Außer Atem: Das Berlinale Blog

Perspektive der streberhaften Vorarbeiter: Atsushi Funahashis 'Cold Bloom' (Forum)

Von Lukas Foerster
12.02.2013. Ende letzten Jahres starb Koji Wakamatsu, Exploitationfilmer und politischer Aktivist, Anfang dieses Jahres, vor wenigen Wochen erst, starb auch Nagisa Oshima, Kino-Revolutionär und eine der zentralen Figuren in der japanischen Öffentlichkeit der letzten dreißig Jahre. Das japanische Independentkino hat innerhalb weniger Monate zwei seiner zentrale Figuren verloren, zwei, die wie niemand sonst für eine radikal avantgardistische Position einstanden, die keinen Unterschied machte zwischen Politik und Ästhetik. Zwei, für die filmästhetisches Aufbegehren (Oshima: "My hatred for Japanese cinema includes absolutely all of it") nie zu trennen war von einer gesellschaftspolitischen Positionierung. Was bleibt von diesem Erbe? Es ist sicher nicht ganz fair, einen Film wie "Cold Bloom" von Atsushi Funahashi an diesen beiden Heroen des politischen Independentkinos zu messen und damit an Ansprüchen, die nie die seinen waren. Aber man darf sich doch fragen, warum das Internationale Forum des jungen Films ausgerechnet ein derart reaktionäres Machwerk für würdig befindet, den Status quo des japanischen Independentkinos mitzudefinieren.


Ende letzten Jahres starb Koji Wakamatsu, Exploitationfilmer und politischer Aktivist, Anfang dieses Jahres, vor wenigen Wochen erst, starb auch Nagisa Oshima, Kino-Revolutionär und eine der zentralen Figuren in der japanischen Öffentlichkeit der letzten dreißig Jahre. Das japanische Independentkino hat innerhalb weniger Monate zwei seiner zentrale Figuren verloren, zwei, die wie niemand sonst für eine radikal avantgardistische Position einstanden, die keinen Unterschied machte zwischen Politik und Ästhetik. Zwei, für die filmästhetisches Aufbegehren (Oshima: "My hatred for Japanese cinema includes absolutely all of it") nie zu trennen war von einer gesellschaftspolitischen Positionierung. Was bleibt von diesem Erbe? Es ist sicher nicht ganz fair, einen Film wie "Cold Bloom" von Atsushi Funahashi an diesen beiden Heroen des politischen Independentkinos zu messen und damit an Ansprüchen, die nie die seinen waren. Aber man darf sich doch fragen, warum das Internationale Forum des jungen Films ausgerechnet ein derart reaktionäres Machwerk für würdig befindet, den Status quo des japanischen Independentkinos mitzudefinieren.

"Cold Bloom" ist, das kann man nicht leugnen und das nimmt zunächst auch tatsächlich für ihn ein, ein waschechter blue-collar-Film, spielt fast durchweg in einer kleinen, nicht mehr wirklich zeitgemäßen Eisenwerkstatt, irgendwo in der japanischen Provinz. Doch alles, was an einem derartigen Milieu hart und unangenehm sein kann für ein Festivalpublikum, das ja normalerweise eher selten mit Schweißgerät und Ölgestank in Berührung kommt, wird beiseite geschoben; genauer: auf einige Nebenfiguren projiziert, auf ein paar tölpelhafte Faulpelze, denen die Haare wild ins Gesicht fallen und die nur dazu da sind, den eigentlichen Protagonisten Steine in den Weg zu legen.

Und diese eigentlichen Protagonisten sehen nicht nur wie schlecht verkleidete, stromlinienförmige Popstars aus, sondern haben auch nichts im Sinn außer dem Wohl der gebeutelten Firma. Die wird ihrerseits von einem gutmütigen, etwas arg onkeligen Chef geleitet, der unter der Verantwortung, die auf ihm lastet, fast zerbricht. Zum Glück gibt es genug aufopferungsbereite Mitarbeiter, die in die Bresche springen, ihr privates Glück hinten an stellen und, ja, auch jede Menge unbezahlte Überstunden in Kauf nehmen. Vorderhand erzählt der Film von der schwierigen Beziehung zwischen zwei Angestellten der Firma: Der eine trägt, so meinen zumindest einige böswillige Kollegen und so meint er selbst ebenfalls, zumindest am Anfang, Schuld am Tod des Verlobten der Anderen; in die er sich dann zu allem Überfluss auch noch verliebt.

All das ist offensichtlich als Allegorie auf das post-Tsunami-Japan angelegt ("Nuclear Nation" hieß die sehr schöne Dokumentation, die Atsushi Funahashi letztes Jahr im Forum präsentierte): Unweit der durchaus heruntergekommenen, mit einem gewissen Restnaturalismus gezeichneten Arbeitsstätte türmen sich die Trümmer, die die Sturmflut hinterlassen hat. Und der gesamte Film ist getragen von einer düsteren Ernsthaftigkeit, punktiert von kraftvollen Passagen am Strand, von majestätischen Meeres- und Wellentotalen. Wie "Cold Bloom" überhaupt, zumindest phasenweise, richtig gut aussieht. Und eine gewisse emotionale Ehrlichkeit kann man dem Film, was den Umgang mit seinen Figuren angeht, auch nicht absprechen. Doch das ändert nichts daran, dass es die ganze Zeit um nichts weiter geht, als darum, die japanische Firma und damit im übertragenen Sinne auch die japanische Nation wiederaufzurichten - auf Kosten aller möglichen individuellen Befindlichkeiten.

Dass die japanische Familie - als dritter Pfeiler der stockkonservativ gedachten Gesellschaftsordnung, die der Film weniger propagiert, als dass er sie von Anfang an voraussetzt und sich darin pudelwohl fühlt - noch ein wenig warten muss bis zur vollständigen Genesung, dass also die Witwe Shiori dem Werben des Musterarbeiters Takumi nicht so ohne weiteres nachgibt, weil sie eben Kenji, den anderen Musterarbeiter, nicht vergessen kann, ist zu verkraften; auch, weil der Film für das überlebensgroße Melodrama (inklusive Straßenbahnabschied mit ganz viel sehnsuchtsvollen Blickwechseln), das sich um die beiden unglücklich Verliebten spinnt, die totgefilmteste aller Metaphern der japanischen Ästhetik bemüht: Shiori und Takumi versinken am Ende fast in Kirschblüten.

Nach diesem Ende bleibt die Erkenntnis: Schlimmer als Filme aus der Perspektive der Bosse sind nur Filme aus der Perspektive der streberhaften Vorarbeiter.

Lukas Foerster

"Sakura namiki no mankai no shita ni" (Cold Bloom). Regie: Atsushi Funahashi. Mit Asami Usuda, Takahiro Miura, Yo Takahashi, Yurei Yanagi, Taro Suwa u.a. Japan 2012, 119 Minuten (alle Vorführtermine)