erzählt Evelyn Finger unter anderem von Rabbi Ron Li-Paz, der vergangenen Sonntag am Rande der Messe im Petersdom bei den Kurienkanälen nachfragte, ob es möglich sei, mit dem Papst über die Angst der Juden zu sprechen: "Das ist der Moment, in dem mehrere Geistliche peinlich berührt die Stirn runzeln oder mitleidig lächeln. Einige wissen wohl: Papst Franziskus hat zwar im Beisein von Kardinalstaatssekretär Parolin mit Raphael Schutz, dem israelischen Botschafter beim Heiligen Stuhl, gesprochen, will aber von der langen Liste jüdischer Bittsteller vorerst niemanden mehr empfangen. Keine Angehörigen der Geiseln, keine Überlebenden des Massakers - obwohl die bei Italiens Präsident Mattarella waren. Warum nicht? Weil, heißt es vertraulichst aus der Kurie, dies im Krieg zwischen der Hamas und Israel als Parteinahme missverstanden würde. Es gibt aber Vatikandiplomaten, die finden das falsch. Auch das Schweigen eines Papstes werde politisch interpretiert. Auch Nichtstun könne Sünde sein. Ein Friedensgebet für die Kriegsopfer, wie vergangenen Freitag im Petersdom, genüge nicht."

Auch der ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hatte nach dem Massaker "beide Konfliktparteien" gebeten, "zur Deeskalation beizutragen" - eine moralische Bankrotterklärung in mehrfacher Hinsicht, schreiben in der FAZ die evangelischen Theologen Gabriele und Peter Scherle: "Was sind die Gründe? Im Blick auf den Staat Israel setzte sich im ÖRK seit den Sechzigerjahren eine Lesart durch, die davon ausgeht, der Staat sei Ausdruck eines Siedler-Kolonialismus und Vorposten des US-amerikanischen Imperialismus im Nahen Osten. Nach dieser Lesart sind Juden im Staat Israel in erster Linie Täter. Werden Juden zu Opfern, sind sie demnach selbst Schuld, weil es sich um Notwehr derer handelt, die sich gegen die koloniale Macht und den 'globalen Westen' zur Wehr setzen. In solch einer politisch unterkomplexen Deutung des Nahostkonfliktes wird übergangen oder übersehen, dass es sich bei der Hamas um eine reaktionär-islamistische Miliz handelt, die nicht nur die Vernichtung der Juden und des Staates Israel anstrebt, sondern auch die palästinensische Bevölkerung unter ein theokratisch-gewalttätiges Regime zwingt. Die dschihadistische Hamas vertritt nicht, sondern verrät die Interessen der Palästinenser."