Außer Atem: Das Berlinale Blog

Was für ein Tiger! Guillaume Niclouxs 'L'enlèvement de Michel Houellebecq' (Forum)

Von Thekla Dannenberg
09.02.2014. Michel Houellebecq ist tatsächlich entführt worden - zum Glück wurde er dabei gefilmt! Am Ende erliegen selbst die Entführer seinem quengeligen Charme.


Ein wunderbar böses Vergnügen bereitet dieses Ganovenstück von Guillaume Nicloux, das uns endlich verrät, wo Michel Houellebecq steckte, als er im September 2011 für einige Tage wie vom Erdboden verschwunden war. Er wurde entführt! Einfach so, am helllichten Tag. Gerade schlurfte er noch in seinem abgewetzten Parker durch die Straßen von Paris und parlierte kettenrauchend über seine neue Küche, das totalitaristische Denken von Le Corbusier und das Elend der französischen Literatur in den siebziger Jahren, da marschieren drei Vorstadt-Gauner in seine Wohnung, stecken ihn in eine große Kiste und nehmen ihn mit. Klappe zu, Affe tot, und keine Zigaretten!

Mathieu, Luc und Maxime heißen die drei und glauben ernsthaft, dass die hohen Pariser Kreise nur zu bereitwillig Lösegeld für den doch so berühmten Schriftsteller zahlen würden, Houellebecqs Familie oder François Hollande. Nun ja. Auch sonst sind sie nicht besonders helle, doch, wie sich herausstellt, ausgesprochen freundlich und gutmütig, und dadurch bilden die drei Kraftprotze einen wunderbaren Gegensatz zu dem ganz und gar uneleganten Misanthropen Houellebecq, der seinen Körper nur zu haben scheint, um den Kopf zu tragen und die Zigaretten zu halten. Es herrscht also ein Gleichgewicht des Schreckens in diesem Bungalow im Brachland vor Paris, der als Unterschlupf der Entführer dient. Mathieu, Luc und Maxime spielen mit ihrem Kampfhund und trainieren ihre Muskeln beim Kickboxen und Bodybuilding oder vor dem Spiegel: "Von was für einem Tiger muss meine Mutter geträumt haben, als sie mit mir schwanger war!" Aber sie kümmern sich sehr anständig um ihr Entführungsopfer, das ständig nach Wein und Zigaretten verlangt, nach was zu Essen oder zu Lesen. Houellebecq bekommt Sandwiches, zwei Gläser Roten und Diderots Roman "Die Nonne" (den Nicloux vor zwei Jahren verfilmt hatte). Zum Geburtstag schenken sie ihm sogar eine Nacht mit einem Mädchen aus dem Ort, mit Pornos hatte sich Houellebecq nicht zufrieden geben wollen. Alles in allem neigt er zum Quengeln, aber nicht zur Hysterie.

Zu den Mahlzeiten, bei denen Houellebecq mitunter mampft wie ein zahnloser Greis, führen sie sehr angeregt Konversation: Der Schriftsteller spricht mit den interessierten Entführern über die phantastische Literatur des H.P. Lovecraft, über die Drogengewohnheiten unter Schriftstellern und über die Kraft der polnischen Identität. Über seine Abneigung gegen Zigeuner, gegen den schwedischen Sozialstaat und gegen das Europa, das den Nationalstaat als Garanten der Demokratie zerstört. Dabei entsteht ein wunderbares Porträt von Houellebecq, der sich zwar auf das Spiel einlässt, aber ganz er selbst bleibt: Hochintelligent, ungeheuer witzig, sehr scharf und verletzend, aber immer wieder auch sehr feinfühlig und sensibel, unglaublich uneitel und schließlich sogar richtig verliebt.

Thekla Dannenberg

L'enlèvement de Michel Houellebecq - The Kidnapping of Michel Houellebecq. Regie: Guillaume Nicloux. Darsteller: Michel Houellebecq, Mathieu Nicourt, Maxime Lefrançois, Françoise Lebrun. Frankreich 2014, 92 Minuten. (Forum, alle Vorführtermine)