Außer Atem: Das Berlinale Blog

Berlinale 1. Tag

Von Ekkehard Knörer, Anja Seeliger
05.02.2004. Mit tadelloser Frisur wartet Nicole Kidman in Anthony Minghellas Bürgerkriegsfilm "Cold Mountain" darauf, dass der Geliebten aus dem Krieg in ihr Dorf zurückkehrt. Ein Traum aus den Neunzigern! Die Retrospective zeigt Sam Peckinpahs "The Wild Bunch", einen der blutigsten Western der Filmgeschichte.
Ein Traum aus den Neunzigern: Anthony Minghellas Bürgerkriegsfilm "Cold Mountain" (Wettbewerb)

Ein Traum von einem Film! Nach einer Liebesnacht auf einem Sack Stroh hat Nicole Kidmans Haar diesen goldenen Schimmer, wie ihn nur ein erstklassiger New Yorker Frisör zustande bringt. Nicht einmal ein paar dekorativ zerzauste Locken können ihn trüben. Im eng gegürteten alten Mantel ihres Vaters (Donald Sutherland in einer kurzen, aber milden Rolle) sieht sie aus wie ein Topmodel für die Vogue. Es war wirklich ganz unnötig, über ihren perfekten kleinen nackten Hintern noch einen Weichzeichner zu legen. Die Wirkung von Jude Laws wundervollen Augen ist unzerstörbar - kein schlammverschmiertes Gesicht, ja nicht mal dieser hässliche Bart, den er den größten Teil des Films über tragen muss, mildert ihren Glanz und ihre Ausdruckskraft. Vivien Leigh und Clark Gable sahen in "Vom Winde verweht" gebeutelter aus.

Anthony Minghellas Bürgerkriegsepos "Cold Mountain" (homepage), das heute abend offiziell die Berlinale eröffnet, ist wie diese Sandalenfilme aus Hollywood, in denen Sophia Loren mit perfektem sechziger Jahre Make-up - Lidstrich, rosa geschminkten Lippen, hochgetürmten Haaren - Marc Aurels Tochter spielt. Kidman und Law verkörpern mit ihren Figuren und Frisuren, den Kleidern und ihrer manierierten Art zu spielen perfekt den Stil der neunziger Jahre. Kidman kennt bestimmt fünfzehn verschiedenen Möglichkeiten, verlegen zu Boden zu blicken. Wir werden dieser Zeit und dem todschicken Stil, den die beiden verkörpern, noch nachtrauern. Aber jetzt, in diesem Augenblick, wartet man doch sehnlich auf eine Ablösung.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Die höhere Tochter Ada zieht mit ihrem kranken Vater aus Charleston in ein Kaff in den Bergen (die Luft ist auf dem Land einfach besser). Sie verliebt sich in Inman, der aber bald in den Krieg ziehen muss. Nach einer fürchterlichen Schlacht desertiert Inman und macht sich auf den langen Weg nach Hause, zu seiner Ada. Wir begleiten ihn dabei, immer unterbrochen von Szenen, die zeigen, wie die zarte Ada das harte Leben zu Hause meistert. Die Schweine - da kennt Minghella kein Pardon - sind übrigens immer die, die am lautesten für den Krieg trommeln, dann aber zu Hause bleiben, um sich zu bereichern.

Auch dies ist bezeichnend für die Neunziger: Den Krieg, das Schlachten, die Verletzungen verfilmt Minghella mit großer Kunst. Es gibt am Anfang einige großartige Szenen, die eine Schlacht zwischen Konföderierten und Nordstaatlern zeigen. Wenn die Stellung der Südstaatler in die Luft fliegt, hört man einen wahnsinnigen Knall, die nächsten Explosionen sind jedoch gedämpft, denn Inman, aus dessen Perspektive die Szene gezeigt wird, ist unter einer dicken Schlammdecke verschüttet. Eine Kampfszene zeigt ein irres Gewühl, unvorstellbar, dass jemand weiß, ob er gerade Freund oder Feind tötet. Da stehen sich plötzlich ein Indianer und ein Schwarzer gegen. Für einen Wimpernschlag lang zögern die beiden, bevor sie zustechen. Nur das Sterben selbst, im Lazarett oder auf einer Waldlichtung, geht ganz leicht und schnell, genau wie der Sex. Und das ist der Grund, warum ich auf eine Ablösung warte: Für das Sterben und die Liebe haben diese Hollywoodfilme mit ihrer neunziger Jahre Ästhetik keine Bilder.

Anja Seeliger

"Cold Mountain". Regie: Anthony Minghella. Mit Nicole Kidman, Jude Law, Renee Zellweger u.a., USA 2003, 155 Minuten (Wettbewerb)


Schlachtfest mit Happy End: Sam Peckinpahs "The Wild Bunch" (Retrospektive)

Die Retrospektive der Berlinale steht in diesem Jahr unter dem Motto "New Hollywood 1967 - 1976. Trouble in Wonderland". Das alte Hollywood mit seinen schicken Kostümfilmen, harmlosen Doris-Day-Komödien und bemühten Tennessee Williams-Verfilmungen befand sich Mitte der Sechziger in einer tiefen ökonomischen und kreativen Krise. Plötzlich tauchten Regisseure auf wie Sam Peckinpah, Martin Scorsese, Arthur Penn oder John Cassavetes, die das gesellschaftspolitische Geschehen in den USA widerspiegelten: Pop, Vietnamkrieg, Drogen, Rassismus. 66 Filme aus dieser Zeit sind in diesem Jahr in der Retrospektive zu sehen. Dazu gehört auch Sam Peckinpahs Western "The Wild Bunch". Er erzählt die Geschichte einer Bande von Desperados, die im fortschrittlichen Amerika des Jahres 1913 immer weiter nach Süden gedrängt wird, bis sie in Mexiko von ihrem Verfolger gestellt werden.

Ein Bild, mit Variationen, steht, längst berühmt, für diesen Film: Kinder haben sich um einen kleinen eingezäunten Bereich versammelt, in dem sie Skorpione gefangen halten und dem Ansturm von Ameisen aussetzen. Später werfen sie Stroh und Reisig darauf und zünden sie an, die Skorpione verbrennen. Sekunde um Sekunde hält die Kamera auf dieses Bild, dann zoomt sie auf die Kindergesichter, und hier zeigt sie das eigentliche Grauen: man sieht unbeschwertes Lachen, eine unschuldige, nicht einmal sadistische Freude am Töten.

Getötet wird viel in "The Wild Bunch", der Film beginnt und endet mit Schlachtfesten, die in die Filmgeschiche eingegangen sind. Am Anfang schießen sich die Männer um Pike ihren Weg frei, am Ende finden sie auch im grausigen Blutbad weder Freiheit noch Erlösung. Zwei Helden präsentiert der Film und zerlegt sie gnadenlos: Pike (William Holden), Anführer der Desperados, wie Thornton (Robert Ryan), sein ehemaliger Freund, der ihn jetzt jagt, nehmen sehr genau die strukturelle Position im Western ein, die einst die Helden ausmachte, sie sind kompromisslos, intelligent, mutig. Dennoch: beider Situation ist von Beginn an rettungslos moralisch korrumpiert, beide lassen, ohne mit der Wimper zu zucken, Unschuldige sterben. Vor allem: der Film schlägt sich auf die Seite weder des einen noch des anderen, verschweigt, ostentativ, demonstrativ, nicht die dunklen Seiten. Die erste Schießerei, nachdem Pike und seine Männer in die von Thornton aufgebaute Falle gelaufen sind, lässt bereits alle Fragen offen. Peckinpah schneidet nicht nur schnell, und er tut dies nicht um der schieren Überwältigung des Betrachters willen. Die Konfusion, die er inszeniert und auslöst, ist Schnitt und Zoom und Perspektivenwechsel gewordene Methode: man sieht, ohne jede Präferenz der Kamera, lachende Täter, sterbende Opfer, die Guten, die kaltblütig Unschuldige erschießen, die Bösen, die sich ihrer Haut erwehren, die durch und durch verkommene Hilfstruppe Thorntons, den jungen Sadisten auf Seiten Pikes, der seine Geiseln quält, den sehenden Auges zum Kanonenfutter zu machen dennoch nicht zu rechtfertigen ist. Diese Konfusion aller moralischen Maßstäbe ist der Ausgangspunkt. Der Rest des Films spielt das, im Aufgreifen und Verändern der Topoi des heroischen Westerns, durch.

Wenn Pike und sein Leutnant Dutch (Ernest Borgnine) und der weise alte Mann aus Angels Dorf, in einem der idyllischen Momente des Films darüber sinnieren, dass noch - und gerade - die moralisch Verkommenen sich danach sehnen, wieder unschuldig wie die Kinder zu werden, dann denunziert der Film zwar nicht diese Sehnsucht, hat aber unerbittlich klar gemacht, dass es diesen Stand der Unschuld nie gegeben hat. In den berauschten und berauschenden Idyllen, in denen Peckinpah den Film immer wieder zu scheinhafter Ruhe kommen lässt, träumt auch "The Wild Bunch" von dieser Unschuld, vergisst aber nie die Gewalt und die Brutalität, die Voraussetzung und Zukunft (und im Umgang mit den Frauen oftmals auch Gegenwart) des unvergesslichen Augenblicks sind und sein werden. Die emotionalste Szene des ganzen Films ist die des Abschieds der Männer aus Angels Dorf, ein Triumphzug von unwiederbringlicher Schönheit. Einer Schönheit aber, die immer schon vergiftet ist, einer Sehnsucht, die sich nicht verwirklichen lässt, einer Unschuld, die es nie gegeben hat.

Pike und Thornton sind, darauf insistiert der Film, in ihren Heldentaten nichts als Söldner. Diener unterschiedlicher, aber in vergleichbarer Weise nichtswürdiger Herren. Thorntons Auftraggeber verkörpert Recht, Gesetz, Fortschritt und kapitalistische Zukunft und nichts davon ist auch nur einen Pfifferling wert. Die Eisenbahn steht für all das - sie greift den Raum und macht ihn dem Krieg wie dem Wirtschaften untertan. Eine sinnlose, auch als seltsam wirkungslos inszenierte Geste Pikes ist es, den Zug rückwärts fahren zu lassen. Natürlich aber lässt sich das Rad nicht zurück drehen. Auf der anderen Seite Pikes Auftraggeber, Mapache, der Barbar im Uniformkostüm, gefährlich als schwer kontrollierbare Marionette einer grauen Eminenz aus Deutschland. Alle Fortschrittsidee wird hier gleich doppelt der Lächerlichkeit preisgegeben: das Auto fährt immer nur im Kreis, erweist sich dennoch als treffliches Folterwerkzeug, das Maschinengewehr wird zum Mittel der Vernichtung der eigenen Leute - und das ist dann schon die Utopie von "The Wild Bunch": die Toten können wenigstens keinen Schaden mehr anrichten.

Ans Ende stellt Peckinpah eine ambivalente Form von Auferstehung, oder eher: Limbo. Wir sehen Bilder der Helden, lachend, als spotteten sie dem Tod. Es ist das Lachen, mit dem sie ihren Zusammenhalt zu demonstrieren pflegten, in dem sie ihre rohen männerbündischen Scherze aufgehen ließen: während des ganzen Films war dieses Lachen die - immer auch abstoßende - Alternative zur Autoaggressivität der Gruppe. Ein Hohnlachen auf den befriedeten Umgang noch miteinander, nicht befreiend, nur notdürftig und für den Moment versöhnend. Andererseits: ein anderes Glück als dieses momentane, durch nichts gerechtfertigte, vergängliche und nicht wiederkehrende kennt der Film nicht. Also, doch, ein Happy End.

Ekkehard Knörer

"The Wild Bunch". Regie: Sam Peckinpah. Mit Ernest Borgnine, William Holden, Robert Ryan, Warren Oates u.a., USA 1968, 145 Minuten (Retrospektive)