Außer Atem: Das Berlinale Blog

Hat es Dir gefallen? Es ist verboten!: Burhan Qurbanis 'Shahada' im Wettbewerb

Von Lukas Foerster
17.02.2010.
Jetzt hat Dieter Kosslick mich also doch erwischt, es war wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit. Bisher hatte ich wenig Grund, mich über den diesjährigen Berlinale-Wettbewerb zu ärgern. Teilweise deshalb, weil ich einigem, vor allem den Alterswerken Polanskis und Scorseses, mehr abgewinnen konnte als meine Mitstreiter Thomas Groh und Ekkehard Knörer. Vor allem aber, weil ich dank unserer internen Arbeitsteilung verschont geblieben bin von dänischer Miserabilismuspornografie, norwegischer Zynik und ähnlichem. Burhan Qurbanis Debütfilm "Shahada" aber konnte ich leider nicht entgehen.



Das "Shahada" ist das muslimische Glaubensbekenntnis. Vor Zeugen ausgesprochen genügt es, einen Ungläubigen in einen Muslim zu verwandeln. In Qurbanis Film gibt es eine Szene, in der zwei Muslime einen Nicht-Muslim zwingen wollen, das Bekenntnis aufzusagen. Doch als Samir über Daniel kniet und ihm am Boden festhält, greift er plötzlich dessen Hand. Samir und Daniel sind schwul und ineinander verliebt, Begehren kollidiert mit Religion (wie alles andere im Film ganz buchstäblich: "hat es Dir gefallen?" - "es ist verboten!"), bis zum bitteren Ende. Die Szene mit Daniel und Samir sieht aus, wie dem trashigsten Camp-Melodram seit John Waters "Desperate Living" entsprungen - ist allerdings voll und ganz ernst gemeint.

Samir und Daniel: Das ist nur eine von drei locker untereinander verbundenen Geschichten, die Burhan Qurbanis bieder inszenierter Film aufzubieten hat. Es gibt da außerdem noch Bayram, eine junge Türkin, die nach einer unschön verlaufenen Abtreibung die Disco gegen die Moschee eintauscht und in letzterer zur Hardlinerin mutiert. Und Ismail, einen Polizisten, der seine deutsche Ehefrau verlässt, weil ihn eine russische Migrantin mit einer blutigen Vergangenheit konfrontiert. Letztere Episode ist die einzige, in der gelegentlich so etwas wie ästhetisches Feingefühl aufblitzt und eine Ahnung davon, dass Qurbani unter Umständen einen nicht untalentierter Melodramatiker abgeben könnte (stimmt nicht ganz, es gibt in einer anderen Storyline eine ebenfalls schöne Hagelszene, die dann allerdings anschließend umso dreister instrumentalisiert wird). Aber auch Ismails Geschichte wird zielsicher in Richtung Trash-Camp manövriert. "Wenn ich dein dunkler Engel bin, dann erschieß' mich doch": Solche Sätze fallen da gleich dutzendweise.



Ein Film, der als Bebilderung trockener Feuilletonsdebatten beginnt und in exaltiertester Verwirrung endet - das könnte eine interessante Bewegung sein, wenn sich "Shahada" ihrer nur ein bisschen bewusst wäre. Am Anfang werden die Problemfelder fein säuberlich abgesteckt: Islam und Homosexualität, Islam und Unterdrückung der Frau, Islam und Toleranz, Islam und Integration. Was nicht vorkommt, ist auch nur irgendeine Form von Alltag. Der Moslem in Deutschland lebt, so scheint es, in einem permanenten Ausnahmezustand, außerdem wird sein Leben an allen Ecken und Enden von Religion determiniert, als etwas, zu dem er sich auf die eine oder andere Art verhalten muss und zwar Tag und Nacht. Selbst die Songtexte, zu denen die anfangs noch rebellische Mayram in der Disco tanzt, sind Thesen: "Das musst Du doch einsehen / Nein, muss ich nicht".

Was dann folgt, war wohl als Verkomplizierung eines festgefahrenen Diskurses gedacht. Ehrenwert ist das durchaus, notwendig ebenfalls, schon allein, weil man bei der Gelegenheit "den Islam" durch "die Muslime" ersetzen könnte (warum allerdings nicht zum Beispiel auch durch "die Migranten"? Oder durch "die Nicht-Deutschen"?). Aber in "Shahada" werden sowieso lediglich die Drehbuchtaschenspielertricks komplizierter. Das resultiert dann zum Beispiel in einer grob zusammenkonstruierten Umkehrung, in der Mayrams Vater, Imam der örtlichen Gemeinde, seine Tochter zu Hause einschließt. Nicht, das ist der Clou, weil er sie vor der Disco, sondern, weil er sie vor der Moschee beschützen will. Beziehungsweise die Moschee und ihre sich langsam liberalisierende Gemeinde vor ihr. "Ist gut jetzt!" möchte man dem Film nicht erst in dieser Szene zurufen. Ein ordentlicher Thesenfilm hat wenigstens Thesen. Ein unordentlicher Thesenfilm hat nur: Unordnung der uninteressantesten Art.

Alle haben besseres verdient: Qurbani ein ihm angemesseneres Sujet, die Berlinale bessere Filme - und die deutschen Muslime auch.

Burhan Qurbani: "Shahada". Mit Maryam Zaree, Carlo Ljubek, Jeremias Acheampong, Sergej Moya, Marija Skaricic. Deutschland 2010, 90 Minuten. (Wettbewerb, Vorführtermine)