Außer Atem: Das Berlinale Blog

Psychodama als Kammerspiel: Jonathan Sagalls 'Odem'

Von Ekkehard Knörer
18.02.2011. Lara, weiblich, nicht allzu glücklich, aber auch wieder nicht unglücklich verheiratet, nicht mehr ganz jung, aber auch noch nicht alt, sucht keinen Kontakt mehr zu ihrer Freundin Inan. Dann aber steht diese eines Tages vor ihrer Tür. Einen Tag zu spät, ihren Geburtstag hat Lara am Vortag gefeiert. Etwas stimmt nicht zwischen den beiden Frauen, was genau allerdings nicht im Lot ist, erfährt man nur nach und nach, Scheibchen für Scheibchen, in einer mehr aufwendigen als ertragreichen Rückblendenstruktur.


Lara, weiblich, nicht allzu glücklich, aber auch wieder nicht unglücklich verheiratet, nicht mehr ganz jung, aber auch noch nicht alt, sucht keinen Kontakt mehr zu ihrer Freundin Inan. Dann aber steht diese eines Tages vor ihrer Tür. Einen Tag zu spät, ihren Geburtstag hat Lara am Vortag gefeiert. Etwas stimmt nicht zwischen den beiden Frauen, was genau allerdings nicht im Lot ist, erfährt man nur nach und nach, Scheibchen für Scheibchen, in einer mehr aufwendigen als ertragreichen Rückblendenstruktur.

Vor dreizehn Jahren kamen beide aus Ramallah nach London und verdrängten, eine Zukunft im ersehnten Wohlstand erhoffend, ihre palästinensische Herkunft. Beide sprechen gut Englisch und bei der etwas unheimlichen, unterschwellig Richtung Psychothriller weisenden Wiederbegegnung verbieten sie sich arabische Worte. Die eine, Lara, ist kontrolliert, bei der anderen, Inan, scheint etwas lose. Lara wirft Inan nicht aus dem Haus, geht ihrem Tagwerk nach, bringt den Sohn zur Schule, empfängt den Mann, der die kaputte Geschirrspülmaschine repariert.

Es drängen sich Inan und die gemeinsame Vergangenheit in oft mehr gewollten als gekonnten Anschlüssen dazwischen. Man erfährt: die sehr attraktive Inan war immer eine ziemlich männermordende Person, Lara hat dafür nun (sie betrügenden) Mann und Kind. Lara hat Inan stets begehrt und darunter, dass sie von dieser nicht die Liebe, die sie sich erwünschte, bekam, lange gelitten. Sie trank einst, sie trinkt jetzt und sie wird wohl in Zukunft auch trinken.



Die in der Rückblendenanordnung aufgebaute Geheimniserwartung von "Odem" ist ein Gimmick und muss, wie jeder Gimmick, am Ende enttäuschen. Die ganze Last, alles weitere zu begründen, fällt nämlich auf eine traumatische Begegnung einst nach dem heimlichen Kinobesuch in Jerusalem, auf die der Film quasi-psychoanalytisch zuarbeitet. Was genau geschah, wird man freilich nicht erfahren, denn es gibt zwei memoriale Versionen davon. Im einen wie im anderen Fall jedoch geht es um eine weder in der einen noch in der anderen Fassung vernünftig auflösbare und aufgelöste Verschränkung von Sex und Palästinenserkonflikt.

Auf der Gegenwartsebene geriert sich "Odem" als Kammerspiel mit Psychodramaanklängen. Eine sehr private Geschichte wird vor sehr politischem Hintergrund erzählt, ein Quasi-Thriller mit einer Freundschaftsgeschichte gekreuzt: Nur gelingt es Regisseur Jonathan Sagall (übrigens der Bobby aus der "Eis am Stiel"-Serie) nie so recht, das eine mit dem anderen auf schlüssige Weise zu vermitteln. Zum Eindruck einer etwas überaufwendig hergestellten Künstlichkeit trägt die digitale Red-Kamera, die die Atmosphäre in größtmögliche Ferne zum klassischen Zelluloidbild rückt, manches bei. Die Hauptdarstellerinnen Clara Khoury und Nataly Attiya machen ihre Sache allerdings ausgesprochen gut, vielleicht dürfen sie sich den Silbenen Bären fürs Schauspiel teilen.

"Odem". ("Lipstikka"). Regie: Jonathan Sagall. Darsteller: Clara Khoury, Nataly Attiya, Moran Rosenblatt, Ziv Weiner, Daniel Caltagirone u.a. Israel, Großbritannien 2010, 90 Minuten (Wettbewerb, Vorführtermine)