9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Religion

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9punkt - Die Debattenrundschau vom 30.06.2023 - Religion

Wer sich gefragt hat, was aus Lamya Kaddor geworden ist: Sie ist jetzt religionspolitische Sprecherin der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. In einem Gastbeitrag der FAZ verteidigt sie die Ampelkoalition gegen die Behauptung der CDU, sie sei "religiös unmusikalisch" und schreibt gleich als erstes den denkwürdigen Satz: "Die Bundesregierung hat ein genuines Interesse daran, der Bedeutung von Religion durch eine achtsame, von religiöser Bildung geprägte Politik zu entsprechen." Nebenbei erfährt man in Kaddors Artikel, dass es neben der Antidiskriminierungsbeauftragten der Bundesregierung (Ferda Ataman), der Antirassismusbeauftragten der Bundesregierung (Reem Alabali-Radovan), dem Antisemitismusbeauftragten (Felix Klein), bald vielleicht auch der Beauftragten zur Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit (Saba-Nur Cheema?) nun mit Frank Schwabe auch noch einen Beauftragten für Religionsfreiheit gibt, übrigens eine Erfindung der CDU, wie Kaddor erläutert.

Außerdem: In ihrer FAZ-Multikulti-Kolumne erklärt das Powerpaar Saba-Nur Cheema und Meron Mendel heute außerdem noch, "wie Judentum und Islam mit dem Sterben umgehen".

9punkt - Die Debattenrundschau vom 29.06.2023 - Religion

522.000 Menschen sind im Jahr 2022 aus der Katholischen Kirche ausgetreten, melden die Zeitungen, ein absoluter Rekord. Die Zahlen seien zwar auch in der Evangelischen Kirche beträchtlich, dennoch hat sich die Entwicklung deutlich "entkoppelt", kommentiert Tobias Schrörs in der FAZ: "Der rasante Niedergang ist ein katholisches Problem und eine Folge des Umgangs mit der Missbrauchskrise. Die Diskussion um die Rolle des inzwischen verstorbenen Papstes Benedikt XVI. nach der Veröffentlichung des Münchener Missbrauchsgutachtens im Januar 2022 bildete den traurigen Auftakt eines weiteren Jahres der Enttäuschungen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 27.06.2023 - Religion

Der freiheitliche Staat dürfe zwar niemanden zwingen, ständig sein Gesicht zu zeigen, meint Reinhard Müller in der FAZ. Dennoch ist er einverstanden mit dem baden-württembergischen Verhüllungsverbot, das nun in einem ersten Fall greift: Die Schülerin eines beruflichen Gymnasiums in Rastatt hatte sich geweigert, ihren Niqab abzulegen und Toleranz eingefordert. Müller sieht hier vor allem einen provokanten Einzelfall, der aber auch eine Grundsatzfrage berührt: "Auch die Schule ist ein Raum, in dem nicht nur körperliche Anwesenheit gefordert ist, sondern soziale Interaktion. Hier setzt Austausch Offenheit voraus... Ziel ist nicht etwa ein Schulfrieden, in dem kein Platz für unterschiedliche Meinungen wäre und verschiedene Weltanschauungen nicht aufeinanderprallen sollen. Es geht um die Voraussetzungen für solche Debatten."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.06.2023 - Religion

Ralf Sotschek erzählt in der taz die Geschichte von "Baby John" einem von vielen toten Säuglingen, die in den achtziger Jahren in Irland gefunden wurden, getötet meist von Müttern, die in dem damals rigide katholischen Land ihre Schwangerschaft verborgen hatten. Bei "Baby John" sind die  möglichen Eltern nun durch Genanalysen gefunden wurden. Aber das düstere Erbe der drakonischen katholischen Sexualmoral ist nach wie vor präsent, schreibt Sotschek: "Irland hat zwar in kürzester Zeit den Sprung vom 19. ins 21. Jahrhundert geschafft und durch Volksentscheide Homosexualität entkriminalisiert, den Tatbestand der Blasphemie abgeschafft, gleichgeschlechtliche Ehen und Abtreibung legalisiert, aber die Sache ist noch nicht ausgestanden. Es laufen immer noch mehrere Untersuchungen, zum Beispiel zu den katholischen 'Mütter-und-Baby-Heimen', wo unverheiratete Frauen ihre Kinder zur Welt brachten, die ihnen sofort weggenommen und an US-Paare verkauft wurden. Eine andere Untersuchung beschäftigt sich mit dem Fund von Hunderten Kinderskeletten in einem Abwassertank eines katholischen Kinderheims. Und dann sind da auch die sogenannten Magdalenen-Mädchen, die für die Nonnen schuften mussten."

Eine der Kuriositäten der Bildung in Deutschland ist der konfessionelle Religionsunterricht, den die Kirchen 1949 im Grundgesetz durchsetzten. Nun gibt es zwar immer weniger Gläubige, aber immer noch dieses Angebot des Religionsunterrichts. Der Ethikprofessor Hartmut Kreß erklärt im Gespräch mit Ernst-Günther Krause bei hpd.de, warum ein Ethikunterricht für alle besser wäre. Eines der Argumente zeigt auf, wie weit der Einfluss der Kirchen und Religionsgemeinschaften bei den vom Staat bezahlten Lehrern reicht: "Auf der Basis von Artikel 7 des Grundgesetzes haben Kirchen und Religionsgesellschaften das Recht, Lehrkräfte mit der Erteilung von Religionsunterricht zu beauftragen; sie dürfen ihnen diese Lehrerlaubnis auch entziehen. Bis vor kurzem hat sich die katholische Kirche sogar in das Privatleben der Religionslehrkräfte eingemischt. In dieser Hinsicht wird auch von muslimischen Verbänden Hochproblematisches berichtet. Demgegenüber ist 'Ethik' ein unabhängiges Fach. Ethik-Lehrkräfte sind solchen außerschulischen Einflussnahmen nicht ausgesetzt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.06.2023 - Religion

Der gerade zu Ende gegangene Evangelische Kirchentag war nicht nur wegen der geringen öffentlichen Wahrnehmung für die Kirche ein Einschnitt, sondern vor allem, weil er sich vom alten Pazifismus der Friedensbewegung verabschiedete, meint Reinhard Bingener in der FAZ: "Die Vertreter der alten Friedensbewegungen aus West und Ost waren in Nürnberg zwar weiter präsent, erfuhren dort aber keine große Resonanz mehr. Die Solidarität mit der Ukraine überwog ihre Bedenken gegen Waffenlieferungen deutlich. Der Kirchentag hat sich damit in Nürnberg von seinem pazifistischen Sonder- und Sendungsbewusstsein verabschiedet." "Wir sind in der überwältigenden Mehrheit für das Recht auf Selbstverteidigung", hatte auch die Theologin Kerstin Söderblom schon am Samstag in der taz gesagt. In der taz kommentiert Jan Feddersen, dass der Respekt für die alten Kämpen aber dennoch weiter gepflegt wurde: "Kirchentag ist offenbar, wenn minoritär Gewordenes dennoch Rang behält."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.06.2023 - Religion

Es ist Kirchentag in Nürnberg. Die Creme des deutschen Pazifismus ist eher vergrätzt, wie sich im Ausbleiben des einstigen Kirchentagstars Margot Käßmann zeigt (unser Resümee). Dass die Macht der Kirchen bröckelt, zeigen die Teilnehmerzahlen, die laut dem Bericht Reinhard Bingeners im FAZ.Net "hinter denen früher Kirchentage zurückblieben. Die Veranstalter teilten am Mittwochmittag mit, dass sich bislang weniger als 60.000 Dauerteilnehmer angemeldet haben. Beim vergangenen Kirchentag vor der Pandemie 2019 in Dortmund waren es 80.000, zuvor oft mehr als 100.000." Interessant auch, wie Bingener, Ko-Autor des Buchs "Moskau-Connection", den eigenwilligen Beitrag Frank-Walter Steinmeiers zur eigenen Rolle in der Geschichte resümiert: "Steinmeier blickte auch auf die deutsche Russlandpolitik, die er selbst als Außenminister jahrelang selbst mitbestimmte. 'Ihr wisst, dass Generationen von Politikerinnen und Politikern auch hier in Deutschland für die Wahrung des Friedens in Europa gearbeitet haben', sagte Steinmeier. 'Viele haben alles Menschenmögliche versucht, um zu verhindern, dass Europa noch einmal zurückfällt in eine Zeit des Krieges, der Aggression, der Gewalt. Dann aber kam der 24. Februar 2022. Dieser Tag veränderte alles, markiert einen Epochenbruch. Wir müssen neu denken, wir müssen neu handeln.'"

Die Kirchen tun zwar viel Gutes, findet Jan Feddersen in der taz, aber sie haben angesichts ihres schwindenden Einflusses zu viele Privilegien: "Sie verfügen außerdem über faktisch übermächtige Positionen im sozialen Bereich, über Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, auch Schulen und Kitas. Sie werden finanziell aus den allgemeinen Steuermitteln gepampert. Sie bestimmen sogar das Leben von Nicht- oder Andersgläubigen - dass Geschäfte sonntags geschlossen haben oder dass an bestimmten Feiertagen nur 'gedeckte' Musik gespielt werden darf."

Der kirchenkritische Aktivist David Farago merkt in einem Bericht bei hpd.de an, dass der Kirchentag äußerst großzügig von der öffentlichen Hand mit finanziert wird. "In Nürnberg haben beide Kirchen zusammen nur noch einen Anteil von rund 42 Prozent an der Bevölkerung..." Trotz dieser eindeutigen Veränderung in der Gesellschaft werde der Kirchentag in Nürnberg "mit mindestens 10 Millionen Euro von der öffentlichen Hand gefördert", kritisiert Farago: "Im Einzelnen gibt das Land Bayern 5,5 Millionen Euro, der Bund 500.000 Euro und die Stadt Nürnberg drei Millionen Euro. Die Stadt fördert das religiöse Sommerfest laut Ratsbeschluss aber zusätzlich noch in Form von Sachleistungen und Gebührenbefreiungen im Wert von mindestens einer Million Euro. Von den Gesamtkosten in Höhe von 22 Millionen Euro trägt die öffentliche Hand daher 45,5 Prozent."

In der Welt erzählt der Germanist Karl-Heinz Göttert, dessen Buch "Massen in Bewegung. Über Menschenzüge" gerade erschienen ist, wie vor allem von protestantischer Seite immer wieder gegen die Fronleichnamsprozessionen vorgegangen wurde, etwa im protestantischen Berlin, das seit dem 19. Jahrhundert auch Katholiken anzog: "Um sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, griffen sie zu dem Mittel, das dazu am besten geeignet ist: zu einer Prozession. Es wurde die 'Spandauer Prozession', von Sympathisanten als 'Glanzstück des jungen Berliner Katholizismus' bezeichnet. (…) Die etwa 2500 Teilnehmer trugen Fahnen und sangen geistliche Lieder. Raufereien mit Protestanten waren programmiert und blieben nicht aus, auch wenn Vorkehrungen gegen Provokationen getroffen waren. So durften die Fahnen ausdrücklich nicht 'senkrecht' getragen werden, sondern 'über die Schulter gebogen'. Ob sich die Behörden daran störten, dass die Prozession jedes Jahr enorme Aufmerksamkeit erregte oder eine gewisse Mutierung zum Volksfest mit Beteiligung der Spandauer Schützen und einer fahrbaren Trinkhalle das religiöse Konzept auf Dauer aushöhlten: Mit dem Argument, das Ganze sei nur dazu da, um die Protestanten zu reizen, wurde die Spandauer Prozession 1874 eingestellt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 07.06.2023 - Religion

Im FR-Gespräch erzählt die Aktivistin Hibo Wardere, die in den Siebzigern in Somalia aufwuchs und deren Buch "Cut" über Genitalverstümmelungen bereits 2016 auf Englisch erschienen ist, wie sie im Alter von sechs Jahren zur Beschneidung gezwungen wurde, um "heiratsfähig" zu sein: "An diesem Morgen erfuhr ich, was Schneiden bedeutet und was man braucht, um eine schöne Frau oder allgemein eine Frau zu werden. Es war auch der Morgen, an dem ich das grausame, entsetzliche Abschlachten kennenlernte, so möchte ich es nennen. Plötzlich zwangen mich die Menschen, denen ich vertraute, mich nackt hinzusetzen und zogen meine Beine auseinander. Als würden meine Beine abgetrennt werden. Und dann die fremden Blicke auf meine Genitalien und die damit verbundene Verlegenheit und das Unbehagen, das ich empfand.Was sie dann taten, werde ich nie vergessen. Mit schmutzigen Rasiermessern rissen, schnitten und schnitten sie, was mir wie eine Ewigkeit vorkam. Ich erinnere mich, dass ich das Gefühl hatte, sie würden mir ein Stück nach dem anderen abnehmen, bis ich sterbe. Sie müssen sich vorstellen, dass all dies ohne Schmerzmittel oder irgendeine Form der Anästhesie geschah."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 05.06.2023 - Religion

Bald ist Deutscher Evangelische Kirchentag in Nürnberg. Reinhard Bingener erzählt in einem Hintergrundartikel für die FAS die Geschichte der Institution, die ihr heutiges Gesicht mit der Friedensbewegung in den Achtzigern bekam. Eine der Protagonistinnen dieser Strömungen, Margot Käßmann, deren Bibelstunden einst der zuverlässigste Publikumsmagnet der Kirchentage war, wird allerdings diesmal nicht kommen. Sie hat sogar angekündigt, sich komplett aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, wohl auch ein bisschen eingeschnappt nach Kritik, denn sie hatte den Aufruf von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht mit unterschrieben. Selbst in der evangelischen Kirche wird der einstige Pazifismus nicht mehr so gern gesehen, der lange zum positiven Selbstbild gehörte: "Zur Sehnsucht nach Frieden und der Solidarität mit den Unterdrückten in aller Welt gehörten allerdings blinde Flecken: Die westdeutsche Friedensbewegung war nicht nur von einem tief sitzenden Antiamerikanismus durchzogen, sondern auch von Geheimdiensten aus dem Osten unterwandert. Auch eine linkssektiererische Israelkritik machte sich damals breit. Beide Strömungen sind bis heute in Nischen der evangelischen Kirche präsent und personell eng miteinander verflochten. "

9punkt - Die Debattenrundschau vom 17.05.2023 - Religion

Blasphemie ist ein großes Thema: nicht nur in fernen Ländern, sondern auch in Europa. In Schweden gibt es gerade ein Diskussion darüber, ob das Verbrennen "heiliger" Bücher erlaubt sein soll. Für Daniela Wakonigg ist das auf hpd überhaupt keine Frage: "Für einen säkularen Staat müsste es eigentlich klar sein, dass kein Buch objektiv 'heilig' ist. Es gibt Bücher, die Menschen wichtig sind, den einen Koran, Bibel, Thora oder Bhagavadgita und den anderen Harry Potter, Goethes Faust oder Darwins 'Entstehung der Arten'. Das Verbrennen oder Zerstören jedes Buchs zu verbieten, das irgendjemandem wichtig ist oder wichtig sein könnte, dürfte deshalb weder praktikabel noch sinnvoll sein. Die Bevorzugung Religiöser gegenüber Nicht-Religiösen und damit ein Verbot nur für das Verbrennen oder Zerstören von Büchern, die Religiöse für 'heilig' halten, verbietet sich jedoch in einem säkularen Staat. In einem solchen muss also das Verbrennen auch sogenannter 'heiliger' Bücher erlaubt sein. Aber sollte man es deshalb auch tun? Nein. Jedenfalls nicht ohne triftigen Grund. Hier käme dann der Humanismus ins Spiel. Denn warum soll ich absichtlich Menschen verletzen, indem ich etwas beschädige, das ihnen wichtig ist - egal für wie unsinnig ich persönlich dieses Etwas halte?"
Stichwörter: Blasphemie, Faust

9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.05.2023 - Religion

Wenig Interesse haben die Medien bisher an der "Good News International Church" gezeigt. Der kenianische christliche Sektenführer Paul Nthenge Mackenzie hatte seine Gläubigen aufgefordert, sich zu Tode zu hungern, um Gott näher zu sein. Inzwischen wurden "mehr als 200 verhungerte Sektenmitglieder in Kenia exhumiert", meldete der Tagesspiegel am Samstag. "Angesichts der hohen Zahl der Toten sind die Kapazitäten in der Leichenhalle des örtlichen Krankenhauses längst erschöpft. Das kenianische Rote Kreuz hatte einen Kühlcontainer in die Region gebracht, in dem die Toten zunächst gelagert werden können." Laut Voice of Afcica hat sich nun der kenianische Präsident William Ruto  zum ersten Mal geäußert: "Ich übernehme als Präsident die Verantwortung dafür, dass dies nicht hätte passieren dürfen. Und sicherlich werden einige Leute, die für dieses Versagen der Regierung verantwortlich sind, Rechenschaft ablegen müssen." Aber mindestens ebenso wichtig war es ihm, den Kirchen ihre Autonomie zu garantieren: "Ich weiß, dass es Leute gibt, die nervös sind, weil sie fürchten, dass wir die Kirche regulieren. Und das ist richtig - wir sollten die Kirche nicht regulieren. Wir wollen von unseren religiösen Führern erfahren, wie wir uns auf einen Mechanismus einigen können, der sicherstellt, dass Kriminelle und Gauner die Religion nicht ausnutzen." Angehörige von Opfern kritisieren die kenianischen Behörden scharf, sie hätten zu spät eingegriffen. Einigen der Opfer sollen Organe entnommen worden sein, meldete unter anderem Spiegel online.

Stichwörter: Kenia, Sekten