Außer Atem: Das Berlinale Blog

Held ohne Anführungszeichen: Jose Padilhas 'Tropa de Elite 2'

Von Lukas Foerster
13.02.2011.


Wer die neuen Talente des Weltkinos entdecken möchte, der ist auf der Berlinale der Ära Kosslick eher fehl am Platz. Die interessanten jungen Regisseure der Gegenwart tauchen, soweit sie sich überhaupt auf Festivals bewegen, in Rotterdam oder im koreanischen Jeonju auf und machen sich dann auf den Weg nach Cannes oder Venedig. Berlin und leider inzwischen auch das Forum lassen sie meist links liegen. Zu den wenigen Ausnahmen dieser bedauerlichen Entwicklung zählt Jose Padilha, der einen großen Teil seines bisherigen Werkes in Berlin präsentieren konnte. Der Brasilianer dreht sowohl intelligente Dokumentarfilme ("Bus 174", "Garapa", Panorama 2009), als auch dynamische, reflektierte Blockbuster. Padilhas Kino setzt keine neuen Maßstäbe, aber es nimmt das politische Erbe des Cinema Novo, des neuen brasilianischen Films der sechziger und siebziger Jahre, auf zwar populistische, aber deswegen nicht dumme Art auf.

"Tropa de Elite" gewann vor drei Jahren den Goldenen Bären, der Nachfolger brach im heimischen Brasilien letzten Herbst alle Kassenrekorde und ist jetzt im Panorama zu sehen. Der erste Film (hier Ekkehard Knörers Kritik) zeichnete die Verwandlung des moralisch integren jungen Matias in eine faschistoid programmierte Killermaschine nach, ohne, dass der Film seine eigene Position zu dieser Wandlung eindeutig ausgestellt hätte. Ganz im Gegenteil ließ Padilhas energetische Actionfilmästhetik den Zuschauer an der Faszination partizipieren, die der militaristische Straßenkampf und der zugehörige Drill auf Matias und die anderen jungen Rekruten ausüben muss.

Der Nachfolger funktioniert anders und beseitigt einiges von der moralischen Ambivalenz, die dem ersten Film nicht von allen Kritikern zu seinem Vorteil ausgelegt wurde. Zwar wird auch "Tropa de Elite 2 - The enemy within" zunächst aus der faschistischen Perspektive, nämlich aus der des aus dem ersten Film bekannten Kommandanten Nascimento, des Anführers der Elitetruppe BOPE, entwickelt. Und es gibt auch wieder einige Sequenzen, in denen die Kamera während der Säuberungsaktionen in den Slums direkt neben den Maschinengewehren der Polizisten positioniert ist. Aber im weiteren geht es dem Film dann gerade darum, Nascimento auf den richtigen Weg zu führen, einen Weg, der freilich nicht einfach mit den Formeln der liberalen politischen Correctness in eins fällt.



Dazu muss der Film seinen Helden - und ein solcher ist er am Ende des Films ohne Anführungszeichen - erst einmal von der blutigen Unmittelbarkeit der Straßenkämpfe distanzieren. Nach einem unschön beendeten Gefängnisaufstand wird Nascimento von seinem Posten entfernt und erhält einen Posten in der Stadtverwaltung. Der bietet ihm die Möglichkeit, seine alte Spezialeinheit personell wie waffentechnisch aufzustocken und mit ihrer Hilfe einige Stadtviertel den Drogengangs zu entreißen. Doch nicht lange nach seinem vermeintlichen Sieg muss Nascimento erkennen, dass er seine Gegner nicht nur unterschätzt, sondern von Anfang an falsch identifiziert hat. Schuld am Elend Brasiliens trägt, darauf will der Film sehr bestimmt, aber deswegen nicht aufdringlich hinaus, nicht die Raffgier Einzelner, auch nicht die isolierte ökonomische Dynamik des Drogenhandels, sondern - und dieses Wort bestimmt "Tropa de Elite 2": das System. Das System als das mafiöse Konglomerat aus Polizei und organisiertem Verbrechen, Staat und Privatwirtschaft, geschmeidig, anpassungsfähig, angetrieben von Korruption.

"Tropa de Elite 2" ist die filmische Entsprechung einer solide recherchierten, vor allem aber literarisch hervorragend aufbereiteten Reportage, wie sie im New Yorker oder in Harper's publiziert werden könnte (in deutschen Medien: leider eher nicht). Angetrieben wird der Film vom nüchternen Voice-Over-Kommentar Nascimentos, alle Fiktionalisierung, selbst die Nebenhandlung um eine problematische Vater-Sohn-Beziehung, steht im Dienst der zentralen Argumentationslinie, die zwar nicht übermäßig komplex, aber in sich schlüssig und für einen Film aus der Mitte des kommerziellen Mainstreams erstaunlich radikal ist. Ein langer tracking shot kurz vor Filmende über das Regierungsviertels in Brasilia - der an ähnliche Einstellungen aus amerikanischen Paranoia-Thrillern erinnert - ist, so glatt er daherkommt, nichts weniger als eine Generalanklage gegen ein ganzes Staatswesen.

Ein zentrales Dilemma der brasilianischen Kinorevolutionäre der sechziger Jahre betraf die Schwierigkeit, politische Anliegen und populären Appeal zu verbinden. Einen Film wie "Tropa de Elite 2", dem dies unter weitgehendem Verzicht auf ästhetischen Eigensinn und damit auch unter Verzicht auf eine politische Ästhetik im eigentlichen Sinne gelingt, werden Glauber Rocha und seine Mitstreiter damals sicherlich nicht im Sinn gehabt haben. Doch allzu viele schlüssigere Konzepte für eine Wiederbelebung des politischen Films sind im gegenwärtigen Weltkino nicht in Sicht.

"Tropa de Elite 2 - The enemy within" ("Tropa de Elite 2 - o inimigo agora e outro"). Regie: Jose Padilha. Darsteller: Wagner Moura, Sandro Rocha, Andre Mattos u.a., Brasilien 2010, 116 Minuten. (Panorama, Vorführtermine)