Es ist
Kirchentag in Nürnberg. Die Creme des deutschen Pazifismus ist eher vergrätzt, wie sich im Ausbleiben des einstigen Kirchentagstars
Margot Käßmann zeigt (unser
Resümee). Dass die Macht der Kirchen bröckelt, zeigen die Teilnehmerzahlen, die
laut dem Bericht Reinhard Bingeners im
FAZ.Net "hinter denen früher Kirchentage zurückblieben. Die Veranstalter teilten am Mittwochmittag mit, dass sich bislang
weniger als 60.000 Dauerteilnehmer angemeldet haben. Beim vergangenen Kirchentag vor der Pandemie 2019 in Dortmund waren es 80.000, zuvor oft mehr als 100.000." Interessant auch, wie Bingener, Ko-Autor des Buchs
"Moskau-Connection", den eigenwilligen Beitrag
Frank-Walter Steinmeiers zur eigenen Rolle in der Geschichte resümiert: "Steinmeier blickte auch auf die
deutsche Russlandpolitik, die er selbst als Außenminister jahrelang selbst mitbestimmte. 'Ihr wisst, dass
Generationen von Politikerinnen und Politikern auch hier in Deutschland für die Wahrung des Friedens in Europa gearbeitet haben', sagte Steinmeier. 'Viele haben
alles Menschenmögliche versucht, um zu verhindern, dass Europa noch einmal zurückfällt in eine Zeit des Krieges, der Aggression, der Gewalt. Dann aber kam der 24. Februar 2022. Dieser Tag veränderte alles, markiert einen Epochenbruch. Wir müssen neu denken, wir müssen neu handeln.'"
Die Kirchen tun zwar viel Gutes,
findet Jan Feddersen in der
taz, aber sie haben angesichts ihres
schwindenden Einflusses zu viele Privilegien: "Sie verfügen außerdem über
faktisch übermächtige Positionen im sozialen Bereich, über Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, auch Schulen und Kitas. Sie werden finanziell aus den
allgemeinen Steuermitteln gepampert. Sie bestimmen sogar das Leben von Nicht- oder Andersgläubigen - dass Geschäfte sonntags geschlossen haben oder dass an bestimmten Feiertagen nur 'gedeckte' Musik gespielt werden darf."
Der kirchenkritische Aktivist David Farago merkt in einem
Bericht bei
hpd.de an, dass der Kirchentag äußerst großzügig von der
öffentlichen Hand mit finanziert wird. "In Nürnberg haben beide Kirchen zusammen nur noch einen Anteil von rund
42 Prozent an der Bevölkerung..." Trotz dieser eindeutigen Veränderung in der Gesellschaft werde der Kirchentag in Nürnberg "mit
mindestens 10 Millionen Euro von der öffentlichen Hand gefördert", kritisiert Farago: "Im Einzelnen gibt das Land Bayern 5,5 Millionen Euro, der Bund 500.000 Euro und die Stadt Nürnberg drei Millionen Euro. Die Stadt fördert das religiöse Sommerfest laut Ratsbeschluss aber zusätzlich noch in Form von
Sachleistungen und Gebührenbefreiungen im Wert von mindestens einer Million Euro. Von den Gesamtkosten in Höhe von 22 Millionen Euro trägt die öffentliche Hand daher
45,5 Prozent."
In der
Welt erzählt der Germanist
Karl-
Heinz Göttert, dessen Buch
"Massen in Bewegung. Über Menschenzüge" gerade erschienen ist, wie vor allem von protestantischer Seite immer wieder
gegen die Fronleichnamsprozessionen vorgegangen wurde, etwa im protestantischen Berlin, das seit dem 19. Jahrhundert auch Katholiken anzog: "Um sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, griffen sie zu dem Mittel, das dazu am besten geeignet ist: zu einer Prozession. Es wurde die '
Spandauer Prozession', von Sympathisanten als '
Glanzstück des jungen Berliner Katholizismus' bezeichnet. (…) Die etwa 2500 Teilnehmer trugen Fahnen und sangen geistliche Lieder. Raufereien mit Protestanten waren programmiert und blieben nicht aus, auch wenn Vorkehrungen gegen
Provokationen getroffen waren. So durften die Fahnen ausdrücklich nicht 'senkrecht' getragen werden, sondern 'über die Schulter gebogen'. Ob sich die Behörden daran störten, dass die Prozession jedes Jahr enorme Aufmerksamkeit erregte oder eine gewisse
Mutierung zum Volksfest mit Beteiligung der Spandauer Schützen und einer fahrbaren Trinkhalle das religiöse Konzept auf Dauer aushöhlten: Mit dem Argument, das Ganze sei nur dazu da, um die Protestanten zu reizen, wurde die Spandauer Prozession 1874 eingestellt."