Außer Atem: Das Berlinale Blog

Berlinale 3. Tag

Von Ekkehard Knörer, Christoph Mayerl, Anja Seeliger
11.02.2007. Saverio Costanzas Wettbewerbsfilm "In memoria di me" führt uns ins Kloster und auf eine falsche Spur. In Stefan Ruzowitzkys Wettbewerbsfilm "Die Fälscher" müssen KZ-Häftlinge für die Nazis Falschgeld herstellen. Hong Sang-soos "Woman on the Beach" ersetzt die falsche Obsession durch richtige Einbildung. Rodolphe Marconi zeigt einen Lagerfeld, der kein Problem hat mit Status, Privilegien und Glück. Ann-Kristin Reyels "Jagdhunde" zeigt Gespür für Talente und die Uckermark.Eine Liste aller besprochenen Filme finden Sie hier.
Schwarz und weiß und grau: Bille Augusts "Good Bye Bafana"

Apartheid bedeutet Trennung, in Südafrika also die Trennung von Schwarzen und Weißen. So hat es die weiße südafrikanische Regierung jahrzehntelang gehalten, so hält es auch dieser Film. Nur dass Schwarz hier gut und Weiß böse ist. Der Schwärzeste von allen ist Nelson Mandela, der groß ist und sanft und klug, im Gegensatz zu den brutalen weißen Polizisten, die Aktivisten des ANC erbarmungslos verfolgen und es leider nicht verhindern können, dass diese bei der Festnahme aus dem Fenster springen. Der einzige mit Potenzial für graue Zwischentöne ist der Gefängniswärter James Gregory - gespielt von Ralph Fiennes - der im Staatsgefängnis Robben Island für Mandela zuständig wird, weil er in als Kind mit "Kaffern" gespielt hat und deshalb Xhosa spricht. Anfangs unbedingt loyal zu seiner Regierung, ist Gregory tief beeindruckt von dem Oppositionsführer, den er bewachen soll, und beginnt bald, dessen Zukunftsvision von einem Südafrika mit gleichen Chancen für alle zu teilen.

Wir verfolgen die wachsende Freundschaft zwischen den beiden von 1968 bis 1990, als Mandela schließlich frei gelassen wird. Sie haben einiges gemeinsam: Beide verlieren einen Sohn, beide wollen Frieden, beide sind ans Gefängnis gebunden. Und sie mögen sich. Schön. Und jetzt? Da vermutlich jeder Zuschauer die Eckdaten der südafrikanischen Geschichte schon kennt, Mandela vom Regisseur von der ersten Sekunde an als Heiliger inszeniert wird und die Polizisten während des ganzen Films ihren Schlagstock nicht aus der Hand legen, bleibt nur die Entwicklung von James Gregory, auf die man gespannt sein könnte. Ist man aber nicht. Der Moment des Schwankens ist unmerklich kurz, kein Wunder, August will unbedingt eine Zeitspanne von 22 Jahren abdecken. Gregory denkt recht schnell in Grautönen, während Mandela immer mehr graue Haare bekommt, und währenddessen geht die Geschichte außerhalb der Gefängnismauern ihren Gang. Nur ist uns diese Geschichte schon bekannt. Und dass ein Weißer einen Schwarzen verehrt und seinen Kampf für Gleichberechtigung berechtigt findet, war vielleicht unerhört im Südafrika der siebziger und achtziger Jahre, für uns ist es das zum Glück schon seit längerem nicht mehr. Alles löst sich in Wohlgefallen auf, als ein etwas künstlich gealterter Nelson Mandela schließlich aus dem Gefängnistor marschiert. Wir wissen nun nicht mehr von ihm, vom ANC oder den inneren Kämpfen eines Gefängniswärters.

Christoph Mayerl

"Good Bye Bafana". Regie: Bille August. Mit Joseph Fiennes, Diane Kruger, Dennis Haysbert und anderen. Deutschland, Frankreich, Belgien, Großbritannien, Italien 2006, 117 Minuten (Wettbewerb)


Kyrieleis: Saverio Costanza: In memoria di me (Wettbewerb)


Ein Gesicht wie ein unbeschriebenes Blatt: Andrea (Christo Jivlov), in der Mitte einer Halbnahen, auftauchend aus, eintauchend in Schwarzblenden. Er hat in den Augen der Welt ein erfolgreiches Leben gelebt bisher, erfahren wir, aber er sucht nun ein Leben nicht für die Augen der Welt. Andrea ist Novize in einem Kloster. "In memoria di me" - man übersetzt den Titel wohl am besten als "Meiner eingedenk" - versetzt Andrea und uns vom ersten Bild an hinein in den Mikrokosmos aus Mönchen, Türen, Zellen, Blicken, Gängen, Licht und Dunkel, der dieses Kloster ist. Der Betrachter wird also eingeschlossen wie Andrea selbst in diesen Raum, den er sich erschließen muss, ertasten, erahnen. Dabei ist der Abschluss keineswegs komplett. Draußen fahren Schiffe vorbei, eines trägt den Namen "Carnival Liberty"- die Freiheit des Fleisches zieht hinterm Fenster vorüber. Es gibt also ein Draußen.

Das Drinnen aber inszeniert Regisseur Saverio Costanzo als den Ort einer Wendung aufs Innere und eines radikalen Bedeutungsgewinns alles Äußerlichen zugleich. Jede Geste, jede Bewegung, jedes Öffnen und Schließen von Türen, das Wispern der Brüder, das Ausweichen und Insistieren von Blicken werden in den Augen des Novizen zu Zeichen und Anzeichen. Was sie bedeuten und ob sie etwas bedeuten, ob sie sich auf ihn, den Neuling beziehen, oder Ausdruck sind von inneren Kämpfen oder gar geheimnisvollen Intrigen der Mönche, all das lässt "In memoria di me" kunstvoll in der Schwebe.

"Memoria die me" ist ein Film über die Unheimlichkeit eines Gehäuses, das doch, im Abschluss von der Außenwelt, Heimat und Geborgenheit geben sollte. Wo aber alles Zeichen wird oder Zeichen scheint, stellt sich Vertrauen nicht ein. Bereits beim Anblick der finsteren Züge des Abts (Andre Hennicke), der Andrea begrüßt, verbieten sich Gefühle der Wärme und Liebe von selbst. Für die Dauer von fast zwei Stunden versetzt dieser Film, ohne viel an äußerlicher Handlung zu suchen, seinen Protagonisten - und mit ihm auch uns - in einen Zustand immerwährender Unruhe. Andrea auf dem Weg zu sich selbst - nur könnte es eine Sackgasse sein. Wir auf der Suche nach der Lesbarkeit des Gezeigten - freilich könnte es gut sein, dass vieles gar nicht lesbar ist.

Regisseur Saverio Costanzo führt uns nicht in die Irre, aber er wahrt die Spannung, indem alles auf ein Geheimnis zuzulaufen scheint, das als solches gar nicht existiert. Gewiss geht es zuletzt um eine Erkenntnis, eine Einsicht, die nicht durch die Rätselhaftigkeit der Dinge und Menschen, sondern durch die Falschheit des Blicks verstellt war. Die falsche Spur, auf der Andrea sich befindet, die falschen Spuren, denen wir als Betrachter hier folgen, legt der Film dennoch in Form von Aufladungen ins Bild. Oder unters Bild, denn als Mittel der Aufladung fungiert hier, buchstäblich als Ton-Spur, die Musik. Sie reicht von bizarren Operettenklängen beim Essen zu dumpfem Dröhnen auf finsterem Gang. Es ist, als gingen in Bildern und Tönen unerlöste Geister um. Am Ende steht eine doppelte Erlösung. Eine spirituelle Suche findet ein Ende. Ein Tor wird ein für allemal geschlossen, wir sehen erstmals ein Lächeln in Andreas Gesicht. Die Kamera zieht sich zurück, situiert die Geschichte in dieser Bewegung noch einmal neu. Ein faszinierender Film, der im Abspann auch einen anderen Ausgang zeigt, endet mit Kyrieleis.

Ekkehard Knörer

"In memoria di me". Regie: Saverio Costanzo. Mit Christo JivlovFilippo Timi, Marco Baliani Andre Hennicke und anderen. Italien 2006, 118 Minuten (Wettbewerb)


Mit Geld Geld verdienen: Stefan Ruzowitzkys "Die Fälscher" (Wettbewerb)


Die Geschichte dieses Films lässt sich schnell erzählen. Salomon Sorowitsch, Jude aus Odessa, betreibt im Berlin der dreißiger Jahre eine blühende Falschgeld-Werkstatt. Eigentlich ist er Künstler, aber wie er einmal sagt, "mit Kunst Geld verdienen geht nicht, ich ziehe es vor mit Geld Geld zu verdienen." Sally wird geschnappt, und kommt ins KZ Mauthausen. Hier überlebt er, weil Obersturmbannführers gern ein Gemälde von sich und der Familie überm Esstisch hängen hätten. 1944 wird Sorowitsch nach Sachsenhausen verlegt, wo ihn der Mann begrüßt, der ihn damals verhaftet hatte. Kommissar Herzog, jetzt ein hohes Tier bei der SS, möchte, dass Sally seine besonderen Fähigkeiten zur Verfügung stellt, um Falschgeld herzustellen: Pfund und Dollar.

Die Geschichte, die hinter diesem Film steht, ist wahr. Mit der "Operation Bernhard" wollten die Nazis die Märkte Großbritanniens und der USA mit Falschgeld überschwemmen und so ruinieren. Die KZ-Häftlinge steckten in dem Dilemma, ob sie dabei mithelfen und sich so ein vergleichsweise gutes Leben sichern oder die Sache unter Lebensgefahr sabotieren sollten. Sie taten beides. Sally Sorowitsch sagt es im Film so: "Ich möchte den Nazis nicht den Gefallen tun, mich für mein Überleben zu schämen."

Stefan Ruzowitzky
hat die Geschichte über weite Strecken durchaus spannend verfilmt. Sein größter Trumpf ist sein Hauptdarsteller Karl Markovics, dessen Gesicht exakt so aussieht ist, als sei er den dreißiger Jahren entsprungen. Man sieht Markovics nie spielen, er ist einfach da. Aber in den letzten Minuten verdirbt Ruzowitzky alles. Mauthausen wird befreit, und wir sehen, was wir lieber nicht sehen möchten: Schauspieler, die ausgemergelte KZ-Häftlinge darstellen sollen. Dass das zum Teil gelingt, macht die Sache nur noch obszöner.

Anja Seeliger
"Die Fälscher". Regie: Stefan Ruzowitzky. Mit Karl Markovics, August Diehl, Devid Striesow, Martin Brambach u.a. Deutschland, Österreich, 2006, 99 Minuten (Wettbewerb)

Kein Wort gilt: Hong Sang-soos "Woman on the Beach" (Panorama)

Eine Frau am Strand, das ist das Schlussbild. Ihr Auto hat sich festgefräst, zwei Männer helfen ihr aus und wollen keinen Dank dafür. Eine Pointe nicht ohne Ironie. Die Geschichte, die der Film erzählt, beginnt ebenfalls mit zwei Männern und zwischen ihnen dieselbe Frau.

Er beginnt in einer Wohnung, der eine Mann bedrängt den anderen. Der bedrängende Mann ist ein - offenbar nicht ganz unbekannter - Filmregisseur; der bedrängte ein Freund und Drehbuchkoautor. Regisseur Kim will mit ihm in einem Badeort am Meer das Drehbuch seines neuesten Films schreiben. Jung-rae stimmt schließlich zu, bringt aber seine Freundin mit, Moon-sook. Der Produzent warnt Kim am Telefon vor einem Sandsturm an der Küste. Zu dritt fahren Kim, Jung-rae und Moon-sook hinaus, der Badeort ist des schlechten Wetters wegen wohl verlassen. Der Sandsturm bleibt aus.

Jedoch geschieht, was bei Hong Sang-soo immer geschieht: Man betrinkt sich, es kommt zu Konflikten. Im Trinken und im Betrunkensein verlieren seine Figuren, die männlichen vor allem, die Kontrolle über sich selbst - oder sie zeigen ihr wahres Gesicht. Wie es sich dabei genau verhält, da gibt die Erzählung dem Betrachter keinen Wink. Bei glasklaren Oberflächen bleibt alles undurchsichtig. Handeln und Sprechen erleiden die bei Hong so typische Auszehrung. Nichts Gesagtes gilt. Als Kim einen Restaurantbesitzer beleidigt, setzt Jung-rae ihm ein Ultimatum. Er solle sich entschuldigen, sonst fahre er nach Seoul zurück. Kim entschuldigt sich nicht. Das Ultimatum verstreicht und nichts passiert. Einen Schnitt weiter sitzen die drei in einem anderen Restaurant am Tisch, betrunken, und betrinken sich.

Das Wort bindet nicht, in "Woman on the Beach". Gesagtes ist wie nur dahin gesagt und wird vom Wind verweht, verläuft im Sand. Später sind Moon-sook und Kim allein am Strand. Sie hat ihm gesagt, dass sie ihn Jung-rae, der nur ein Freund sei, aber nicht ihr Liebhaber, vorzieht. Beide rufen sie, aufs Meer hinaus "Ich liebe dich". Erst sie, dann er, dann beide gemeinsam. Zu bedeuten haben die Worte wenig genug. Man spricht bei Hong, um sich zu verletzten, um überhaupt etwas zu sagen, das dann verklingt. Und man spricht bei Hong, um zu lügen. Dabei wäre es ganz falsch anzunehmen, dass Hong der Sprache misstraut. Denn im Sprechen seiner Figuren kommt ihre Schäbigkeit gerade zum Ausdruck. Das Wort bindet nicht, weil die Männer sich nicht binden wollen und nicht binden können. Weil sie das Konzept der Bindung als die Narzissten, die sie sind, nicht einmal begreifen.

An seine Stelle, perfekter Ersatz für den Narzissten, tritt die Obsession. Absurde Selbstbindung an ein Bild. Kim kann die Vorstellung nicht ertragen, dass die Frau, von der er etwas will, mit einem anderen geschlafen hat. Moon-sook erzählt, dass sie in Deutschland mit Deutschen geschlafen hat. Kim, der die Nacht mit einer anderen Frau verbracht hat, legt sich neben Moon-sook, klagt, dass er dieses Bild - sie mit einem Deutschen im Bett - nicht ertragen kann. Kim weint, deshalb wohl, weil sie ihm das antut. Das alles ereignet sich zwei Tage später. Kim ist am Badeort geblieben, Jung-rae und Moon-sook sind zurück in Seoul. Kim hat sich eine andere Frau gesucht, der er sagt, sie sehe Moon-sook ähnlich (kein bisschen tut sie das), mit ihr verbringt er die Nacht im Bett. Moon-sook, der er am Telefon sagt, sie sei schön, kehrt an den Badeort zurück. (Jung-rae wird ganz und gar aus der Geschichte verschwunden bleiben.) Kim malt für Moon-sook ein Diagramm, das seine Obsession mit dem falschen Bild erläutert. Er muss, sagt er ihr, die falsche Obsession durch eine richtige Einbildung ersetzen.

Spielerischer, aber nicht milder als im bisherigen Werk, setzt Hong Sang-soo den Liebes- und Verletzungsreigen in Szene. Oft spielt zwischendurch die Musik und kommentiert, was man sieht. Das markanteste formale Mittel ist nicht mehr der gewalttätige, das Bild zerreißende Zoom der den letzten Film, "Tale of Cinema", noch bestimmte. An seine Stelle tritt ein anderer Zoom, langsamer, bestimmter, nüchterner, dem Schein nach kontrollierter Zoom. Als Geste ist dieser Zoom das Geben eines neuen Bildes als Halt. Oder auch: Haltepunkt. Denn zwischen den Haltepunkten auch das Offenbleiben und Entgleiten von Bildern und Geschichten. Am Ende wird Kim ein Drehbuch geschrieben haben. Am Ende wird Moon-sook, die Frau am Strand, allein sein und Kim los sein. Ich mag keine Wiederholungen, hat sie am Telefon gesagt. Wenn es je ein Erlösungswort gab in Hongs Filmen, dann ist es dies.

Ekkehard Knörer


"Woman On The Beach". Regie: Hong Sangsoo. Mit Kim Seung-woo, Ko Hyun-joung, Kim Tae-woo, Song Sun-mi u.a. Republik Korea, 2006, 127 Minuten (Panorama)


Realität interessiert ihn nicht: Rodolphe Marconis "Lagerfeld Confidentiel" (Panorama)

Ich konnte kaum hingucken. Diese entsetzlichen Anzüge mit den silbernen Ketten und Gürteln, diese Ringe, mindestens vier Stück an jedem Finger, wobei die meisten auf den vorderen zwei Gliedern sitzen. Dieser Gang. Es ist alles so unglaublich affektiert.

Und dann war ich doch beeindruckt. Karl Lagerfeld ist der unsentimentalste Mensch, den man sich vorstellen kann. Realität interessiert mich nicht, sagt er einmal. Doch hat man am Ende des Films den Eindruck, dass es gerade sein Realitätssinn war, der ihn dahin gebracht hat, wo er heute ist. Man sieht ihn bei der Arbeit, fotografieren, zeichnen, Kollektionen besprechen, Kleider anprobieren. Einmal streift er probehalber einen dicken schwarzen Wollärmel über, der weit über die Hände reicht. Nur die Fingerspitzen in roten Lederhandschuhen gucken wie kleine Würstchen hervor. "Sieht aus wie ein Hund, der einen Steifen hat", murmelt er.

Dann sitzt er irgendwo in einem Sessel und erzählt. Er beschreibt sich als privilegiertes Glückskind. Aufgewachsen in einem wohlhabenden Haushalt, seine früh erkannte Homosexualität (der kichernde Regisseur bekommt das Wort nicht über die Lippen) war für die Eltern kein Problem. Heute ist er Couturier von Chanel und kann tun und lassen, was er will. "Und das ohne Studium, ohne irgendeine Ausbildung!" Lagerfeld hat kein Problem mit Status, Privilegien oder Glück. Keine Reue, kein schlechtes Gewissen, keine Erklärungen. Er ist einfach froh, dass es so gut gelaufen ist. Wer das frivol findet, kann sich wieder entspannt zurücklehnen. Der Film ist so grobkörnig, die Farben so grau, dass selbst die prächtigsten Villen die Atmosphäre eines Reihenhaus in Bad Bramstedt ausstrahlen.

Lagerfeld träumt nicht von vergangenen Zeiten. Er denkt bestimmt nicht an Fotos von seiner jungen Mutter, wenn er ein Kleid entwirft. Er lebt im Hier und Jetzt. Einmal probiert er in einem Laden eine goldene Bomberjacke an, für die er etwa 50 Jahre zu alt ist. "Würdest du so mit mir über die Straße gehen?" fragt er einen Begleiter. In der nächsten Szene sehen wir ihn damit in einem schicken Pariser Club sitzen. "Wenn man in einem Elfenbeinturm lebt - ich nenne keine Namen, aber man sieht ja, was das Resultat ist", sagt er einmal. Auch der Berlinale-Zuschauer kann das sehen. Am 14., 16. und 18.2. zeigt das Panorama Olivier Meyrous Film "Celebration", ein Dokumentarfilm über die letzten zwei Jahre von Yves Saint Laurent im Modegeschäft.

Anja Seeliger

"Lagerfeld Confidentiel". Regie: Rodolphe Marconi. Frankreich, 2006, 88 Minuten (Panorama Dokumente)


Ungewöhnlich entspannt: Ann-Kristin Reyels "Jagdhunde" (Forum)

Was bleibt von diesem Film? Die Überzeugung, dass die Uckermarck mit ihren verschneiten Leerstellen ein Wurmfortsatz Finnlands ist. Dass diese Weite es dem deutschen Film erlaubt, an Gewicht zu verlieren, ohne die Ambitionen aufzugeben. Dass Ann-Kristin Reyels ein gutes Auge für deutsche Nachwuchstalente wie Constantin von Jascheroff und Luise Berndt beweist. Und dass der deutsche Film zu einer ungewohnten Entspanntheit findet. "Warum spricht eigentlich keiner mit uns", fragt Lars seinen Vater Henrik, als sie über einen riesigen verschneiten Acker zum Eisangeln stapfen. "Das wird schon", sagt Henrik, und grüßt einen Mann, der in seinen Moonboots durch den ganzen Film stapft. Natürlich gibt es keine Antwort. Die beiden sind neu im Dorf, und der Plan, die baufällige Scheune des Bauernhofs in ein Hochzeitshotel umzuwandeln, stößt bestenfalls auf Skepsis. Henrik ist auch nicht gerade Experte in Sachen Liebe. Er hat sich von Lars' Mutter getrennt und scheint nicht in der Lage, die Sache in den Griff zu bekommen. Überhaupt wirken die Erwachsenen seltsam hilflos in diesem Film. Lars' Mutter hat einen neuen, jungen Freund, den sie nicht liebt. Ihre Schwester Jana zieht bei Henrik ein, ohne so zu wirken, als wisse sie, was sie da tut. Die neue Generation dagegen macht alles richtig. Marie, deren Vater seit fünfzehn Jahren an der Trennung von seiner Frau laboriert, baut mit Lars eine vertraute, anständige, unverkorkste Beziehung auf. Sie sind die einzigen Erwachsenen in der Uckermarck. Alle anderen kommen auf dem Bauernhof zusammen, um Weihnachten zu feiern.

Der Liebhaber von Lars' Mutter sing Schubert-Lieder. Sie selbst bekommt einen Weinkrampf. Ihre Schwester ist noch nicht ganz über den Frisurschock im "Salon Ursula" hinweg. Maries Vater trinkt einen Schnaps nach dem anderen, während Henrik stoisch an dem ungenießbaren Kaninchen herumsäbelt, das er serviert hat. Lars und Marie dagegen schwimmen scheinbar mühelos gegen die Vereinsamung und Sprachlosigkeit an, die alle hier wie eine Krankheit befallen zu haben scheint. Vielleicht hilft Maries Taubstummheit. Gegen die Dynamik der beiden kann jedenfalls niemand etwas ausrichten, nicht die halbstarken Dorfrowdys, nicht die seit Urzeiten eingefrorene Uckermarck, und auch keiner der Problemfälle, die im Haus ein Weihnachten mit vielen Worten und ohne Kommunikation begehen, während Lars und Marie sprachlos Nähe praktizieren.

Man könnte Ann-Krisitn Reyels vieles vorwerfen. Dass einiges unglaubwürdig wirkt, vor allem die Instant-Vertrautheit von Marie und Lars. Oder dass Lars allzu schnell bereit ist, Maries Vater zu vergeben, als der einen seiner geliebten Hunde erschießt. Oder die nur angerissenen, aber nicht schlüssig gezeichneten Nebenfiguren wie Lars' selbstbestimmt-orientierungslose Mutter oder Maries sanft-autoritärer Vater. Aber dann gibt uns die Regisseurin so herrlich verspielte Bilder wie den Maskentanz von Lars und Marie auf dem zugefrorenen See oder die lange Totale auf einen verschneiten Kreisverkehr aus der Vogelperspektive, auf dem Lars nach einigen Umdrehungen mit dem Moped den Weihnachtsbaum mit einem bloßen Zuruf zum Leuchten bringt. Das macht Laune und offenbart eine Lust am exzentrischen Exkurs, die gut tut. Reyels bringt Bewegung in die eingefrorene Uckermarck. Das Happy End versagt sie sich aber. Dafür ist die Uckermark wohl doch zu weit von Hollywood entfernt.

Christoph Mayerl

"Jagdhunde": Regie: Ann-Kristin Reyel. Mit Constantin von Jascheroff, Josef Hader, Luise Berndt, Sven Lehmann, Judith Engel und anderen. Deutschland, 2007, 86 Minuten (Forum)


Selbstbewusste Schmuggler: Die Diskussion "Expanding Filmfestivals" im Hamburger Bahnhof

Will der Filmkritiker wissen, wie es um das Verhältnis von Kunst und Kino steht, dann muss er den Hauptschauplatz der Berlinale, den Potsdamer Platz, verlassen. Die Reflexion übers Kino findet auf dem Boden der Kunst statt. Im Hamburger Bahnhof. Das ist natürlich kein Zufall.

Auf dem Panel sitzen Filmgesichter und Kunstgesichter. Alexander Horwath vom Wiener Filmmuseum, das wohl das weltweit am besten kuratierte Filmprogramm macht. Daneben sieht man vorne am Tisch unter anderen Gabriele Knapstein, verantwortlich fürs bewegte Bild beim Hamburger Bahnhof, Ian Cowie von der Londoner Whitechapel-Galerie und Rike Frank von der diesjährigen Documenta, die deren Leiter Roger M. Buergel vertritt. Der nämlich ist erkrankt. Geradezu aberwitzig wäre die Vorstellung, der Berlinale-Leiter Dieter Kosslick könnte auf diesem Panel. Moderiert wird die Diskussion vom Kunstkurator Anselm Franke und von Stefanie Schulte-Strathaus, einer der Kuratorinnen beim Berliner Arsenal, das auch ein exzellent kuratiertes Filmprogramm macht. In Personalunion ist Schulte-Strathaus auch Kuratorin des Berlinale-Programms "Forum Expanded", das als Ausgliederung ins Forum eingegliedert ist.

Damit ist man schon mitten im Thema. Nach Modellen solcher Aus- und Eingliederungen, inkorporierten Exkorporationen wird gesucht. Seit einigen Jahren schon will die Kunst was vom Kino, das Kino was von der Kunst. Nur wissen sie nicht genau, was. Aber man redet darüber. So wie hier und heute. Und natürlich begegnet man im Kunstmuseum immer wieder dem Kino, oder wenigstens: dem bewegten Bild. Denn nicht jedes bewegte Bild ist schon Kino. Und nicht jeder Experimentalfilm ist schon Kunst.

"Ist" ist ein Behelfswort. Denn um Ontologie geht es im Grunde nicht dabei. Es gibt Grenzen, aber es sind eher solche der Institution und des Marktes, der Erwartungen und der Ignoranz, der geschichtlichen Einordnung und des Willens und Wunsches von Filmemachern und Künstlern, Filmemachern, die Künstler sind (wie Matthias Müller) oder Künstlern, die Filmemacher sind (wie Matthew Barney; nein, setzen wir hier ein Fragezeichen: wie Matthew Barney?). Der aktuelle Star unter den Künstlern unter den Filmemachern, der Thailänder Apichatpong Weerasethakul, ist in der Kunst kein Star. Er macht Installationen, er wird ausgestellt, aber der Kunstbetrieb interessiert sich im Moment nicht so sehr für ihn, wie es der Filmbetrieb tut. Das ist nur ein Beispiel.

Aber wofür? Unter den Experten auf dem Podium, Experten fürs Kino, Experten für die Kunst, Experten fürs Mit- und Gegeneinander von Kino und Kunst (aber vielleicht setzen wir hier wieder ein Fragezeichen) ist man sich nicht einig. Womöglich nicht einmal darüber, worin man sich nun einig sein sollte. Alexander Horwath, der Kinomacher, stellt sein Konzept für die "Documenta" vor. Dorthin nämlich hat ihn der Kurator Roger M. Buergel eingeladen. Horwath weigert sich, das Kino in der Kunst aufgehen zu lassen. Viel eher versteht er sich als höchst selbstbewusster Schmuggler. Er will der Kunst eine Lektion erteilen, die Lektion, die einfach "Kino" heißt, oder auch: Filmgeschichte. Die Kunst, der Betrieb, die Fünfjahres-Selbsthistorisierungs- und Entwicklungsantzipiationsinstitution "Documenta hat, so Horwaths These, eines immer übersehen: Das Kino, wie es ist, ist Kunst. Man hat den "Normalfall Kino" (so Horwaths Begriff, für den er sich, wie er berichtet, vom Filmkritiker Bert Rebhandl hat inspirieren lassen) aus dem Kontext der Kunst ausgegrenzt. Genauer gesagt: Man ist gar nicht auf die Idee gekommen, ihn einzugrenzen. Sein Projekt für die "Documenta" ist also eine Rückeingliederung, die ostentantiv die Grenzen übersieht, die gezogen sind, von Institutionen, Kontexten, Betrieb und Markt, Marktbetrieb und Diskursproduzenten.

Aufgekommen ist die Diskussion, die hier und heute auf dem Panel abseits des Berlinale-Festivalbetriebs fortgesetzt wird, durch die Begegnungen oder Zusammenstöße im Museum. Anders gesagt: Total viele Künstler fanden irgendwann in den 90ern David Lynch ganz toll. Und sie begannen, sich die Hollywood-Bilder anzueignen, etwa Douglas Gordon, dessen "24 Hour Psycho" - die Streckung von Hitchcocks Film auf 24 Stunden, ohne Ton, als Video - nebenan, im Hamburger Bahnhof zu sehen ist, in der Ausstellung über die "Kunst der Projektion". Die angeeigneten Hollywood- und Kinobilder landeten dann aber als Werke von Pierre Huyghe oder Doug Aitken oder Stan Douglas, nicht im Kino, sondern im Museum. Und die Museen wussten nicht genau: Was tun? So kam es zu Black Boxes in White Cubes, also kleinen aus dem Museumsraum ausgegliederten Kinovorführräumen, mit denen das Kino (jedenfalls: bewegte Bilder) in die Kunst eingegliedert wurde. Damit war ein neuer Raum geschaffen. Oder entstanden, denn erst einmal ist das ja eine Frage der Praxis.

Gabriele Knapstein ist eine Verwalterin dieser Praxis, dieser Räume und damit auch der neuen Grenzverläufe oder Grenzverwischungen, exkorporierten Inkorporationen. Diesen Raum findet sie spannend. Alexander Horwath und der ebenfalls auf dem Podium sitzende Lars Henrik Gass, Leiter der Kurzfilmtage von Oberhausen (somit selbst Verkörperung einer langen, komplizierten Geschichte des deutschen Nachkriegskinos), scheinen nicht so sicher, wie spannend sie diese Räume finden. Und was sie mit dem Kino zu tun haben. Beide beharren jedenfalls, Gass in Oberhausen, und Horwath auf der Dokumenta auf dem Kinosaal und seinen Eigenheiten. Dem Nacheinander, das dem Kino traditionell eignet. Horwath wie Gass erweisen sich nicht als Enthusiasten der neuen Kreuzungsräume. Sie finden, scheint es, dass das Kino sich Museum genug ist und die Black Boxes in White Cubes nicht braucht. Sie sinnen vielmehr der Kunst das Kino an, wie es als Gewordenes ist.

Wenn der Filmkritiker erfahren hat, wie es um das Verhältnis von Kino und Kunst steht, dann verlässt er den Saal, durquert das Sarah-Wiener-Cafe und die breite Straße und nimmt die Rolltreppen aufwärts im Hauptbahnhof zur S-Bahn. Bevor er einsteigt, um zum Potsdamer Platz zurückzukehren, wo er dann im Schreibzimmer der Journalisten diesen Text schreibt, um dann hinüberzueilen in den Wettbewerbsfilm "Die Fälscher", der wahrscheinlich komplett irrelevant ist, all die Fragen betreffend, über die er eben nachzudenken angeregt wurde - bevor das also passiert, sieht er am Bahnsteig gegenüber am Haupbahnhof Bernhard Dotzler stehen, einen der wichtigsten Medienwissenschaftler der Republik. Der war nicht bei dieser Diskussion, der ist nicht zur Berlinale unterwegs, sondern von anderswo nach anderswo. Wohin muss der Filmkritiker sich wenden, wenn er etwas über das Verhältnis von Medienwissenschaft und den bewegten Bildern der Gegenwart erfahren will? Die Frage bleibt offen. Der Filmkritiker steigt in die S-Bahn, während am anderen Bahnsteig der Medienwissenschaftler auf den einfahrenden Zug noch wartet.

Ekkehard Knörer


Alle besprochenen Filme finden Sie hier.