Außer Atem: Das Berlinale Blog

Liebt nur ihre Katzen: Brian M. Cassidys und Melanie Shatzkys 'Francine' (Forum)

Von Elena Meilicke
15.02.2012.


Aus dem Gefängnis in die unfreundliche Wirklichkeit: Germanisten denken da sofort an Franz Bieberkopf, und auch der Weg von Francine scheint auf den ersten Blick nur eine Richtung zu kennen: nach unten.

Francine (uneitel gespielt von Oscar-Preisträgerin Melissa Leo) ist eine mittelalte, verhärmt und verbraucht wirkende Frau. Dass sie über sich, ihren Körper und ihr Leben nicht frei verfügen kann, zeigt der Film schon gleich zu Beginn. Da sieht man Francine unter der Dusche, sie genießt das heiße Wasser und fährt sich mit den Händen über die Haut, bis plötzlich eine Wärterin den Schalter umlegt und das Wasser ausstellt - eine Fremdbestimmung, die sich über das Gefängnis hinaus fortsetzen wird. Nach ihrer Haft lässt Francine sich in der Provinz im Staat New York nieder und versucht, ein neues Leben aufzubauen. Sie durchläuft eine Reihe von Hilfsarbeiter-Jobs, die alle mit Tieren zu tun haben, und knüpft lose, sehr lose Beziehungen zu Menschen in ihrer Umgebung, Beziehungen, die fragil bleiben, weil Francine kaum interagiert. Sie ist verhalten und zurückgenommen, Gespräche lässt sie grundsätzlich im Sand verlaufen. Francine produziert einfach nicht den emotionalen Kleister, der soziale Beziehungen - auf der Arbeit, in der Freundschaft, in der Liebe - zusammenhält.

Während Francine also Menschen auf Abstand hält, liebt sie Tiere heiß und innig. Immer mehr Katzen, Hunde und Mäuse hortet sie, bis ihr Haus aus allen Nähten platzt, bis Kot und Schmutz nicht mehr zu beherrschen sind. "Vermüllungssyndrom" nennt man das in der psychiatrischen Fachsprache und wahrscheinlich könnte man eine Reihe weiterer klinischer Diagnosen für Francine finden. Aber genau daran ist der Film nicht interessiert. Stattdessen bleibt Francine auf schöne Weise fremd und fern, ihr Verhalten erschließt sich nicht und wird nicht motiviert. Die Filmemacher Brian M. Cassidy und Melanie Shatzky - beide haben in New York Kunst studiert und arbeiten seit 2004 zusammen, "Francine" ist ihr gemeinsamer erster Spielfilm - erzählen diese Geschichte sparsam und nüchtern und scheinen dabei fast dänische Dogmen zu befolgen: gefilmt wurde ausschließlich mit natürlichem Licht und einem einzigen Kameraobjektiv, was zu eher körnigen, kontrastarmen Bildern in ausgewaschenen Farben geführt hat. Filmmusik gibt es nicht und Melissa Leo ist die einzige professionelle Schauspielerin in einem Ensemble von Laiendarstellern, das alle Dialoge improvisiert hat. Entstanden ist ein Film, der auf faszinierende Weise so spröde und ungeschliffen wie seine Protagonistin ist.



Gleichzeitig ist es eine seltsame Mischung aus Distanziertheit und Affektion, die Cassidy und Shatzky da geschaffen haben. "Francine" ist voll von Szenen, die Scham und Unbehagen, Ekel und Befremden produzieren: etwa wenn Francine auf freundliche Nachfragen von Kollegen einfach nicht antwortet und sekundenlange Stille entsteht, oder wenn sie die Tatzen eines kleinen Kätzchens so lustvoll ablutscht, dass man zunehmend enerviert auf seinem Kinosessel herumzurutschen beginnt. Aber gerade an dieser Stelle unziemlichen Verkehrs mit einem Tier deutet sich an, dass "Francine" seine Geschichte fortschreitender sozialer Isolation weniger als Scheitern oder Untergang denn vielmehr als Befreiung und Ermächtigung erzählt; gerade hierin liegt das verstörend Interessante an diesem Film. Mehr und mehr lebt hier eine Frau einfach so, wie sie will, hemmungslos und gleichgültig. Und spätestens wenn Francine aufrecht stehend und mit triumphal-ausgreifender Geste Trockenfutter um sich schmeißt, wird klar: diese Frau ist selig und sich mit ihren Tieren selbst genug.

Elena Meilicke

"Francine". Regie: Brian M. Cassidy und Melanie Shatzky. Mit Melissa Leo, Keith Leonard, Victoria Charkut, Dave Clark, Mike Halstead u.a., USA, Kanada, 2012, 74 Minuten. (Vorführtermine)