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Utopischer Liebesentwurf: Dominik Grafs 'Die geliebten Schwestern' (Wettbewerb)

Von Elena Meilicke
09.02.2014. Dominick Grafs Wettbewerbsbeitrag "Die geliebten Schwestern" erzählt eine lichte Liebesgeschichte von Schiller und den Schwestern Lengefeld.


Dominik Grafs "Die geliebten Schwestern" erzählt eine lichte und luftige Liebesgeschichte, eine Liebesgeschichte, die sich nicht im geringsten beschweren lässt von der fast mythischen Übergröße ihres historischen Protagonisten. Im Sommer 1788 lernt Friedrich Schiller (Florian Stetter), noch mittellos und nicht berühmt, die junge Charlotte von Lengefeld (Henriette Confurius) kennen und bald darauf auch deren Schwester Caroline (Hannah Herzsprung). Einen Sommer verbringen die drei zusammen in Rudolstadt, und Schiller verliebt sich in beide: in die schüchterne, brave Charlotte und die impulsivere Caroline, die schon verheiratet ist und eine unglückliche Zweckehe führt. Dieser eine Sommer aber ist ein sonniges Idyll inmitten von blühenden Gärten und reißenden Flüssen. Man träumt von einem Leben zu dritt, einem gemeinsamen Haushalt in Weimar, wo man leben und lieben und schreiben kann.

Graf beschreibt diese Ménage à trois als utopischen Liebes- und Lebensentwurf, der radikal ist, aber nicht tragisch – zu liebevoll agieren die Figuren untereinander, statt der erwartbaren Eifersüchteleien herrschen (zunächst zumindest) Respekt und Vorsicht und Liebe und Ergebenheit, wohl auch Gefühle von Schuld und Verpflichtung. Die ganz großen Leidenschaften spielen sich eher am Rande und woanders ab: wenn etwa Charlotte von Stein sich brüllend in die Kissen wühlt, weil der geliebte Goethe nicht mehr wiederkommt. Dagegen ist das Schiller'sche Dreieck ein eher nicht-dramatisches, von dem Graf denn auch konsequent episch erzählt: 170 Minuten dauert der Film in der Festivalfassung, und ist keine einzige Minute zu lang.



Graf selbst meint, die "Die geliebten Schwestern" sei ein Film über Worte, über Gefühle, die ausgesprochen und niedergeschrieben werden. Das stimmt sicherlich – doch selbst da, wo es um die Liebe als Diskurs geht, strahlen Grafs Bilder noch eine Sinnlichkeit und Körperlichkeit aus, die im deutschen Kino selten zu sehen ist. Das betrifft dann in diesem Film auch die Sinnlichkeit und Materialität der Worte selbst: es gibt eine große Aufmerksamkeit für die Medien und Schreibwerkzeuge, die das Lieben mitgestalten, für die endlosen Briefe und Billetts, die zwischen Friedrich, Charlotte und Caroline hin- und herwandern, für das Kratzen des Federkiels, das Falten und Versiegeln der Briefbögen. Und immer wieder macht der Film Ausflüge in die Druckerwerkstatt: beim ersten Rendezvous führt Schiller Charlotte euphorisch die moderne Luftigkeit der neuen französischen Didot-Schrifttype vor.

Für die eigenen Zwischentitel, die die Filmhandlung unterteilen, verwendet Graf diese zeitgenössische Didot-Type allerdings nicht, und auch das hat programmatischen Charakter: die grellgrün und serifenlos ins Bild schwebenden Kapitelüberschriften machen klar, dass "Die geliebten Schwestern" von einem Hier und Heute aus erzählt werden, dass von der Gegenwart aus in die Vergangenheit geblickt wird. Auch die letzte Einstellung des Films zeigt das ganz deutlich, wir sehen Schillers Haus, wie es heute in einer Art Fußgängerzone steht, mit praktisch gekleideten Passanten, die durch's Bild schlendern.

So bleibt bei Graf immer eine Differenz zum historischen Stoff spürbar, die in sanften Irritationen und leisen Brüchen ihren Ausdruck findet: das kann ein schneller Zoom sein, der ins Auge sticht, oder ein Sprechen, das nicht ins 18. Jahrhundert gehört. So kommt Wind ins staubige Business des Historiendramas, der Grafs historischen Helden eine ganz aufregende Frische und Lebendigkeit gibt. "Die geliebten Schwestern" führen damit fort, was Graf schon in seinem Film "Das Gelübde" von 2007 erprobt hat: eine sehr eigene Dekonstruktion und Neuerfindung des Genres Historienfilm. Weitaus widerspenstiger noch als "Die geliebten Schwestern" erzählte "Das Gelübde" die Begegnung zwischen Clemens Brentano und der christlichen Mystikerin Katharina Emmerick um 1820 als grandiose Kakophonie aus schroffen Zooms und Krautrock-inspiriertem Psychodelik-Soundtrack. "Die geliebten Schwestern" mögen weniger wild sein – eine freie Form für eine freie Liebe finden auch sie.

Elena Meilicke

Die geliebten Schwestern. Regie: Dominik Graf. Darsteller: Hannah Herzsprung, Florian Stetter, Henriette Confurius, Claudia Messner, Ronald Zehrfeld. Deutschland / Österreich 2014, 170 Minuten
(Wettbewerb, alle Vorführtermine)