9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Wissenschaft

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9punkt - Die Debattenrundschau vom 09.05.2023 - Wissenschaft

"Ich halte nichts davon, verschiedene Forschungsgebiete gegeneinander auszuspielen", sagt die Historikerin Susanne Heim, die einen der sechzehn Bände der Edition "Judenverfolgung 1933 bis 1945" herausgegeben hat, im Gespräch mit Harry Nutt (Berliner Zeitung) zur Debatte über die Singularität des Holocaust: "Die Beschäftigung mit den Kolonialverbrechen ist zweifellos wichtig, und es ist gar keine Frage, dass es in diesem Bereich großen Nachholbedarf gibt. Aber das macht die Auseinandersetzung mit dem Holocaust nicht überflüssig. Ich denke nicht, dass die Holocaustforschung die Erforschung der Kolonialverbrechen verdrängen oder nicht zulassen würde. Die Zulässigkeit des Vergleichens steht ja auch gar nicht zur Debatte. Es gibt bestimmte Merkmale des Holocaust, die sich in der Form bisher nicht wiederholt haben. Gewiss gibt es auch Merkmale in den Kolonialverbrechen, die sehr besonders sind und einer weitergehenden Erforschung bedürfen. Ich kann nicht erkennen, warum es für das Interesse, genaue Forschung zu betreiben, einer Hierarchisierung der historischen Gewaltphänomene bedürfen sollte."

In der FAZ blickt Helmut Mayer missmutig auf den Exzellenzcluster "Africa Multiple" an der Universität Bayreuth, der die Tagung des an der Frankfurter Universität angesiedelten "Forschungszentrums Globaler Islam", auf der Boris Palmer neulich sein Schlechtestes gab, zum Anlass nahm, gleich das ganze Zentrum zu diskreditieren: "Fehlgriffe nüchtern festzuhalten, auch und gerade dann, wenn politische Konsequenzen gefordert werden, genügt nicht mehr. Tief sitzender Rassismus muss es schon sein oder eben gleich 'weiße deutsche Nekropolitik'. ... Wir lesen das so, dass Bayreuth durchaus bereit ist, das Frankfurter Forschungszentrum zu übernehmen und politisch in die richtige Richtung zu lenken."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 25.04.2023 - Wissenschaft

In der Welt erinnert Michael Pilz an das Phänomen der "Kalten Fusion", eine künstliche Kernschmelze im Wasserglas bei Zimmertemperatur, vorgestellt im Frühjahr 1989 von den beiden Chemikern Stanley Pons und Martin Fleischmann. Heute wird wieder an dem Verfahren, Deuterium, also schweren Wasserstoff zu Helium zu verschmelzen und in den Atomen Energie zu gewinnen, geforscht, damals blieb es eine Utopie, erinnert Pilz: "Viele wohltemperierte kleine Sonnen auf Erden, friedliche Wasserstoffbömbchen für die Zukunft. Stanley Pons und Martin Fleischmann waren nur wenige Wochen die 'Kinder von Marie und Pierre Curie', das 'Osterwunder' ihrer Kalten Fusion war schon im Frühling 1989 keines mehr. Ihr größter Fehler lag nicht in ihrer Versuchsanordnung, sondern in ihrer Methode, sich der Menschheit als Erlöser vorzustellen. Kein Kollege wurde für eine externe Expertise eingeweiht."

Außerdem: In der taz stellt Johannes Drosdowski die Biochemikerin Rosalind Franklin vor, die eine wesentliche Rolle bei der Entdeckung der DNA spielte, aber vom Nobelkomitee und ihren Kollegen übergangen wurde.

9punkt - Die Debattenrundschau vom 19.04.2023 - Wissenschaft

Auch Provenienzforschung kann als kolonialistisch angesehen werden, informiert uns Hans Peter Hahn in der FAZ und nennt als Beispiel die Forschung des Berliner Ethnologischen Museums: "Während vor 120 Jahren Berlin als Zentrale für die Verwaltung der Kolonien zuständig war und mithin ein Netz entstand, das auf diesen Ort konzentriert war, ergibt sich das gleiche räumliche Muster heute aufs Neue in der Provenienzforschung. Von Berlin ausgehend werden in Togo, Kamerun, Namibia, Tansania und in vielen anderen ehemaligen Kolonien Nachforschungen angestellt, um herauszufinden, wie genau die Erwerbskontexte ausgesehen haben. Aus der Sicht der Experten sieht das dann so aus, dass von der 'Zentrale' Objektlisten - oft ergänzt um Bilder - versendet werden. Dazu ergeht die Aufforderung, den genauen Ort der Herkunft zu bestimmen und vor Ort nach Erinnerungen zum Erwerb zu fragen. Wissenschaftler in Togo und anderen Ländern werden zu Ausführenden von Arbeitsaufträgen. Sie erledigen eine Arbeit, die von Berliner Akademikern vordefiniert wurde."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 13.04.2023 - Wissenschaft

Die Corona-Maßnahmen gelten offiziell nicht mehr und auch der Expertenrat der Bundesregierung zur Corona-Pandemie wurde aufgelöst. Im Tagesspiegel zieht der Virologe Hendrik Streeck Bilanz: Der Expertenrat setzte ein "ein wichtiges Zeichen für Wissenschaft und Politik - nämlich den Dialog zwischen beiden zu stärken", schreibt er: "Aus der Erfahrung dieses Expertenrates gilt es für künftige Formate Lehren zu ziehen und Standards zu formulieren. An erster Stelle steht dabei die praktische Unabhängigkeit. Institutionelle Abhängigkeitsverhältnisse können in der Beratung wie Gift wirken - ebenso wie wissenschaftspolitisches Kalkül. Daher ist eine Besetzung außerhalb der gängigen Wissenschaftsinstitutionen nichts Falsches."

Weniger positiv fällt Katja Klapsas Bilanz in der Welt aus. Fünf Lehren gelte es aus der Pandemie zu ziehen, schreibt sie und fordert unter anderem ein unabhängiges Robert-Koch-Institut. "Schnell fiel auf, dass die Behörde selten eigene Akzente setzt und sich inhaltlich kaum von den Empfehlungen der Regierung unterscheidet. Das liegt unter anderem daran, dass das Institut dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt ist: Gefallen dem Minister die Äußerungen des RKI-Chefs nicht, kann er ihn theoretisch jederzeit entlassen. Schon vor zwei Jahren wurden daher Rufe laut, das Institut unabhängig zu strukturieren. 'Das RKI soll in seiner wissenschaftlichen Arbeit weisungsungebunden sein', schrieb sich die Ampel Ende 2021 in ihren Koalitionsvertrag. Doch seitdem ist nichts passiert, Minister Karl Lauterbach (SPD) hat keine Vorschläge vorgelegt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 06.04.2023 - Wissenschaft

Die Angst geht um an deutschen Universitäten, schreibt Ronen Steinke, der in der SZ den jüngsten Fall um eine in letzter Sekunde vom Präsidenten der Hamburger Universität, Hauke Heekeren, gestoppte Konferenz über Utopien beleuchtet. Gäste aus aller Welt sollten unter dem Motto "Wir wollen unsere Welt zurück" debattieren. Aber nun gilt Hausverbot, da auch "kurdische Aktivisten, die der Separatistenpartei PKK 'nahestehen', in Hamburg ein Mikrofon in die Hand bekommen könnten. 'Laut Information des Landesamtes für Verfassungsschutz' sei dies zu befürchten, sagte der Pressesprecher des Uni-Präsidenten. Das gehe nicht. Juristisch ist das Unsinn, denn: Natürlich geht das. Die Kurdenpartei PKK ist in Deutschland zwar verboten, weil sie bei ihrem Kampf um politische Autonomie gegenüber der Türkei immer wieder auch auf Terroranschläge setzt. Aber dieses Verbot ist inzwischen sehr umstritten, es gibt ernst zu nehmende Menschen, die eine Aufhebung des Verbots und einen politischen Dialog vorschlagen, zum Beispiel der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich - immerhin liefern die Deutschen mittlerweile sogar Waffen an die Kurden, wenn es gegen Islamisten und andere Menschenrechtsfeinde geht. Und wo, wenn nicht an einer Universität, sollte man über so eine Frage einmal kundig - und frei - diskutieren können?"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.03.2023 - Wissenschaft

Thomas Thiel vertieft sich für die FAZ in Band 69 der "Jahrbücher für Geschichte Osteuropas", der sich der Frage widmet, warum die Ukraine als eigene Nation so lange von hiesigen Historikern ignoriert wurde. "Erhellend ist hier der Beitrag von Martin Schulze Wessel. Er führt die Berührungsängste im Umgang mit der analytischen (nicht normativen) Kategorie der Nation auf einen Doppelstandard unter Historikern zurück. Es werde mit zweierlei Maß gemessen: Die Nation werde in erster Linie als von Mythen zusammengehaltener Zwangsapparat wahrgenommen, das Imperium dagegen für seine erstaunliche Langlebigkeit und multikulturelle Integrationskraft gelobt. Das mag mit den historischen Bedingungen dieser Geschichtsschreibung selbst zusammenhängen, dem Aufschwung der Europäischen Union und der Aufgabe, eine Vielzahl von Ethnien im Osten politisch zu integrieren. Es unterschlägt aber, wie Frithjof Benjamin Schenk anmerkt, die Gewaltseite des (Sowjet-)Imperiums. Und führt dazu, wie Schulze Wessel anmerkt, dass die nationale Einheit der Ukraine bis heute besonders kritisch beäugt werde."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.03.2023 - Wissenschaft

In der FAZ verteidigt Thomas Thiel einen Artikel des Migrationsforschers Stefan Luft, der, neben anderen Autoren des "Netzwerks Wissenschaftsfreiheit", in dem Band "Wissenschaftsfreiheit" die Einseitigkeit und ideologische Tendenzen der Migrationsforschung beklagt hatte. Dafür war das Netzwerk kürzlich im Tagesspiegel von den Kulturwissenschaftlern Simon Strick und Johanna Schaffer angegriffen worden: Es sei rechts. Zumindest was Luft angeht, findet Thiel diesen Vorwurf abwegig. "Die behauptete Einseitigkeit demonstriert Luft an den Publikationen und Projekten des Deutschen Zentrums für Integration und Migrationsforschung (Dezim), das 2017 gegründet wurde und vom Bundesfamilienministerium gefördert wird. Fast die Hälfte aller Projekte sei dem Jahresbericht 2020 zufolge dem Thema Rassismus gewidmet, kaum oder keine Forschung gebe es zu Islamismus oder der Bedeutung kultureller Prägungen für die Eingliederung. Beinahe alles werde unter die Perspektive eines ubiquitären Rassismus gestellt. So komme man zu der Schlussfolgerung, dass 'Rassismus für eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland eine allgegenwärtige Erfahrung' sei. ... Die zitierten Aussagen machen den von Luft geäußerten Vorwurf plausibel, die Wissenschaft produziere hier jene 'Narrative', die von der deutschen Politik parteiübergreifend erwartet würden - und erhalte im Gegenzug reiche Förderung."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 02.03.2023 - Wissenschaft

In der New York Times ordnet David Wallace-Wells ein, was die neueste Recherche-Arbeit des amerikanischen Energieministeriums bezüglich der Theorie bedeutet, das Corona-Virus könnte versehentlich aus einem Labor entkommen sein. Er legt klar, dass andere amerikanische Regierungsinstanzen diese "Lableak-Hypothese" eher nicht unterstützen und sieht sie selbst nicht als sehr wahrscheinlich an. Die Hauptfrage ist für ihn eher, ob und wie solche Erkenntnisse umgesetzt werden, um die Sicherheit von Laboren zu optimieren: "Wäre es nicht besser gewesen, selbst auf die kleinste Möglichkeit eines Lableaks hin mit der simplen Aussage zu reagieren, 'Lasst uns alles in unserer Macht stehende tun, dass sowas nicht wieder vorkommt'? Oder zumindest dafür zu sorgen, dass wir alles tun, um Überwachung und Regulation der Labore sicherzustellen, sodass wir beim nächsten Mal wirklich wissen, woran es lag?"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.02.2023 - Wissenschaft

Die FAZ bringt ein Pro & Contra ihrer Wissenschaftredakteure zur Atomenergie. Manfred Lindinger argumentiert dafür mit dem Klimaschutz: "Denn der CO2-Fußabdruck der Kernenergie ist laut einer Studie des Weltklimarats aus dem Jahr 2018 ähnlich hoch wie der der Windkraft, nämlich rund zwölf Gramm CO2-Äquivalent pro Kilowattstunde. Überzeugend ist auch die Effizienz: Aus einem Kilogramm spaltbares Uran-235 lassen sich rund acht Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen, während dieselbe Menge Steinkohle nur rund zweieinhalb Kilowattstunden Strom erbringt."

Joachim Müller-Jung hält dagegen: "Wer heute auf die Karte Atomkraft setzt, um die globale Klimakatastrophe einzudämmen, setzt nicht auf Fortschritt, Freiheit oder Markteffizienz, sondern plädiert für das genaue Gegenteil. Atomenergie ist rückwärtsgedacht, zentralistisch und ökonomisch ein Milliardengrab."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.01.2023 - Wissenschaft

Grundsätzlich sinnvoll findet Felix Schwarz in der FAZ auch den Vorschlag des Klimaforschers Hans-Joachim Schelnnhuber, ein individuelles CO2-Budget von verträglichen drei Tonnen pro Jahr einzuführen, sieht aber kaum Realisierungschancen: "Das Problem: Der CO2-Verbrauch eines Deutschen lag 2021 bei durchschnittlich etwa acht Tonnen pro Jahr. Und im Durchschnitt steigt der CO2-Abdruck mit dem Einkommen."