Außer Atem: Das Berlinale Blog

Rutschpartie ins Nichts: Diao Yinans Wettbewerbsfilm "Black Coal, Thin Ice"

Von Elena Meilicke
13.02.2014. Diao Yinan erzählt von einem Serienmörder und den überforderten Ermittlern in China. Das Ergebnis ist ein Film Noir, der nicht schwarz sein will.


Schwarze Kohle, dünnes Eis – der Titel beschreibt recht genau die beiden gegensätzlichen Pole, zwischen denen sich Diao Yinans eigensinniger Film Noir aufspannt. Ein Serienmörder treibt sein Unwesen in einer kleinen Stadt im kalten Nordosten Chinas: ständig tauchen Leichenteile auf. Hier ein Arm auf dem Fließband des Kohlebergwerks, dort ein Auge in der Nudelsuppe. Die Polizei ist dem Täter auf der Spur, und macht dabei nicht unbedingt eine gute Figur. Nach einer gründlich verhagelten Festnahme mit mehreren Toten verfällt der Polizist Zhang (Liao Fan) dem Alkohol; erst Jahre später kann er, der starrsinnige Dickkopf, der verwahrloste Hallodri, die Ermittlungen wiederaufnehmen.

Langsam, nicht unbedingt gradlinig, sondern eher im Zickzackschritt schreitet "Bai Ri Yan Huo" ("Black Coal, Thin Ice") voran – manchmal scheint der Film auch einen Schritt ins Nichts zu machen, wie sein betrunkener Antiheld – und spinnt dabei doch stetig und unbeirrt seine Motivketten weiter. Von der Kohle kommt er zum Feuer, Feuerlöscher tauchen auf, eine Feuerwehrübung, wilde Farben und Lichter. Dann ein Club, der "Daylight Fireworks" heißt, und ein Theater, das noch den sozialistischen Namen "Red Star" trägt. Neon-rot und verheißungsvoll blinken beide in der dunklen Winternacht und werfen ein Licht auf die kleinen Verführungen, das bisschen Geld, für das die Leute hier rauben und morden.

Auf der anderen Seite folgt der Film dem Schnee und dem Eis, das hier alle immer wieder zu Fall bringt. "Black Coal, Thin Ice" ist eine einzige Rutschpartie: da ist einfach kein fester Boden unter den Füßen, nichts ist, wie es scheint. Schlittschuhe werden zu Mordwerkzeugen, und in einer kleinen Wäscherei wäscht eine schöne junge Frau (Gwei Lun Mei) Wäsche weiß und ist leider ganz tief in die Mordserie verstrickt.

Die ganze Geschichte ist lakonisch erzählt, mit regelmäßigen Ausflügen ins Absurde: die missratene Festnahme im grell erleuchteten Friseursalon ist reiner Slapstick, die Schlittschuh-Morde auch, das endlose Schlittern und Schlingern auf eisbedeckten Straßen sowieso – ganz schwarz will Diaos Film Noir eben nicht sein. Lieber will er viele Filme sein: Polizeifilm und bittersüße Liebesgeschichte, schwarze Komödie und naturalistisches Bild vom China der kleinen Leute. So ist er von allem ein bisschen, nichts ganz. Aber das geht schon in Ordnung: die ständigen Registerwechsel sorgen dafür, dass man als Zuschauerin immer wieder kalt erwischt wird, dass man ständig auf alles gefasst sein muss – heiß und kalt, Feuer und Eis. Manchmal ist das alles zu gewollt sonderbar. Aber am Schluss gibt’s dafür ein ganz großartiges Feuerwerk vor grauem Winterhimmel.

Elena Meilicke


"Bai Ri Yan Huo - Black Coal, Thin Ice". Regie: Diao Yinan. Mit Liao Fan, Gwei Lun Mei, Wang Xuebing und anderen. China 2014, 106 Minuten (Wettbewerb - alle Vorführtermine)