Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

März 2024

Wer Ohren hat, der höre!

28.03.2024. Die Kunstwelt trauert um den amerikanischen Bildhauer Richard Serra, der uns "peripatetische Wahrnehmung" lehrte, aber auch berüchtigt für seine Kampflust war, wie die SZ erinnert. Die Filmkritiker diskutieren über Jessica Hausners Film "Club Zero", der Kinder allzu satter Eltern ihre zwischenmenschliche Verstopftheit erbrechen lässt. In der SZ warnt Roberto Ciulli mit Antonin Artaud vor der kommenden Katastrophe eines neuen Faschismus, nicht nur in Italien. Die NZZ recherchiert weiter zum Israelhass im Architekturdepartement der ETH Zürich.

Von Klimax zu Klimax

27.03.2024. Russland leiht seinen Pavillon bei der diesjährigen Venedig-Biennale an Bolivien aus - es geht um den Tausch von Lithium gegen Kunst und außerdem um geopolitische Interessen, vermuten FAZ und SZ. Gefühlsexzess und Blutrausch bekommt die Zeit auf den Baden-Badener Opernfestspielen geboten. Aber auch die Oper Frankfurt hat laut FAZ Blut, Tränen und Erbrochenes auf dem Programm. Eine Literatursendung zum Küssen entdeckt die SZ im Programm des RBB. Die taz erfreut sich an einem Album Johnny Dowds, das nach Sonnenstrahlen im Staub klingt. 

Wellnessbereiche in der Schwerelosigkeit

26.03.2024. Große Trauer um Fritz Wepper: Als Harry Klein gehörte er zum bundesrepublikanischen Inventar, seufzt Zeit Online, und zählte doch zugleich zur Riege international vorweisbarer Schauspieler. Die Abschiedsvorstellung von Martin Kušej am Burgtheater hätte ein bisschen mehr Pepp haben können, meint die FAZ. Die NZZ kann sich in der neu eröffneten Villa Flora in Winterthur gar nicht satt sehen an Kunst und Architektur. Und die FR stellt fest: Ein Leben im Weltall ohne italienisches Design ist möglich, aber sinnlos.

Wunder der Behutsamkeit

25.03.2024. Die FAZ gerät in David Böschs monumentaler Inszenierung der Strauss-Oper die "Frau ohne Schatten" unter die Fittiche eines gigantischen weißen Falken. Von einem "Musiktraum" schwärmt die SZ. Die Leipziger Buchmesse ist zu Ende: Für die taz muss sich die neue Leiterin Astrid Böhmisch erst noch beweisen, die FAZ war konsterniert von nach Liebesromanen lechzenden BookTokern. Und die Welt kann in den Werken von Ignacio Zuloaga im Bucerius Forum ein "Spanien, spanischer als es je war" betrachten.

Kunterbunter Totentanz

23.03.2024. Im Standard verteidigt Milo Rau zwar Annie Ernaux, verurteilt den BDS aber scharf. Die NZZ ärgert sich, dass sie von Nicolas Stemann in Zürich mit Hilfe von Max Frisch zum nützlichen Idioten degradiert wird. Die FAZ entdeckt in Wien mit Broncia Koller-Pinell eine weitere zu Unrecht vergessene Avantgardistin der Kunstgeschichte. Die Berliner Clubszene hat ein massives Antisemitismusproblem, konstatiert die taz.

Entdeckerfreude statt Konvention

22.03.2024. Die Kritiker freuen sich, dass die Preise der Leipziger Buchmesse mit Barbi Markovic, Ki-Hyang Lee und Tom Holert an drei Überraschungskandidaten vergeben wurden. Die NZZ bestaunt gekrönte Vulven und Phalli mit langen Beinen in einer Zürcher Ausstellung zur Kunst des Mittelalters. Die nachtkritik freut sich, dass Fellinis nie verfilmtes Drehbuch "Die Reise des G. Mastorna" in Heidelberg auf die Bühne kommt. Zeit Online und Pitchfork geraten bei Waxahatchees neuem Album in Freudentaumel.

Keine guten Inhalte für eine Show

21.03.2024. Die Filmkritiker feiern Hirokazu Kore-Edas Film "Die Unschuld" über eine japanische Schule, der ihnen die schönsten vierzig Minuten des Kinojahres beschert. "Wird hier auf die Waage gelegt, was nicht wägbar ist", fragt die taz im Humboldt Forum, das derzeit Beutekunst der Napoleonischen Kriege, der Kolonialzeit und des Nationalsozialismus zeigt. Gefragt, weshalb er keinen Künstler aus Israel eingeladen hat, rät Adriano Pedrosa, Kurator der Kunstbiennale Venedig, der Welt, mal bei Wikipedia nachzuschauen, was der Globale Süden ist. Der SZ dröhnen die Ohren nach den Palästina-Slogans der Band Idles in Berlin.

Lügenwaschbär

20.03.2024. Forensic Architecture wehrt sich laut FR gegen Vorwürfe der Parteilichkeit in Sachen Gazakrieg. Sigrid Löffler fürchtet in Dlf Kultur, dass Pseudo-Rezensionen im Internet der Literaturkritik den Garaus machen. Die Jungle World stellt die räudigste Punk-Band der DDR vor. Die FAZ besucht eine Oper über den Shell-Prozess, in der die Bratschen alle Sünden der Welt auf sich nehmen. Die SZ sagt traurig Servus zum Modedesigner Dries Van Noten, der aufhören will.

Nicht die richtige Zeit zum Tanzen

19.03.2024. Der Tagesspiegel betrachtet im Georg Kolbe Museum Wandteppiche von Noa Eshkol, auf denen die israelische Künstlerin den Jom-Kippur-Krieg verarbeitet. Auch im Kunsthaus Minsk ist das Textile politisch: Die taz blickt auf Szenen staatlicher Repression in textilen Arbeiten der belarusischen Künstlerin Rufina Bazlova. Die Berliner Zeitung ärgert sich, dass Jonathan Glazers "The Zone of Interest" nur noch zum Ringen um Deutungshoheit dient. Im Tagesanzeiger kürt Daniel Kehlmann Kafka zum Dante seiner Zeit. FAZ und NZZ berichten von Israelhass in der New Yorker Kunst- und der Schweizer Architekturszene.

Zumutungen des Lebens

18.03.2024. Im Interview mit der taz erklärt die Komponistin Jessica Ekomane ihre Vorliebe für Grauzonen, die sie heute bei der "Maerzmusik" mit ihrer computerbasierten Kirchenglockenkomposition "Bonds" unter Beweis stellt. Die FAZ ist ein wenig schockiert von all den toten Männern in Felicitas Bruckers Frankfurter Inszenierung von Schillers "Don Carlos". In der Berliner Zeitung hofft der Schauspieler August Diehl auf Versöhnung mit Russland. Den Leuten geht das Schreiben und Veröffentlichen von Büchern viel zu leicht von der Hand, meint Michael Krüger in der SZ.

Im Bewusstsein dieser Widersprüche

16.03.2024. Die Welt bestaunt Benins neues Wahrzeichen seiner kulturellen Identität: eine 30 Meter hohe, ihre Feinde köpfende und Sklaven jagende Amazone. Die taz denkt über das Bearbeiten von Kinderbuch-Klassikern nach. In der FR diagnostiziert Leon Kahane einen "antisemitischen Klimawandel" in Deutschland, der sich bestens mit sozialistischen Utopien verträgt. Kein Schnoferl mehr bei Techno-Musik, die ist jetzt Kulturerbe, warnt der Standard.

Angst, Sehnsucht, Irrsinn, Erotik

15.03.2024. Die Musikkritiker trauern um Aribert Reimann, der alles einfing, was Menschen fühlen können, in einer Musik frei von Takt und Metrum. Die SZ blickt gnadenlos auf die Berliner Volksbühne, die zum Selbstbedienungsladen einiger Künstler verkommen sei. Die taz vermisst die Sprengkraft in Kim Gordons neuem Album. Feminismus im Kino war schon mal klüger als "Barbie", denkt sich der Guardian. Die Welt schwärmt vom Lamborghini Miura, dessen Schöpfer Marcello Gandini gerade gestorben ist.

Das Auge ist der Hammer

14.03.2024. Die Zeit lernt in Düsseldorf, was Hilma af Klint und Wassily Kandinsky verband: Rudolf Steiner und Atome. Ebenfalls in der Zeit sinnieren Jens Balzer und Diedrich Diederichsen über die Utopie in der Popmusik. Die Filmkritiker zählen rote Bälle in der Sahara mit Anton Corbijns Doku über Hipnosis. Der Standard folgt den Wiener Aktionisten in einem neuen Museum vom Tafelbild zum Machismus. "Wenn die Ukraine fällt, ist die Frage nur, wer als nächster dran ist", warnt Nino Haratischwili in der FR.

Ein verwirrtes Etwas

13.03.2024. Nicht Israels Politik, sondern Jonathan Glazers Dankesrede bei den Oscars instrumentalisiert den Holocaust, meint die Welt. Der Tagesspiegel betrachtet den braunen Wusch, den Roy Lichtenstein über ein Antlitz fahren lässt. Hans Eichel echauffiert sich in der FR über den Skandal, der um ein paar antisemitischen Kunstwerke auf der documenta 15 gemacht wurde. Die FAZ fühlt sich von einer Performance des New York City Ballett in den Sitz gedrückt. Kein Musikmarkt wächst schneller als der im subsaharischen Afrika, weiß die FAZ.

Das sprengt bei weitem unsere Vorstellungskraft

12.03.2024. Oscar-Nachlese zweiter Teil: FR und Filmdienst schöpfen Hoffnung auf mehr Originalität und Wagemut im Filmgeschäft. Im Perlentaucher klärt Thierry Chervel die Stars über den blutigen Hintergrund des Pins auf, den sie sich da so leichtfertig ans Revers hefteten. Die Theaterkritiker staunen, wie Tobias Kratzer mit Mieczyslaw Weinbergs Oper "Die Passagierin" Auschwitz in München ganz ohne die Darstellung von KZ, SS und Häftlingen auf die Bühne bringt. Monopol lernt in Wien ukrainischen Modernismus jenseits der russischen Avantgarde kennen. Und die NZZ träumt von Hochhäusern aus Holz.

Ein röchelndes und falsettierendes Wrack

11.03.2024. Die Oscars sind vergeben: Gleich sieben gingen an Christopher Nolans "Oppenheimer". Eine Rückkehr zu alten Oscar-Traditionen meinen SZ und Standard. Zeit online vergibt Noten für die schönsten und hässlichsten Roben des Abends. Die FAZ ist komplett hingerissen von Wolfgang Rihms "Hamletmaschine" in Kassel - vor allem dank des Dirigenten Francesco Angelico, der die phantastischen Sänger auf Händen trägt. Die SZ bewundert die immense Farbskala des Popproduzenten Jack Antonoff.

Im Rhythmus der Stufen

09.03.2024. Der Standard bewundert in der Albertina die Selbstironie Roy Lichtensteins. Die Berliner Zeitung spürt in Lada Nakonechnas Werken den Brandgeruch des Krieges. Die SZ schreibt zur Eröffnung des Nationalen Holocaust-Museums in Amsterdam. Außerdem feiert sie schon mal die morgige Oscar-Nacht als eine der letzten Bastionen des kulturellen Universalismus. In der FAZ blickt der ukrainische Schriftsteller Andrij Ljubka auf zwei Jahre Krieg in seiner Heimat. Die nachtkritik denkt über zeitgenössische Klassiker-Überschreibungen nach.

Das Geschlecht gibt keine Antwort

08.03.2024. Zum Weltfrauentag entdecken FAZ und FR die vergessene und verdrängte Kunst von Frauen wie Sofonisba Anguissola und Alice Bailly. Die Welt kniet nieder vor Florian David Fitz' Netflix-Vierteiler "Das Signal", während Zeit Online ihn überhaupt nicht versteht. Auch die großartige Isabelle Huppert kann die Pariser Inszenierung der Racine-Oper "Bérénice" nicht retten, seufzt die FAZ. Stefanie Sargnagel und Christiane Rösinger sprechen mit der FAZ über Iowa, Feminismus und das humoristische Potential von Tabus.

Menschliche Abgründe

07.03.2024. Die FAZ hört beim Auftakt der Lit.Cologne einen zornigen Michel Friedman, der fragt, weshalb die Deutschen nicht gegen Antisemitismus auf die Straße gehen. Der Tagesspiegel blickt fassungslos auf die Berliner Club-Szene, die Aufrufe unterschreibt, die das Hamas-Massaker als "natürliche Reaktion" bezeichnen. Monopol schießt mit Wim Delvoye in Genf auf Warhol, Cranach und Picasso. Für bedingungslose Kunstfreiheit setzen sich Sasha Marianna Salzmann im Tagesspiegel und Hans Eichel in der Zeit ein. Und der Perlentaucher setzt sich zu Michael Mann in einen geschmeidigen "Ferrari".

Unhineingezogen

06.03.2024. Die Feuilletons beglückwünschen Riken Yamamoto, den diesjährigen Pritzker-Preisträger. Der Architekt entwirft den Raum der Freiheit, so die SZ. Oliver Stone lässt sich für seine Diktatorenpropagandafilme üppig bezahlen, recherchiert unter anderem der Standard. Auch 20 Jahre nach seinem Tod hat die Literatur von Gabriel García Márquez noch die Macht von Wirbelstürmen, freut sich die FAZPhilipp Oswalt schimpft auf Zeit Online über den deutschen Rekonstruktionswahn. Einzige positive Ausnahme: die Frauenkirche. Die SZ bejubelt im Opernhaus Zürich die Streicherdunkelheiten und Bläservisionen einer Kafka-Adaption.

Teufelspakt auf Erden

05.03.2024. Die NZZ befürchtet in Jonathan Glazers Auschwitz-Film "The Zone of Interest" eine Trivialisierung des Bösen. Der Eurovision Song Contest bewertet politische Songtexte nach zweierlei Maß, schreibt sie außerdem: Bei Israel ist man überpenibel. Die FAZ begegnet in Düsseldorf den finstersten Gesellen der Kunstgeschichte. Die nmz ruft bei Elisabeth Stöpplers Inszenierung einer Bernhard Lang-Oper in Stuttgart begeistert: "Who the hell is Dora?"

Ikonische Frauenbilder im Goldrahmen

04.03.2024. In Russland gibt es nun eine Liste mit verbotenen Büchern, berichtet die FAZ. Wir präsentieren ein Video von Sharon Cunio, der Frau des von der Hamas entführten Schauspielers David Cunio. Nachtkritik kämpft mit Fanny Brunners Adaption von Jacinta Nandis "50 Ways to Leave Your Ehemann" in Paderborn für die Rechte von Müttern. Die taz lauscht, wenn Mariana Sadovska dem russischen Vernichtungswillen ukrainische Volkslieder entgegensetzt.

Imaginierter Sehnsuchtsort

02.03.2024. Die SZ arbeitet weiter den Berlinale-Eklat auf: selbst moderate Wortmeldungen, die "Frieden für Palästina und Israel" forderten, wurden aufs Übelste beschimpft. Die taz fragt sich, in wessen Herzen Gerhard Richters Birkenau-Zyklus, der nun in Auschwitz ausgestellt wird, wirken soll. Die FAZ sieht auf der "Kyiv Perenniale" die von Krieg gebeutelte Vergangenheit und Gegenwart der Ukraine. Die FAS steigt zu Roberto Saviano in den von Carabinieri geschützten Wagen, um über seinen neuen Roman zu sprechen. Die Feuilletons trauern um den Regisseur Paolo Taviani.

Im Notfall wirst du einfach krank

01.03.2024. Die Nominierungen für den Preis der Leipziger Buchmesse sorgen beim Tagesspiegel für Überraschung, Welt und FAZ freuen sich, letztere besonders über die Graphic Novel "Genossin Kuckuck." Die FAZ ist froh über klare Worte gegen einen Ausschluss Israels von der Biennale, auch wenn sie von einem rechten Minister kommen. Gegen ständige Verfügbarkeit und Planungsunsicherheiten im Theaterbetrieb wehrt sich die Bewegegung #StoppNVFlatrate, SZ und VAN berichten. Das Stück "Ulrike Maria Stuart" ist nach der Verhaftung Daniela Klettes  umso aktueller, findet Nachtkritik.